Antimatter Blues: Ein Mickey 7 Roman

  • Heyne
  • Erschienen: Februar 2024
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Antimatter Blues: Ein Mickey 7 Roman
Antimatter Blues: Ein Mickey 7 Roman
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Michael Drewniok
80°1001

Phantastik-Couch Rezension vonMai 2024

Ein Klon im Überlebensmodus/-stress

Eine der Kolonien, die in einer fernen Zukunft in der bisher von Menschen nicht besiedelten „Diaspora“ des Alls entstanden, bemüht sich auf dem Planeten Niflheim Fuß zu fassen. Schon als die Energieversorgung noch funktionierte, war dies eine Herausforderung, denn Niflheim ist nicht nur mit einem unberechenbaren Klima geschlagen, sondern auch die Heimat der „Creeper“. Lange wurden diese Wesen, die an gigantische Tausendfüßer erinnern, für Tiere gehalten, die man ignorierte bzw. bekämpfte, wenn sie wieder einmal einen allzu vorwitzig in die Wildnis vorstoßenden Siedler in Stücke rissen. Aktuell gibt es eine neue Krise: Die Antimaterie-Vorräte sind beinahe aufgebraucht. Da sie für die Erzeugung von Energie notwendig sind, stellt dies das baldige Todesurteil für die Kolonisten dar.

Die Leitung konnte das bisher vertuschen, um Panik zu vermeiden. Kommandant Marshall erinnert sich an Mickey Barnes.  Der ist ein Klon: Stirbt er, ‚druckt‘ man seinen Körper neu aus und lädt das Hirn mit den konservierten Erinnerungen des ‚Vorgängers‘. Nach sechs üblen Toden streikte Mickey und kam damit durch, weil ausgerechnet er offenlegte, dass die Creeper intelligent sind. Sie ‚sprachen‘ damals nur mit ihm, weshalb Marshall Mickeys Abschied vom „Expendable“-Status widerwillig akzeptieren musste.

Nun soll Mickey erneut mit den Creepern ‚reden‘. Vor zwei Jahren blieb während einer heiklen Mission eine Bombe auf ihrem Territorium zurück. Die darin enthaltene Antimaterie könnte die Kolonie retten. Allerdings haben die Creeper die Bombe inzwischen an einen im Süden Niflheims lebenden Nachbarstamm weitergereicht. Dorthin muss sich Mickey in Begleitung einiger Gefährten und des Creepers „Sprecher“ aufmachen; eine fragwürdige Mission, da die Creeper des Südens sogar von ihren Artgenossen als „Wilde“ gefürchtet werden ...

Das Schicksal tritt gern den bereits Gefallenen

Lange galt die Science Fiction als Portal in eine möglicherweise gefährliche, aber ansonsten glanzvolle Zukunft, in der alles besser sein und laufen würde als in der profanen Gegenwart. Reale Erfahrungswerte blieben vorsichtshalber ausgespart; vor allem der Faktor Mensch wurde einer Entwicklung unterworfen, die mit der Technik Schritt hielt; eine entweder naive oder dreiste Vorstellung, da der Mensch in seiner gesamten Geschichte noch niemals ‚besser‘ geworden ist. Skrupelloser Eigennutz und die Ausnutzung derer, die nicht die Kraft oder den Willen aufbringen sich zu wehren, prägen Vergangenheit und Gegenwart. Dies wird sich sicherlich in jeder möglichen Zukunft fortsetzen.

Davon geht auch Edward Ashton aus. Schon in „Mickey 7 - Der letzte Klon“ hatte er die Zukunft der Menschheit eher skeptisch oder sogar sarkastisch betrachtet: Zwar ist man weit ins All vorgedrungen, doch diese Expansion ist eine erfolgsorientierte, nicht nur nüchterne, sondern in vielerlei Hinsicht riskante Angelegenheit. Sparsam ausgerüstete Kolonisten müssen sich auf meist feindseligen Welten einrichten. Die Regeln sind simpel: Das Überleben der Kolonie zählt, während das Individuum nur berücksichtigt wird, so lange es ‚nützlich‘ für die Gesellschaft ist. Wer umkommt, landet im „Todesschacht“, einem Gerät, das ‚biologische Abfälle‘ wirklich jeder Art in ihre Bestandteile aufschließt und wiederverwertbar macht.

Dazu passt der routinemäßige Einsatz von Klon-Menschen, die in lebensgefährlichen Situationen buchstäblich Kopf und Körper hinhalten müssen. Ihr meist grausiges Ende hilft der Gesellschaft das jeweilige tödliche Problem zu lösen. Der ‚Inhalt‘ des Klon-Gehirns wird in einen neuen Menschen-‚Ausdruck‘ übertragen, weshalb unser ‚Held‘ Mickey Barnes auf sechs ‚Vorleben‘ zurückblicken kann. Dass ein Klon deshalb psychische Probleme entwickelt, ist in diesem System nicht vorgesehen. Für Kommandant Marshall ist und bleibt Mickey ein professionelles Opfer - ein Gefahrenmoment, das sich durch beide „Mickey-7“-Romane zieht.

Tanz über dem Todesschacht

Mickey Barnes hat sich vor zwei Jahren von seinem Klon-Dasein verabschiedet. Er lebt sogar in einer stabilen Beziehung mit der schönen Nasha, hat Freunde. Dennoch ist sein Status fragil. Über allem schwebt die Furcht, dass Marshall Mickey zurück in einen (nicht nur vermutlich) tödlichen Einsatz zwingt oder ‚andere‘ Mickeys ‚drucken‘ und mit Mickey-Erinnerungen versehen lässt. Tatsächlich ist Mickey als Nicht-Klon faktisch überflüssig und in der energetisch ohnehin auf Kante genähten Kolonie Niflheim ein zusätzlicher Verbraucher.

Deshalb muss sich Mickey immer wieder als ‚nützlich‘ erweisen und kann sich folgerichtig nicht weigern, als ihn Marshall zu einem weiteren Himmelfahrtskommando ‚auffordert‘. Er soll mit der von den Kolonisten bisher bekämpften einheimischen Spezies verhandeln. Die „Creeper“ sind erwartungsgemäß nach den Erfahrungen, die sie mit den Eindringlingen machen mussten, wenig kooperativ. Mickey hatte Marshall einen besonderen Draht zu den gefährlichen Ureinwohnern suggeriert, um dadurch seine Lebensberechtigung zu unterstreichen. Tatsächlich gibt es diese Verbindung nicht, was Mickey in die Bredouille bringt, als ihn Marshall damit beauftragt, eine ‚verlorene‘ Antimateriebombe wiederzubeschaffen.

Mickeys Dasein wird zum Tanz auf einer Rasierklinge. Ständig muss er improvisieren, selbst seine Freunde täuschen und verschiedene Parteien gegeneinander ausspielen, um nicht bloßgestellt zu werden. Weil Ashton Mickey nicht als Helden, sondern als unter Druck einfallsreichen Opportunisten darstellt, sorgt dies immer wieder für Spannungsmomente: Wie wird es Mickey dieses Mal schaffen, sich nicht nur selbst aus einer Falle zu befreien, sondern dabei auch die Rettung der Kolonie zu berücksichtigen? Ashton wirft Mickey von einer aussichtslosen Situation in die nächste. Dass er vergleichsweise selten den Zufall bemühen muss, sondern sich eine überraschende (wenn auch nicht zwangsläufig plausible) Wendung einfallen lässt, unterstreicht sein erzählerisches Talent.

Keine Welt für Emotionen u. a. Schwächen

Die Erbarmungsarmut der zukünftigen Menschheit spiegelt sich in einer außerirdischen Gesellschaft wider, die sogar noch einen Schritt weitergeht, Die „Creeper“ sind eine Kollektiv-Intelligenz. Dem Individuum messen sie keinen Wert bei, da Wissen und Erfahrungen zentral ‚gespeichert‘ werden. Damit sind heikle Missverständnisse mit den Kolonisten vorgeprägt, denn diese sehen sich sehr wohl als Einzelpersonen; eine Wissenslücke, die es erst einmal zu füllen gilt, bevor eine Kooperation in Gang kommen kann.

Niflheim ist eine Welt, die vor allem die Kolonisten immer wieder herausfordert. In „Mickey 7“ herrschten noch Temperaturen weit unterhalb des Gefrierpunkts. Nun nähert sich Niflheim seiner Sonne und taut auf. An der Unverträglichkeit der Atemluft für Menschen ändert dies nichts; stattdessen wachen neue, gefährliche und gefräßige Kreaturen auf, die sich zu den Creepern gesellen.

In diesem krisenhaften Umfeld spielt sich das von Ashton abermals schwungvoll erzählte Planetenabenteuer statt. Inhaltlich gibt es keine neuartigen Ideen, und formal bedient sich der Verfasser einer betont nüchternen Sprache. Beides mindert nicht etwa den Unterhaltungswert, weil Ashton genau weiß, was er tut = seine Geschichte in eine Fom kleidet, die ihr nicht nur gutsteht, sondern auch jenseits jeglicher SF-Protz-Pracht die Zukunft erwartungsgerecht ‚realistisch‘ wirken lässt. Deshalb wäre es schade, ginge Mickey wie im Epilog beschrieben in den Ruhestand: Wir würden gern lesen, wie ihm das Schicksal/die Zukunft neue Knüppel zwischen die Beine wirft!

Fazit:

Auch die Fortsetzung des auf Action und Effekte gebürsteten, dabei den ‚zukünftigen‘ Menschen dennoch nicht vernachlässigende Planetenabenteuers sorgt für nicht unbedingt originelle, aber gut ‚geschüttelte‘ Konfliktsituationen, aus der jene Spannung resultiert, die man sich bei der Lektüre solchen SF-Lesefutters wünscht.

Antimatter Blues: Ein Mickey 7 Roman

Edward Ashton, Heyne

Antimatter Blues: Ein Mickey 7 Roman

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