Fourth Wing - Flammengeküsst (1)
- dtv
- Erschienen: Juni 2023
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Ein Buch wie ein Blitzeinschlag, mit dem Potenzial, die Massen zu spalten.
In aller Munde
Kaum ein Buch war in den letzten Wochen im Bereich der Fantasy so sehr in aller Munde, wie Rebecca Yarros Fourth Wing. Die Drähte auf Booktok (TikTok) und Bookstagram (Instagram) liefen heiß und es wurden rigoros Meinungen und Eindrücke ausgetauscht. Es entstand ein regelrechter Hype um dieses schön designte Buch aus dem Hause „dtv“. Doch was ist dran an diesem Höhenflug? Handelt es sich tatsächlich um ein waschechtes Highlight oder trügt der Schein und der Flug endet unsanft auf dem Boden der Tatsachen?
Tödliches College
Violet Sorrengail ist berühmt. Sie ist die jüngste Tochter der Generalin Sorrengail, die vor allem zwei Dinge in sich vereint: Ehrgeiz und Kaltherzigkeit. Violet wird von den Plänen ihrer Mutter unfreiwillig mitgerissen und findet sich im Nu im Auswahlverfahren des Basgiath War College wieder, um zu einer der berüchtigten Drachenreiter ausgebildet zu werden. Seit ihrer Kindheit träumt die junge Sorrengail jedoch davon, Schriftgelehrte zu werden, um sich die Nächte mit Berichten und Büchern um die Ohren zu schlagen. Rein körperlich scheint sie dazu wie geschaffen zu sein, denn sie ist klein und ihre Knochen schwach. Somit ist sie nicht unbedingt für den beschwerlichen Dienst als Drachenreiter gewappnet. Das nützt jedoch alles nichts, wenn die eigene Mutter die Befehlsgewalt über einen hat und entscheidet, dass sich die Tochter dem tödlichsten Auswahlverfahren stellen soll, was Navarre zu bieten hat.
Die Ausbildung zum Drachenreiter ist skrupellos und nichts für Schwächlinge. Die Anwärter werden täglich gedrillt, müssen gegeneinander kämpfen und tödliche Herausforderungen überstehen, um sich schlussendlich den Drachen zu stellen, in der Hoffnung, erwählt zu werden. Die Drachen sind keineswegs stumpfsinnige Echsen, sondern ebenso intelligente Wesen wie ihre Reiter, die in Symbiose mit den Menschen leben und dabei ihre ganz eigenen Interessen verfolgen. Die fliegenden Echsen, die nur mit den Stärksten und Mutigsten eine Verbindung eingehen und die vermeintlich Schwachen schlichtweg zu Asche verbrennen, sind in der Lage, Magie zu kanalisieren und an die Menschen zu übertragen. Durch diese Vereinigung erlangen die Reiter einzigartige Fähigkeiten, die genutzt werden, um die Landesgrenzen Navarres zu verteidigen. Diese sind von einem kreisförmigen Schutzschild umgeben und lassen Navarres Bewohner in scheinbarer Sicherheit leben. Um sowohl den Schild als auch die Grenzen zu schützen, werden jedes Jahr neue Anwärter ausgebildet und den Drachen zum Binden vorgesetzt.
Diesem Kreislauf sieht sich unsere Heldin nun ausgesetzt. Es ist ein einziger Kampf um das Überleben, an einem der tödlichsten Orte der Welt, umgeben von gefährlichen Drachen, Mitstreitern, die ihr an die Kehle wollen, und Xaden, dem verdammt gutaussehenden Erzfeind ihrer Familie.
Die Geschichte außerhalb des War Colleges dient die meiste Zeit eher als Kulisse und hat wenig Einfluss auf das Geschehen. Das ändert sich jedoch schlagartig gegen Ende des Buches und der Roman mündet in einem fulminanten Finale.
Heldin mit Biss
Das Buch ist fast ausschließlich aus Sicht von Violet geschrieben, die von Beginn an mit ihren fehlenden körperlichen Fähigkeiten zu kämpfen hat. Die meisten ihrer Mitstreiter halten sie für schwach und bei den Reitern falsch aufgehoben. Violet bekommt dies tagein und tagaus zu spüren. Der Leser lässt sich jedoch nicht von diesem Getue blenden und stellt schnell fest, Violent ist eine Heldin mit Biss, die es verdammt gut versteht, ihre körperlichen Nachteile durch Willenskraft und Cleverness wett zu machen. Es ist eine Freude, jeden einzelnen Etappensieg mit Violet mitzuerleben. Mit der Zeit entwickelt sie sich zu einer ebenso tödlichen Waffe wie ihre Mitstreiter. Da das Buch lediglich Violets Sicht der Dinge beleuchtet, bedarf es eines abwechslungsreich gezeichneten Charakters, um den Leser bei der Stange zu halten. Der Autorin ist dies mit der jungen Sorrengail hervorragend gelungen. Sie ist das Herzstück des Werkes und kann stolz von sich behaupten, eine starke weibliche Protagonistin zu sein.
Niemand ist perfekt, oder?
Auch wenn ich im vorherigen Absatz ein kleines Loblied auf Violet gesungen habe, so dürfen wir eins nicht vergessen: Niemand ist perfekt. Auch Violet hat Ecken und Kanten. Mal abgesehen von den bereits beschriebenen Defiziten, zeichnet unsere Heldin insbesondere eine Schwäche aus: Xaden Riorson, der personifizierte Perfektionismus. Der aufmerksame Leser wird jetzt sicher anmerken, dass ich mich nun in einem Widerspruch verzettelt habe. Deswegen erbitte ich mir noch etwas von eurer Zeit, um in den nächsten Zeilen dieses vermeintliche Paradoxon aufzuklären.
Xaden Riorson ist Violets Gegenspieler. Er ist der Sohn eines Landesverräters und als solcher durch ein Rebellionsmal gekennzeichnet. Er lebt nur auf Gnaden des Königs und unter der Auflage, sich als Drachenreiter zu verdingen. Xaden musste mitansehen, wie sein Vater hingerichtet worden ist. Den Befehl dazu gab keine geringere als Violets Mutter. Xaden, der sich im dritten und letzten Jahr am War College befindet, weiß sofort wen er vor sich hat, als Violet ihren Dienst bei den Reitern antritt. Für den Rebellensohn ist klar, er will Violet tot sehen und ihr Ableben genießen. So weit, so schlecht. Violet kann Ihrer Liste an Gefahren einen weiteren Punkt hinzufügen und fett unterstreichen. Sie sollte sich fürchten und alles dafür tun, Xaden aus dem Weg zu gehen, wäre da nicht sein umwerfend gutes Äußerliches, was Violet magisch anzuziehen scheint. Die Autorin lässt nichts aus, um den Lesern zu verdeutlichen, wie verdammt gut Xaden Riorson aussieht. Ich könnte jetzt beginnen mich über dutzende Zeilen darüber auszulassen, welche Attribute, die gemeinhin als Schönheitsideal gelten, auf Xaden zutreffen. Das, liebe Leser, erspare ich euch jedoch, damit das Ganze hier nicht ausufert.
Diese Szenen sind es, die das Potential haben, die Leserschaft zu spalten. Dabei hat jede Sicht der Dinge ihre Daseinsberechtigung. Was den einen Leser kopfschüttelnd die Seiten umblättern lässt, ist für andere Leser ein pulsbeschleunigendes Kopfkino. Aus meiner Sicht hätte dem Miteinander zwischen Xaden und Violet ein wenig mehr Normalität gutgetan, ganz nach dem Motto: Weniger ist manchmal mehr. Das hätte das Kopfkino geerdeter wirken lassen und dazu beigetragen, die Stimmung des nahenden Todes, die in weiten Teilen des Buches präsent ist, nicht unnötig aufzureißen. Ein Buch lebt von seiner Atmosphäre und sollte diese dem Leser zugänglich und nachvollziehbar machen. Hier jedoch fällt es einem gelegentlich schwer, an der spannungsgeladenen Atmosphäre festzuhalten, wenn z.B. gleich zu Beginn des Buches Violets berechtigte Todesangst durch Xadens Erscheinungsbild fast vollständig weggespült wird. Das ist deswegen besonders schade, weil die Beziehung der beiden auch viele andere tolle Elemente zu bieten hat, ohne dass es die ganzen Schönheitsideale gebraucht hätte.
Violet merkt ziemlich schnell, dass sie Xaden verfallen ist und das obwohl ihm Arroganz und Überheblichkeit aus jeder Pore zu fließen scheinen. Doch die Ereignisse der Handlung stellen die beiden vor Herausforderungen, die sich nur gemeinsam lösen lassen. Dabei gelingt es Rebecca Yarro gekonnt, die Entwicklung der beiden Protagonisten häppchenweise zu kredenzen, um den Leser mit einer erfrischenden Leichtigkeit durch die knapp 800 Seiten zu führen.
Kopfkino par excellence
Die Drachen sind ein Highlight dieses Werkes. Es gibt sie in den unterschiedlichsten Größen und Farben. Der Autorin gelingt es ausgezeichnet, die fliegenden Echsen mit Worten vor unserem inneren Auge zum Leben zu erwecken.
Kommuniziert wird mit den Drachen per Gedankenübertragung. Auch Violet muss sich irgendwann der Herausforderung stellen, eine Verbindung mit einem Drachen einzugehen. Hier werden Spannung und Gänsehautmomente geboten.
Im Laufe der Handlung verbleiben einige Aspekte der Drachen noch im Verborgenen und machen Lust auf mehr. Leider wirft das rasante Ende bezüglich der eigenständigen Gemeinschaft der Drachen einige Fragen auf, die einer Aufklärung bedurft hätten. So wird der Leser alleingelassen mit der Problematik, ob alle Puzzleteile tatsächlich ineinanderpassen.
Fazit:
Lange Rede, kurzer Sinn: Fourth Wing hat wie so vieles andere auch (außer Xadens Erscheinungsbild) Ecken und Kanten. Das ist aber nicht weiter schlimm, denn das Gesamtpaket trifft ziemlich genau ins Schwarze. Wir bekommen Magie, Drachen, eine starke Protagonistin und eine prickelnde Lovestory präsentiert. Unterm Strich also eine absolut gelungene Unterhaltung.
Rebecca Yarros, dtv
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