Geisterrache fragt nicht nach (Un-) Schuld
Die Greens - Vater Alex und Tochter Piper - und die Andersons - Mutter Raquel, Tochter Marigold und Sohn Sammy - sind eine nur oberflächlich harmonische Familie, die durch Hund Buddy komplettiert wird. Aktuell steht man besonders unter Druck: Nachdem Marigold eine Drogensucht und einen psychischen Zusammenbruch leidlich überstanden hat, verlässt die Familie Kalifornien, um in der Fremde einen Neubeginn zu versuchen.
Der Weg führt sie weit nach Nordosten und nach Cedarville, eine Kleinstadt mit 2000 Einwohnern, die um Bürger buhlt und Schriftstellerin Raquel mit einem Stipendium lockte. Die vor Ort allgegenwärtige „Sterling Foundation“ bemüht sich einen Neubeginn, nachdem in Cedarville vor Jahren aufgrund interner Unruhen mehrere Stadtviertel niedergebrannt wurden.
Die Anderson-Greens dürfen in ein beinahe saniertes Haus einziehen, das in einem ansonsten noch von Ruinen geprägten Teil der Stadt steht. Die Bauarbeiter sind nervös und verlassen jeden Abend in aller Eile das Haus. Marigold wird von neuen Freunden davor gewarnt, denn bei ihr daheim soll das bösartige Gespenst einer alten Frau - die „Drude“ - umgehen.
Tatsächlich mehren sich die Anzeichen für nächtliches Treiben der übernatürlichen Art. Vor allem Marigold ist betroffen, doch sie weiß, dass ihr aufgrund ihrer Vorgeschichte nicht einmal die eigene Familie glauben wird. Sie beginnt zu recherchieren - und kommt der hässlichen Ortsgeschichte auf die Spur. Cedarville ist eine Stadt im Würgegriff der Sterlings, die sämtliche Behörden und die Polizei auf ihrer Seite wissen. Sie wollen die Stadt nach ihren Vorstellungen ‚erneuern‘ und räumen diejenigen aus dem Weg, die ihren Plänen im Weg sind …
Spuk und Pubertät
Ahnungslos beziehen Neubewohner ein Spukhaus. Sie werden einerseits von eigenen Problemen abgelenkt, bemühen sich andererseits um Anschluss an die Mitbürger. Erst allmählich bemerken sie, dass etwas nicht stimmt bzw. in ihrem Heim umgeht. Nachdem man ‚vernünftig‘ nach ‚natürlichen‘ Ursachen gefahndet hat, akzeptiert man die Heimsuchung, ist ihr aber ausgeliefert, weil vor allem in den USA der Umzug in eine neue Unterkunft stets mit dem finanziellen Exitus einhergeht. Flucht durch Auszug ist deshalb unmöglich, man muss in den spukverseuchten Wänden ausharren und sich dem Unheimlichen stellen.
„Weißes Feuer“ ist ein Horrorroman, der exakt diese Geschichte erzählt. Die Autorin bemüht sich um Varianz in der Darstellung, vermag jedoch nicht, dem x-fach gelesenen oder in Film und Fernsehen gesehenen Plot echtes oder gar neues Leben einzuhauchen. Darüber hinaus wird wieder einmal deutlich, dass eine ‚Botschaft‘ behutsam eingearbeitet werden muss, damit sie nicht - wie in unserem Fall - irgendwann und dann sehr deutlich als erhobener Zeigefinger daherkommt.
Es liegt sicherlich daran, dass „Weißes Feuer“ nicht ‚nur‘ eine Gruselgeschichte, sondern auch ein „Young-Adult“-Roman ist. Marigold Anderson wird zu einer Identifikationsfigur, die nicht nur unter einer Spukheimsuchung sowie psychischen Problemen, sondern auch unter den üblichen Schwierigkeiten leidet, denen sich heranwachsende Jugendliche ausgesetzt sehen, weil sie unter notorisch verständnislosen Eltern u. a. Erwachsenen leben müssen. Hinzu kommen die üblichen hormonellen Turbulenzen und Missverständnisse, die mit der ersten Liebe einhergehen. Sie sind für die Betroffenen von elementarer Bedeutung, sorgen jedoch beim nicht (mehr) betroffenen Leser für Seufzer der Langeweile.
Spuk und Rassismus
Während es im Haus der Anderson-Greens ordentlich rumpelt und stinkt und Schatten umherhuschen, zerfällt die zunächst vielversprechende Geschichte einer Stadt mit finsterem Geheimnis in Klischee-Bosheiten und Plump-Wokeness. Cedarville wird zu einem Ort aus dem Reich des Schema-F-Schauerlichen. Selbst wenn man bereit ist, sich auf den überdramatischen und zerfasernden Plot einzulassen, kann man einfach nicht an die Existenz einer Stadt zu glauben, die von bösen, reichen und (all-)mächtigen, aber absolut eindimensionalen Schurken beherrscht wird, die Politik, Gesetz und Wirtschaft sowie die unerklärlich teilnahmslosen und in ihrer schafsgleichen Manipulierbarkeit schier schwachsinnigen Bürger unter ihrer Knute halten.
Autorin Jackson macht hier Zugeständnisse an ihr Zielpublikum, das sie offensichtlich intellektuell für simpel gestrickt hält. Spuk, Erwachsenentücke und Teenagerprobleme werden gleichermaßen stereotypiert. Das sorgt bald für Frustration, wenn sich Marigold immer wieder mit jenen US-Schwierigkeiten konfrontiert sieht, die sich perpetuum-mobile-artig und langweilig im Kreis drehen.
Um der Story ‚Relevanz‘ zu verpassen, setzt Jackson auf den weiterhin nicht nur schwelenden US-Rassismus. Cedarville erweist sich als Nest oberflächlich verkappter Scheinheiligkeit; damit dies auch begriffsstutzige Leser begreifen, hören wir im Radio immer wieder Reverend Scott Clark geifern, der den hirnfrei ‚argumentierenden‘, bibelfundamentalistischen Eiferer gibt, auf den nur die ganz Dummen und Fanatischen hereinfallen. Die gibt es in Cedarville freilich mehr als genug!
Spuk und Verdruss
Unklug setzt Jackson ausgerechnet hier auf Realität: Die schwarzen Bewohner von Cedarville, zunächst als Opfer des grotesk-kapitalistischen Sterling-Clans inszeniert, verwandeln sich quasi auf Knopfdruck in einen dümmlichen Mob, der die eigenen Häuser anzündet! „Dümmlich“ ist in diesem Zusammenhang das richtige Wort, wenn man den ‚genialen‘ Masterplan der Sterlings betrachtet, den Marigold in letzten Viertel dieser Geschichte atemlos-erschüttert enthüllt; er wirkt wie einem Märchenbuch entnommen.
Das Finale wird zum Höhepunkt, der für Hören und Sehen sorgt, was hier nicht als Kompliment gemeint ist. Die Autorin lässt den sozialen Schwelbrand zeitgleich mit der Offenbarung des Spuks in Marigolds Heim auflodern. Während sie auf der Suche nach ihrer entführten Stiefschwester den ‚Geistern‘ (die nicht durch die TV-Serie „Twilight Zone“ inspiriert wirken, wie Jackson schreibt, sondern eher an Ma und Sloth Fratelli aus den „Goonies“ erinnern) hinterherjagt, toben brüllende ‚Bürger‘ brandschatzend durch die Straßen. Was sich gegenseitig spannend steigern soll, konterkariert dies aufgrund einer Absurdität, die nicht durch die Vorgeschichte plausibel gemacht wird.
Letztlich hat Jackson ihren Roman inhaltlich überfrachtet. Marigold ist keine glaubhafte Figur, sondern eine junge Schmerzensfrau, deren private Probleme für die Ereignisse in dem von Mystery-Archetypen bevölkerten Cedarville nie wirklich von Bedeutung sind. Das Unverständnis, auf das die theatralisch unangepasste Marigold ständig stößt, wird ungelenk eingeflochten, um sich schließlich in Wohlgefallen aufzulösen. Cedarville mag erneut niedergebrannt sein, aber Marigold wird stolz und selbstbewusst sowie öffentlich die Hintergründe offenlegen, darüber ihre Bettwanzen-Phobie vergessen, sich mit der Familie versöhnen, das „Pot“-Rauchen aufgeben und endlich dem stattlichen Yusuf näherkommen. So ist das nicht nur im „Young-Adult“-Mainstream: Hat man ‚das Richtige‘ getan, folgt unweigerlich die Belohnung!
Fazit:
Klassischer Geisterhaus-Horror, dessen durchaus vielschichtige Hauptfigur durch Privatprobleme belastet einem bösartigen Spuk und einem kriminellen Kapitalisten-Clan trotzen muss. Die Autorin jongliert mit zu vielen Plot-Bällen und verliert allmählich die Übersicht: Solide geschrieben, aber zu viele gute Absichten und Klischees.
Tiffany D. Jackson, Festa
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