Projekt Pluto

  • Heyne
  • Erschienen: Juli 2023
  • 1
Projekt Pluto
Projekt Pluto
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Michael Drewniok
65°1001

Phantastik-Couch Rezension vonSep 2023

Licht am fernen Ende des Sonnensystems

In einer zeitlich nicht fixierten Zukunft hat die Menschheit die überbevölkerte, ausgelaugte Erde verlassen, um andere Planeten und große Monde des Sonnensystems für eine Besiedlung zu erschließen. Da diese Orte entweder glühend heiß (Merkur) oder eisig kalt (Mars) und ohne Atmosphäre sind, werden sie dem „Terraforming“ unterworfen. Diese Supertechnik ermöglicht die allmähliche Angleichung selbst unwirtlicher Himmelskörper an irdische Verhältnisse.

Aktuell nimmt man diesbezüglich den Zwergplaneten Pluto ins Visier. Er dreht weit entfernt von der Sonne seine Bahn. Die Temperatur liegt hier nur wenig über dem absoluten Nullpunkt, es ist ständig dunkel. Selbst Funksprüche sind in jeder Richtung 19 Stunden unterwegs, bis sie ihre Empfänger erreichen.

Ein Terraforming-Team reist an, um das Projekt „Plutoshine“ zu starten. Es fordert u. a. den Bau eines Kollektorspiegels, der die raren Sonnenstrahlen bündeln und die Erwärmung des Zwergplaneten ermöglichen soll. Die Gruppe arbeitet mit jenen Kolonisten zusammen, die den Pluto bereits im Schutz einer Station bewohnen.

Die Arbeiten sind aufwändig und gefährlich, denn man setzt buchstäblich kosmische Gewalten ein, um Pluto in eine menschenfreundliche Welt zu verwandeln. Es kommt zu gefährlichen Zwischenfällen, die an Relevanz gewinnen, als feststeht, dass Sabotage die Ursache ist. Offensichtlich gibt es Kräfte, die Pluto im Urzustand belassen sehen wollen. Hängt dies mit der vagen Ahnung eines womöglich intelligenten Lebens zusammen, das mancher auf Pluto vermutet …?

Spiel mit faktengebundener Fantasie

Die Engländerin Lucy Kissick gehört zu jenen Naturwissenschaftlern, die ihrer fachlich geprägten (und manchmal getrübten) Fantasie Ausdruck verleihen, indem sie reale und aktuell fixierte Kenntnisse schriftstellerisch nutzen. Die Science Fiction liegt als Genre in diesem Fall nahe, da Kissick einerseits hauptberuflich als Nuklear-Chemikerin tätig, während sie außerdem in ein Projekt involviert ist, das die ausgetrockneten Seen des Mars’ und die Auswirkung dieses Prozesses auf die Atmosphäre des heute unwirtlichen Nachbarplaneten der Erde untersucht.

Auf dieser Basis dieses Wissens entstand „Projekt Pluto“. Den einst neunten Planeten unseres Sonnensystems, der 2006 seinen Status einbüßte und zum „Kleinplaneten“ herabgestuft wurde, hatte sich die Sonne einst aus dem äußeren Planetoidengürtel gefischt. Pluto wurde für Kissick storytauglich, als er 2015 vom Satelliten „New Horizons“ umkreist wurde. Dessen Kameras schoss erstmals glasklare Fotos vom bisher nur verschwommen gesichteten Himmelskörpers. Dass Pluto kein Gasball wie Jupiter, Saturn, Uranus und Neptun ist, sondern (theoretisch) angeflogen und betreten werden kann, macht ihn zusätzlich interessant.

In der von Kissick geschilderten Zukunft hat der Mensch Pluto bereits besiedelt. Doch man plant mehr, will den Eisball in eine warme Welt mit atembarer Atmosphäre verwandeln, um einer Menschheit Raum zu bieten, die der Erde beinahe sämtliche Ressourcen abgerungen hat und nun den Blick nach ‚oben‘ richtet. Schon mehrfach ist das „Terraforming“ fremder Welten gelungen, aber auch katastrophal gescheitert.

Hehrer Plot und schnöde Handlung

Nun kommen die Terraformer zum (oder über) Pluto. Das ehrgeizige Projekt wird von der Autorin ausführlich in die Handlung integriert. Dennoch ist „Projekt Pluto“ kein Werk einer klassischen „hard science fiction“, die in ihrer reinen Form heutzutage selten geworden ist. Der menschliche Faktor soll dem naturwissenschaftlich-technischen Aspekt keineswegs untertan sein. Deshalb nehmen die privaten Befindlichkeiten der Figuren mindestens ebenso viel Raum ein wie die Herausforderungen des fernen Weltalls.

Damit beginnen die Probleme; nicht unerwartet, weil Lucy Kissick keine besonders gewandte Autorin ist. Sie steht am Beginn einer möglichen Schriftstellerlaufbahn, „Projekt Pluto“ ist ihr Romandebüt. Kissick hat die ‚harte‘ Seite ihres SF-Garns im Griff, denn sie kann (s. o.) auf eine mehrjährige Erfahrung fremdplanetarer Forschung zurückgreifen. Sie extrapoliert dieses Wissen und ist bemüht, dem daraus entwickelten Geschehen Glaubwürdigkeit verleihen. Zudem beherrscht Kissick die Kunst der Beschreibung. Pluto, dieser wahrlich tiefgefrorene Stein- und Eisball in ewiger Halbdunkelheit, entwickelt sich unter ihrer Feder zu einem mythischen Ort voller Schönheit.

Leider treten immer wieder die Figuren in diese schönen Bilder. Sie handeln, aber vor allem reden und leiden sie, denn sie sollen ‚interessant‘ sein, da einer verbreiteten Ansicht zufolge nur das Gründeln in den Untiefen der menschlichen Seele Profiltiefe generiert. Dies versucht Kissick durch die Erschaffung einer breiten Palette individuell gemeinter, aber stereotyp überspitzter Charaktere. Da haben wir den genialen, mitfühlenden Lucian Merriweather, den kalten, mysteriösen Edmund Harbour und natürlich Nou, das Wunderkind, ‚zufällig‘ überall anwesend, wo Handlungsrelevantes geschieht; verletzlich, klug und ebenfalls ‚zufällig‘ die Kontaktperson jener außerirdischen Intelligenz, die es auf Pluto verschlagen hat.

War nicht die Rede von Außerirdischen?

Man sollte meinen, dass der Erstkontakt mit diesem Wesen als zweiter Handlungsstrang mehr als genug Stoff für Verwicklungen und Zwischenfälle bietet. Die Spannung liegt im zum einen im möglichen Scheitern und zum anderen im potenziell gefährlichen Missverständnis, was den menschlichen Erfindungsgeist und damit den Einfallsreichtum der Autorin fordert. In der Tat geht eine Menge schief, doch Kissick setzt dies eher planlos um. Mal ist Lucian Saboteuren auf der Spur und rettet „Plutoshine“ vor allerlei plump eingefädelten Anschlägen, um urplötzlich auf die Suche nach den ‚wahren‘ Plutoniern umzuschwenken. Die machen dann wieder eine Pause, damit sich Lucian erneut „Plutoshine“ widmen kann.

Sein (und Kissicks) zweites Projekt ist Nou. Die Autorin lässt es menscheln, dass die Schwarte kracht! Kinder sind heikle Handlungspersonen, da sie leicht ‚außer Kontrolle‘ geraten, d. h. altklug oder sogar völlig ‚unkindlich‘ agieren. Nou ist in dieser Hinsicht ein unrühmliches Beispiel. Sie erregt kein Mitgefühl, wird nie zur Identifikationsfigur, sondern bleibt ein Fremdkörper bzw. ein Ärgernis: Viel zu viele Seiten füllt Kissick mit Lucians offenbar herzerwärmend gemeinten Bemühungen, die schockverstummte Nou wieder zum Sprechen zu bewegen sowie endlich damit herauszurücken, was und wen sie in einer Eishöhle entdeckt hat. (Diesen Punkt mag freilich primär dieser Rezensent, der Seifenoper-Elemente in der Phantastik hasst, so kritisch sehen.)

Den Außerirdischen sollte man ihre Weltfremdheit zugutehalten, da sie sonst trotz behaupteter Weisheit aus Äonen recht disparat agieren. Erst halten sie sich im Hintergrund und behaupten Überlegenheit und Gleichgültigkeit gegenüber „Plutoshine“, dann kommen sie unvermittelt und von Kissick nie wirklich begründet aus der Deckung und streben nach Zusammenarbeit mit den Menschen. Bis es soweit ist, geben sie sich außerirdisch und verwandeln u. a. Pluto-Möchtegern-König Harbour Senior in einen Koma-Patienten, der selbstverständlich rechtzeitig erwacht, um ins Finale einzugreifen.

Ungeachtet solcher Stolpersteine wurde „Projekt Pluto“ für den „Arthur-C.-Clarke-Award“ 2023 nominiert, der jedoch an einen anderen Roman ging; verständlich, und dies vor allem, wenn man Kissicks Plutonier mit Clarkes (und Stanley Kubricks) Konzept einer wirklich fremdartig bzw. überlegen wirkenden Intelligenz in „2001 - Odyssee im Weltraum“ vergleicht.

Fazit:

Eine nicht neue, aber solide Idee wird zur Basis eines Science-Fiction-Romans, dessen eindringlich geschilderten Kulissen zu Schauplätzen einer sprunghaften und mit stereotyp ‚emotionalisierten‘ Figuren besetzten Handlung wird: SF-Roman mit hohem Anteil von Luft - vor allem nach oben.

Projekt Pluto

Lucy Kissick, Heyne

Projekt Pluto

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