Der lange Marsch zum Ende der Welt
Vor anderthalb Tausend Jahren hat eine in Vergessenheit geratene, aber selbst verschuldete Apokalypse die menschliche Zivilisation zerstört. Die wenigen Überlebenden haben voller Wut sämtliche Technik vernichtet. Auch die USA existieren nicht mehr. Das riesige Land ist fast menschenleer. Nomadische Räuberbanden durchstreifen es; hier und da gibt es kleine Ansiedlungen, die sich hinter hohen Mauern verschanzen.
Thomas Cushing, ein ehemaliger Waldläufer, verschlug es an einen Ort, der einst eine Universität war. Hier haben sich noch Bücher aus der Vergangenheit erhalten, sodass er gelernt hat zu lesen. In einer der alten Schriften entdeckt Cushing den Hinweis auf einen Raumschiffhafen auf dem „Donnerberg“. Hier haben einst Menschen die zum Untergang verurteilte Erde verlassen. Zuvor gab es Kontakte zu außerirdischen Intelligenzen, und viele Reisende brachten lebendige ‚Souvenirs‘ mit.
Diese Wesen - intelligente ‚Steine‘, Energienebel, seltsame ‚Rauchwolken‘ oder miteinander vernetzte ‚Bäume‘ - haben überlebt und sich selbstständig gemacht. Meist sind sie nicht gefährlich; wie zu allen Zeiten ist der Mensch der bedrohlichste Faktor, als sich Cushing auf die Reise zum Donnerberg begibt. Dabei schließt sich ihm eine bunte Truppe an: Meg, die telepathisch begabte ‚Hexe‘; der Roboter Rollo; der alte Ezra, der mit den Pflanzen redet, und seine nur scheinbar geistig abwesende Enkelin Elayne.
Der Weg ist lang und gefährlich, aber auch faszinierend. Er führt durch eine Landschaft, in der die gewaltigen Ruinen der Vergangenheit beinahe zerfallen sind und die Natur den Kontinent zurückerobert hat. Man er- und überlebt aufregende Begegnungen und erreicht schließlich das Ziel. Dort erwartet Cushing und seine Gefährten eine Überraschung: Sie werden erwartet …
Das beinahe idyllische Ende der Welt
Clifford Donald Simak (1904-1988) war zwar ein Zeitgenosse jener Science-Fiction-Autoren, die das „Goldene Zeitalter“ des Genres prägten. Tatsächlich schrieb auch er zunächst typische Weltraumabenteuer, die sich um Naturgesetze u. a. plausible Fakten nicht scherten, sondern vor allem nussknackerkinnige (und -hirnige) Erdmänner gegen außerirdische Ungeheuer antreten ließen, die es - wieso auch immer - auf irdische Frauen abgesehen hatten.
Doch Simak merkte rasch, dass dies nicht ‚seine‘ SF war. Nach dem Zweiten Weltkrieg schlug er einen Sonderweg ein, der ihn heute wie einen Vorläufer jener Autoren wirken lässt, die in den 1960er und 70er Jahren den Menschen ins Zentrum ihrer Geschichten stellten, während die Technik in den Hintergrund rückte sowie mehr und mehr als ‚Feind‘ gesehen wurde.
Allerdings gibt es höchstens oberflächliche Verbindungen zwischen Simak und der „New Science Fiction“. Tatsächlich blieb er der einfache Mann aus dem US-Mittelwesten, der quasi mittelständische bzw. traditionelle - böse Zungen sagen „altmodische“ - Werte vertrat und in seine Werke einfließen ließ. Wenn Simak-Protagonisten wie Thomas Cushing ein System hinterfragen, das sie als restriktiv empfinden, steckt dahinter keine offene Rebellion, sondern ein Lern- und Verständnisprozess. Simak setzt auf Kommunikation. Seine Figuren können sich in einer rauen Umgebung behaupten, verabscheuen aber Gewalt, der sie aus dem Weg gehen.
Faszination statt Furcht
„Sternenerbe“ reiht sich in eine lange Reihe von Simak-Werken, die ihre Spannung nicht aus ‚Action‘ ziehen, obwohl durchaus Spektakuläres geschieht. Es steht jedoch nicht im Vordergrund, sondern untermalt eine Geschichte, die generell eine andere Richtung einschlägt. Simak startet sie mit einer Reise - einer klassischen „Queste“, die dem Helden nicht nur etwas erleben lässt, sondern ihn gleichzeitig auf einen Reifeprozess schickt. Eigentlich gibt es keinen ‚vernünftigen‘ Grund für dieses Unternehmen. Cushing drängt die Sehnsucht nach Wissen zum Verlassen seiner sicheren Heimstatt. Er folgt einem uralten menschlichen Drang, den Simak für elementar hält: Nur wer über den Tellerrand blickt, wird den Fortschritt voranbringen.
Hinzu kommt die Hoffnung auf einen zivilisatorischen Neustart, der nicht die Fehler der Vergangenheit wiederholt. Nicht nur in diesem Punkt zeigt sich Simak als (im Genre seltener) Optimist: Der Mensch kann lernen, sodass die Odyssee zum Donnerberg womöglich anderthalb Jahrtausende der Stagnation enden lassen wird. Für Schützenhilfe sorgt die Wissenschaft, die Simak ungeachtet ihrer Irrwege, die er durchaus thematisiert, als unverzichtbare Voraussetzung für eine Existenz ohne Religion bzw. einen Aberglauben jedoch voraussetzt. Warnend stellt er deshalb jene heruntergekommenen Steppenstämme vor, die ihr Leben der nutzlosen Wache unter dem Donnerberg gewidmet haben.
Nicht zum ersten (oder letzten) Mal lässt Simak seine Protagonisten durch eine Welt ziehen, in der die Zeit die Sünden der Vergangenheit tilgte. Die Natur hat sich erholt. Auch wenn das Leben weiterhin mühsam ist, kann der Mensch in und mit ihr leben. Doch Cushing weiß unterbewusst, dass da mehr sein kann und muss. Die friedliche Land-Idylle wird durch marodierende Horden, aber auch tödlich wiedergekehrte Krankheiten bedroht. Die Rückkehr zu „Mutter Natur“ sein, nach der sich Träumer (und Spinner) sehnen, ist kein Weg aus dieser Sackgasse.
Harmonie des neuen Gleichgewichts
Simak geht einen Schritt weiter: Die Erde wurde vor, aber auch nach der Apokalypse von Außerirdischen besucht. Irdische Raumfahrer brachten Pflanzen und Tiere aus dem All mit, die auf der Erde existieren konnten. Sie haben sich im Laufe der Jahrhunderte in das ökologische System integriert und stellen keine unmittelbare Bedrohung dar.
Die Zeit heilte nicht nur alte Wunden, sondern brachte auch verschüttete Talente zum Vorschein. Nicht wie üblich radioaktive Strahlung, sondern die Abwesenheit zivilisatorischer Ablenkungen sorgte für die Entwicklung von Mutanten wie Meg oder Ezra. Parallel dazu hat Roboter Rollo seine Dienerrolle abgeschüttelt. Er betrachtet sich zu Recht als eigenständige Person und wird von den ‚neuen‘ Menschen um Thomas Cushing problemlos als solche akzeptiert.
Wie üblich glänzt Simak mit fulminant stimmungsvollen Landschaftsbildern. Die Zivilisation mag zwar in Trümmern liegen, doch dies nutzt der Autor nur selten für einschlägige Kulissen und Ereignisse. Dagegen übertreibt es Simak hin und wieder mit seinen Reflexionen über die Zeit, die Evolution des Menschen oder die Problematik des Neubeginns. Wer frühere Werke des Verfassers kennt, wird vielen Gedanken wiederbegegnen. Enttäuschen mag die Auflösung des Donnerberg-Mysteriums, obwohl es Simak gelingt SF-Klischees zu vermeiden, die üblicherweise mit der Entdeckung eines Hightech-Relikts einhergehen. Einmal mehr ergibt sich eine friedliche Lösung für das Problem. Doch bis es soweit ist, folgen viele Seiten oft redundanter Erklärungen und Deutungen. „Sternenerbe“ ist nicht Simaks bestes Werk, stellt aber dennoch unter Beweis, dass Spannung keineswegs auf Feuergefechte oder Mutanten-Metzeleien angewiesen ist.
Fazit:
Spätwerk eines SF-Altmeisters, der betont ‚ruhig‘ eine Geschichte erzählt, die auf die oft genretypisch gewordene Hektik und Gewalt verzichtet: nicht ohne Leerlauf, aber erfreulich erfindungsreich in der Schilderung einer „Post-Doomsday“-Welt, die nicht durch Monster u. a. Schrecknisse, sondern durch Rätsel und ‚Wunder‘ dominiert wird.
Clifford D. Simak, Heyne
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