Aus dem Nebel

  • Heyne
  • Erschienen: Juni 2023
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Aus dem Nebel
Aus dem Nebel
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Michael Drewniok
80°1001

Phantastik-Couch Rezension vonOkt 2023

Hightech plus Grusel aus der Vergangenheit

Nach vielen Jahren kehrt Journalist Nick Bishop in die kleine Stadt Hammel im US-Staat Maine zurück. Hier ist er aufgewachsen, hier starb sein Vater bei einem Verkehrsunfall, und hier lebt in einem Heim seine Mutter, die nach einem Schlaganfall dement geworden ist und den Sohn nicht mehr erkennt.

Bishop kehrt nicht freiwillig zurück. Er ist arbeitslos, und ein Jugendfreund bietet ihm einen gut dotierten Gefälligkeitsjob an. In Hammel hat sich der Jungunternehmer Bryce Lermond angesiedelt, dessen Start-Up ein wenig Publicity brauchen könnte. Bishop lässt sich im alten Blockhaus der Familie am Ufer des Rosewater Pond nieder. Von Lermonds geplanter App, die gegen Depressionen und Albträume helfen soll, ist er wenig beeindruckt. Eher freut ihn das Wiedersehen mit Jugendfreundin Renee Holland, die für Lermonds Firma arbeitet.

Alles ändert sich, als Bishop besagte App testet. Sie beschert ihm nächtlichen Gespensterbesuch sowie die allmähliche Erinnerung an ein schreckliches Ereignis, das einst aus seinem Hirn getilgt wurde. Dies gelang seiner Mutter, damals eine berühmte Neurowissenschaftlerin, die dem Sohn helfen wollte sein Trauma zu überwinden.

Lermond baut auf diesen Forschungen auf. Doch er sieht vor allem enormen militärischen sowie wirtschaftlichen Nutzen darin. Deshalb treibt er die Entwicklung des Programms in eine düstere Richtung: In die App fließen nicht nur die Erkenntnisse moderner Hirn- und Nervenforschung ein. Lermond ist einer alten Macht auf die Spur gekommen, die am Rosewater Pond bis in die Gegenwart überdauert hat und dafür sorgt, dass aus der App eine tödliche Waffe werden könnte …

Digitale Grüße vom Fliegenden Holländer

Leicht ist es nicht, erzählten Grusel so zu variieren, dass er nicht in schon tief ausgetretenen Vorgängerspuren steckenbleibt. Dies gilt erst recht, wenn der Schrecken „klassisch“ bleiben soll, was das Motivspektrum auf sattsam bekannte Horror-Gestalten wie Vampir, Werwolf oder Gespenst einschränkt.

In unserem Fall treibt das Gespenst sein Unwesen; dies allerdings in der Mehrzahl, da es der wie üblich überforderte ‚Held‘ mit einer ganzen Schiffsladung wütender Geister zu tun bekommt. Sie wurden in ein spukhaftes Zwischenreich geworfen, in denen es ihnen überhaupt nicht gefällt. Autor Scott Carson bemüht sich weidlich, dies durch anschauliche Beschreibungen dieses abscheulichen Ortes zu unterstreichen.

Die Gefahr für Nick Bishop, den besagten ‚Helden‘, liegt darin, sich in die Galerie der Geister einreihen zu müssen, wenn er den auf seinen Schultern lastenden Fluch nicht abwenden kann. Gespenster suchen bekanntlich vor allem Pechvögel heim, die sie für ihren in der Regel unerfreulichen Tod verantwortlich machen. Sie wollen Rache und/oder Erlösung, wobei die Latte hoch aufliegt: Geister sind nicht für ihre Geduld bekannt. Außerdem äußern sie sich notorisch undeutlich, weshalb gerätselt werden muss, was verlangt wird. Wer in Spuknot gerät, steht darüber hinaus stets unter Zeitdruck. Tod und Verdammnis drohen, wenn den Forderungen aus dem Jenseits nicht Genüge geschieht!

Zusätzlicher Ärger im Diesseits

Um auf Nummer Sicher zu gehen, addieren die Erzähler einer solchen Geistergeschichte gern weltliche Verwicklungen zum unheimlichen Geschehen; dies auch deshalb, weil es hilft, die Handlung auf Romanlänge zu bringen (und in einer späteren Verfilmung kostspielige Spezialeffekte zu vermeiden). Folgerichtig muss auch Nick Bishop sich mit einem Finsterling plagen, der übermächtig im Hintergrund lauert und ihn als Versuchskaninchen missbraucht.

Auslöser ist ein (nicht wirklich definierter) ‚Gesang‘, mit dessen Hilfe man eigentlich sterbenden Mitmenschen Trost und Frieden bringen kann. Werden Melodie und Text verändert, lassen sich freilich Portale zu jenseitigen Winkeln öffnen, die man besser meiden sollte. Selbstverständlich wird genau diese (Binsen-) Weisheit vorsätzlich ignoriert, woraufhin sich das gruselig Böse freistrampeln kann. Allerdings wollen diese Geister anders als alte Hunde keine wirklich neuen Tricks mehr lernen; unsere untoten Seemänner haben ohnehin keine Ahnung, dass man sie für eine Spuk-App zwangsrekrutieren will.

Wie so oft sollte man als Leser lieber nicht allzu intensiv über den Sinngehalt des Plots nachdenken. Übel-Nerd Bryce Lermond will einen ohnehin höchstens halb verstandenen ‚Zauberspruch‘ in eine digitale Waffe verwandeln. Leider ist er eine schwache Figur. Carson zeichnet ihn als trügerisch zerstreuten, oberflächlich liebenswerten Weltverbesserer, aus dem allzu abrupt zum typischen, also irren Bond-Bösewicht mutiert. Wirklich bedrohlich wirkt er nicht, zumal ihn Carson eher marginal in sein Garn einbindet.

Hirn auf Spuk-Empfang

Überhaupt ist der Plot nie wirklich originell - Alt-Spuk und Hightech verweigern eine plausible Verbindung -, wird aber solide und gut erzählt. Um Nick Bishop in diese wüste Story zu verwickeln, wird eine umständliche, über viele Seiten enthüllte Vorgeschichte erforderlich. Wie so oft klingt sie vor der Aufklärung wesentlich vielversprechender; im großen Finale sprechen ungeachtet der mitwirkenden Gespenster wie so oft in der US-amerikanischen Unterhaltung großkalibrige Waffen eine wichtige Rolle.

Wieder so oft (bzw. immer) darf man die ‚Zitate‘ beeindruckter Schriftstellerkollegen, die werbewirksam auf das Cover gedruckt wurden, nicht für bare Münze nehmen. Dass dem Horror hier „ein neuer Großmeister“ entstanden ist, wie angeblich Michael Connelly (der übrigens Krimis, aber keinen Horror schreibt) behauptet, ist generell Unfug. „Scott Carson“ ist ein nicht gerade sorgfältig gehütetes Pseudonym. Dahinter ‚verbirgt‘ sich der fleißige Autor Michael Koryta, der bereits unter seinem Geburtsnamen eine ganze Reihe ähnlich gelagerter Mystery-Romane, aber auch Thriller veröffentlicht hat.

Koryta kann schreiben; seine Schwäche sind Plots, die verheißungsvoll eingeleitet werden, um im letzten Drittel ins Konventionelle abzugleiten. Auch das ‚Debüt‘ von „Scott Carson“ - der hierzulande bereits erschienene Horrorroman „Chill“ - leidet darunter. „Aus dem Nebel“ ist ungeachtet der genannten Einwände standfester. Hier kann man sich gruseln, ohne abschließend enttäuscht zu sein.

Fazit:

Trotz eines Hightech-Plots sehr konventionelle Spukgeschichte, die immerhin gut entwickelt und erzählt wird, weshalb die künstlich verwickelte, eigentlich umständliche Story bis ins übliche, d. h. von Geisterwut bestimmte Finale gut über die Runden kommt.

Aus dem Nebel

Scott Carson, Heyne

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