50 Jahre John Sinclair: Villa Wahnsinn - Das Jubiläumsbuch
- Bastei-Lübbe
- Erschienen: Juli 2023
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Warum schickst du mich in die Hölle?
Ein halbes Jahrhundert…
…spukt es nun schon Woche für Woche in den deutschen Zeitschriftenregalen und Heftauslagen. Wer hätte damit gerechnet, als ein noch gänzlich ungeschliffener Rohdiamant namens John Sinclair unverhofft den „Gespenster-Krimi“ als Sprungbrett nutzte, um schließlich in seiner ganz eigenen Serie aufzuschlagen. 1978 rockte er zum Solo-Auftakt erfolgreich „Im Nachtclub der Vampire“, der Rest ist Geschichte.
Helmut Rellergerd, der unter dem Pseudonym Jason Dark schreibt, hämmert noch heute fleißig in die Tasten seiner Schreibmaschine, hat mittlerweile aber ein fähiges Team von Stamm-Autoren um sich aufgebaut. Für das Jubiläumsbuch „Villa Wahnsinn“ hat Dark selbst Hand angelegt und bittet nun zum Totentanz.
Das Kernstück
Annie, die elfjährige Tochter von Lucy Adams, ist etwas ganz Besonderes. Klaro, das würde jede Mutter von ihrem Kind behaupten, doch im Hause Adams ist die Nummer ein wenig komplizierter. Annie kann nämlich Tote sehen. Nicht nur das, sie kommuniziert auch mit ihnen. Manchmal begleitet sie sie sogar für eine Stippvisite auf die „andere Seite“. Die antiautoritäre Erziehung von Lucy erreicht schon fast ein selten dämliches Level, denn sie lässt ihre Tochter gewähren (#MutterdesJahres). So auch diesmal, als Annie dem längst verblichenen Sir Linus Ravenford folgt… mit dem einzigen Unterschied, dass nun auch Lucy zum ersten Mal den Geist aus dem Jenseits mit eigenen Augen sehen konnte.
Nach bangem Warten kehrt Annie nach einiger Zeit wieder zurück. Zurück in ihr Heim, zurück in ihre Welt. Mit blutigen Händen… und einem ungebetenen Gast. Die Unbekannte, die plötzlich mitten im Raum steht, hört auf den Namen Myra Lane, auch The Knife genannt. Und passenderweise hat sie ein Gastgeschenk dabei. Den sauber abgetrennten Kopf von Sir Linus Ravenford. Annie nimmt ihrer Mutter den ersten Schrecken, indem sie erklärt, dass sie die merkwürdige Frau kennen würde. Sogar sehr gut kennen würde. Sie war schon häufig mit ihr in der Villa. Jenem Ort, wo die Gesetze der uns bekannten Welt aufgehoben wurden. Wo die Vergangenheit zwischen Geistern, Untoten und sonstigen Geschöpfen der Finsternis äußerst lebendig ist. Dorthin verschwindet Myra Lane auch sogleich wieder… mit Annie Adams an ihrer Seite.
Hmmm, da war doch mal was… Ach ja, richtig! Lucy hatte vor längerer Zeit beruflich mal eine Privatdetektivin nötig, die in diesem doch äußerst mysteriösen Fall bestimmt hilfreich sein könnte. Gesagt, getan. Auftritt Jane Collins. Die Ermittlerin hat im Laufe der Jahre so manches übernatürliches Zeugs gesehen, da sollte sie ein Mädchen, welches zwischen den Welten hin und her pendelt nicht schocken. Überrascht ist die gute Jane aber, als The Knife erneut wie aus dem Nichts auftaucht. Das Dummerchen hat die Rübe vom ollen Linus vergessen und macht gleich Bekanntschaft mit Jane. Recht schnell stellt sich heraus, dass Myra Lane nicht nur flink, sondern auch sehr trickreich ist. Um Annies Leben in der ominösen Villa nicht zu gefährden, geht Jane auf Nummer sicher und ruft ihren Freund an… John Sinclair.
Das Drumherum
Joa, diese rund vierzigseitige Story glänzt jetzt nicht durch Tiefe oder Komplexität. Tatsächlich fasst man sich bei so einigen Verhaltensweisen der Protagonisten gleich mehrfach an den Kopf. Die Atmosphäre an sich ist recht gelungen, jedoch sind wir von anspruchsvollem Horror ein paar Ligen entfernt. Für einen dünnen Heftroman okay, für einen Jubiläumsband zum Fünfzigsten aber zu dünn. Sowohl inhaltlich als auch vom Umfang.
Um dieses wirklich schick gestaltete Jubiläumsbuch (gebunden, mit Lesebändchen, angerauter Oberfläche und Spotlack-Applikationen) zu rechtfertigen, hat man diese noch auf 128 Seiten (plus 16 Farbseiten) aufgeplustert. Der farbige Mittelteil besteht neben einer detaillierten Zeitleiste, Bildern aus Jason Darks Fotoalbum und einem zweiseitigen Einblick in die künstlerische Arbeit den genialen Zeichners Timo Wuerz hauptsächlich aus Auflistungen von Allem, was das Sinclair-Universum so bereithält: Spin-offs, Hörspiele, Comics, Events und Social-Media-Inhalte. Das gleicht dann auch eher einer eingehefteten Werbebroschüre.
Des Weiteren kommen noch Jason Dark himself, Fantasy-Schwergewicht Wolfgang Hohlbein und das Autoren-Team zu Wort. Die Stamm-Schreiber Logan Dee, Ian Rolf Hill, Michaela Froelian und Rafael Marques liefern noch einige Kurzgeschichten, die zwischen abstrus, albern und sogar recht spannend schwanken. Eine sehr kuriose Mischung, die mich leider nicht wirklich überzeugen konnte. Das ist einerseits schade, da ich mir für ein derart großes Jubiläum einen weitaus höheren Qualitätsstandard erhofft hatte, auf der anderen Seite eine verschenkte Möglichkeit, mit dem runden Geburtstag eine neue Leserschaft anzulocken. Neuleser werden hier zwar mit den wichtigsten Eckdaten zu Charakteren und einem groben Story-Verlauf versorgt, allerdings reichen die paar Seiten kaum, um fünfzig Jahre zusammenzufassen. Da wäre für Einsteiger das ebenfalls im Jubiläumsjahr erschienene Sachbuch „Dunkle Legenden: Fakten, Mythen, Hintergründe - 50 Jahre Geisterjäger John Sinclair“ (LÜBBE) von Florian Hilleberg, alias Ian Rolf Hill, die deutlich bessere Wahl.
Mit dem zeitgleich erschienen Hörspiel, welches verwirrenderweise ebenfalls auf den Namen „Villa Wahnsinn“ hört und mit dem gleichen Artwork von Timo Wuerz daherkommt, hat die im Buch enthaltene Story allerhöchstens am Rande zu tun. Die Handlungen gehen derart weit auseinander, dass es bis auf die namensgebende Villa kaum Gemeinsamkeiten gibt. Empfehlenswert ist das Live-Hörspiel, welches am 15.Juli 2023 in Köln vor Publikum aufgenommen wurde und auf dem offiziellen „John Sinclair“-YouTube-Kanal gesichtet werden kann. Dort wird man über 97 Minuten dank der guten Sprecherinnen und Sprecher (Dietmar Wunder, Katy Karrenbauer, Rolf Berg, Alexandra Lange, Douglas Welbat, Hennes Bender u.a.) launig unterhalten.
Fazit:
Optisch schön, inhaltlich leider nicht der größte Wurf. Sowohl Story als auch das Drumherum sind nicht auf dem Niveau, welches die immerhin „erfolgreichste Gruselserie der Welt“ verdient hätte.
Jason Dark, Bastei-Lübbe
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