Von all den Wundern in Oxford schien Babel ihm das unmöglichste zu sein – ein aus der Zeit gefallener Turm, eine Vision wie aus einem Traum
Die Magie der Übersetzung
Rebecca F. Kuang, bekannt durch die „Im Zeichen der Mohnblume“-Trilogie, widmet sich in ihrem neuen Roman „Babel" der Kolonialzeit der 1830er Jahre. Sie würzt ihr historisches Setting mit etwas künstlerischer Freiheit und mit einer spannenden Idee von Magie.
Das britische Empire erlebte nach dem Sieg über Napoleon die Blüte seiner Macht. Doch die Elite des Königreiches ist weiterhin ehrgeizig und will den Status quo ausbauen, koste es was es wolle. In Kuangs Version des frühen 19. Jahrhunderts sind Sprachen und Silber die wichtigsten Rohstoffe und das Fundament der Stärke Groß Britanniens.
Die Stadt Oxford ist der Mittelpunkt der Macht des Empires. Dort befindet sich der Turm Babel - das königliche Institut für Übersetzung. Hier wird alles Wissenswerte über die unterschiedlichsten Sprachen der Welt gesammelt. Außerdem ist Babel Vorreiter des weltweiten Silberwerkens. Die talentiertesten Sprachwissenschaftler Babels sind in der Lage, verloren gegangene Bedeutungen innerhalb von Übersetzungsprozessen in Silberbarren zu manifestieren. Dadurch wird das Silber zum Träger von Magie und lässt sich für die verschiedensten Zwecke verwenden. Schiffe fahren schneller, die industrielle Maschinerie funktioniert effizienter oder Waffen werden tödlicher.
„Und auch ein goldener Käfig, war immer noch ein Käfig.“
(R.F. Kuang in "Babel" )
Robin Swift, in China geboren, verliert wegen eines Choleraausbruchs seine Familie. Er selbst wird von einem Professor des königlichen Übersetzungsinstituts gerettet und nach England gebracht. Robin hat ein Faible für Sprachen. Es spricht fließend Chinesisch und Englisch und ist somit ein potentiell mächtiges Werkzeug für das britische Großreich. Zusammen mit seinen Kommilitonen erhält er das Privileg in Babel zu studieren.
Über dieses Privileg müssen wir aber sprechen. Denn Kuang stellt in ihrem Roman auch ernstere Themen ins Schaufenster. Der durch und durch rassistisch geprägte Kolonialismus, Sklaverei, als auch die Rechte der Frauen sind fester Bestandteil dieses Romans. Unser Held und die anderen toll kreierten Charaktere haben zu jeder Zeit massiv mit Vorurteilen und Rassismus zu kämpfen.
Da uns das Buch innerhalb des historischen Kontextes an tatsächlich stattgefundenem Rassismus und Unterdrückung teilhaben lässt, erreicht die Autorin in ihrem Fantasyroman ein tieferes Erlebnis und Bewusstsein für die Falschheit von Unterdrückung aufgrund von Herkunft, Hautfarbe und Geschlecht. Diese Aspekte tragen ungemein zur Atmosphäre des Buches bei und lassen einen hier und da auch mal nachdenklich zurück.
Robin und seine liebgewonnenen Freunde sind auf Geheiß des Empires aus verschiedenen Kolonien nach England gelangt. Mit Nächstenliebe hat dies nichts zu tun. Vielmehr geht es dem Empire darum, durch die koloniale Sprachenvielfalt mehr Wissen anzuhäufen, um hierdurch seine Vormachtstellung auszubauen. Großbritanniens Herrschaftsschicht sieht in der Ermöglichung des Studierens an der renommiertesten Universität der Welt für die Gruppe rund um Robin ein Privileg. Da sie dieses Privileg sowohl Ausländern als auch Frauen gestattet, fordert sie ewige Dankbarkeit und Treue für das Empire. In Oxford mangelt es Robin und seinen Freunden an nichts. Für ihren Lebensunterhalt ist gesorgt. Sie haben die Freiheit, sich einzig und allein auf ihr Studium zu konzentrieren. Auf der anderen Seite spüren sie jedoch immer wieder, dass sie aufgrund ihrer Abstammung kein vollwertiges Mitglied der Gesellschaft sind.
Diese Gegensätzlichkeiten zehren an unseren Protagonisten. Als dann auch noch ein geheimer Gegenspieler aus dem Dunkel tritt, der nichts weniger im Sinn hat als das Empire zu stürzen, werden Robin und seine Freunde auf eine Bewährungsprobe gestellt.
Hogwarts Vibes
Kuangs erschaffenes Oxford ist liebevoll gestaltet und strotzt nur so vor Details. Das Buch begleitet Robin und seine Freunde über viele Abschnitte ihrer Studien. Blendet man die von Vorurteilen geprägten Aspekte des alltäglichen Lebens aus, so wird man an Harry Potter und sein Leben in Hogwarts erinnert. Nur dass Robin und seine Freunde alle eher der strebsamen Hermine Granger ähneln.
Robin lernt zu Beginn seiner Zeit in Oxford seine drei Kommilitonen kennen. Da wäre Ramy aus dem indischen Kalkutta, Victoire aus dem fernen Haiti und die heimische Letty. Schnell schließen sich die Vier ins Herz und helfen sich gegenseitig den stressigen Universitätsalltag zu bewältigen. Die vier Protagonisten sind umfassend und liebevoll ausgestaltet und haben ihre eigene interessante Geschichte. Dabei erfahren wir überwiegend aus der Sicht Robins mehr über das Leben seiner Freunde.
Im Laufe der Geschichte verstrickt sich das Quartett immer mehr in die Machenschaften des Empires und den geheimnisvollen Gegenspieler. Kuangs Fokus liegt dabei mehr auf der ausgefeilten Entwicklung der Charaktere und auf den Tücken der Übersetzungen als auf großen Spannungsbögen. Mit viel Liebe zum Detail werden die unterschiedlichsten Wortpaare, gemeint sind Wörter, die in verschiedenen Sprachen vermeintlich dieselbe Bedeutung haben, skizziert und erklärt. Das muss man mögen, trägt aber viel zu der Atmosphäre des Romans bei.
Fazit:
Die Geschichte rund um das königliche Institut für Übersetzung ist liebevoll ausgestaltet. Es macht ungemein Spaß Robin bei seinen Studien und seinem Kampf gegen einen schier übermächtigen Gegner zu verfolgen. Eingebettet ist die Geschichte durch ihre größtenteils historische Echtheit in eine faszinierende Atmosphäre. Kuangs Roman gibt uns auch eine Botschaft mit, denn Rassismus ist leider im realen Leben immer noch ein Thema. Es liegt an uns, den Kampf um die Akzeptanz der Vielfalt des menschlichen Lebens immer weiter voranzutragen.
Rebecca F. Kuang, Eichborn
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