Moorläufer - Im Reich des letzten Drachen

Milan ist angehender Torfstecher, doch eine Wahl hat er nie gehabt. Seine Familie gehört seit Anbeginn der Zeit dieser besonderen Zunft an, deren Mitglieder ins Moor hinausgehen, um den wertvollen Nachttorf zu stechen. Doch obwohl sie eine wichtige Aufgabe erfüllen, schauen die anderen Städter auf sie herab. Sie sind Außenseiter, ohne Hoffnung, dass sich an ihrem schwierigen und entbehrungsreichen Leben je etwas ändern wird. Als Milans Schwester von dem Nachtwyrm, einem Moordrachen, getötet wird, setzt dies in Milans Familie jedoch eine Entwicklung in Gange, die alles verändern könnte.

Das Moor steckt voller Geheimnisse

Irrlichter, Moorelfen, Sumpfkriecher, Moorweihen und die allgegenwärtige Gefahr des mysteriösen Nachtwyrms – das ist mal ein Setting, das dem bisher wenig beachteten Moor endlich eine literarische Bühne bietet. Boris Koch hat hier alles gegeben, um das volle Potenzial aus diesem besonderen Schauplatz herauszukitzeln. Die düstere Atmosphäre ist schaurig-schön: Das Moor sieht man nicht nur vor dem geistigen Auge, man riecht und spürt es sogar förmlich. Das Setting ist zwar nur Kulisse für die sich entfaltenden Konflikte, trotzdem ist es das Beste an dem ganzen Buch.

Ganz viel und doch zu wenig

Der Tod von Milans Schwester und die mysteriösen Umstände verlangen von der Familie viel ab – und verschlimmern den schwelenden Vater-Sohn-Konflikt, unter dem Milan leidet. Sein Vater und die Gesellschaft der Torfstecher legen viel Wert auf Ehre und Loyalität, individuelle Wünsche und Träume haben da keinen Platz. Da ist es natürlich sehr ungeschickt, dass Milan sich Hals über Kopf in Khyra verliebt hat, der nachgesagt wird, sie stamme von einem Moorelfen ab. Denn die Torfstecher und allen voran Milans Vater sind nicht unbedingt die tolerantesten Zeitgenossen.

Was folgt, ist eine Charakterstudie, die mitunter zwar ganz interessant ist, aber leider die ersten zwei Drittel des Buches einnimmt, ohne dass irgendetwas Nennenswertes passieren würde. Milans Gedanken drehen sich ständig im Kreis und wiederholen sich in einem Maße, dass man beim Lesen immer mehr in einem Sumpf aus Schuldzuweisungen und Fragen nach dem Sinn zu versinken droht. Immer wieder lesen wir über Milans immer gleiche Überlegungen ausgelöst durch die immer gleichen Konflikte mit dem Vater und das immer gleiche ungerechte Leben der Torfstecher.

Doch Rettung naht: Obwohl Milans Probleme weiterhin munter auf der Stelle treten, bahnt sich im letzten Drittel eine Handlung an. Wobei „anbahnen“ irgendwie das falsche Wort ist, denn eigentlich passiert alles auf einmal; die Ereignisse überschlagen sich und dann ist es auch schon vorbei. Dabei geht die Geschichte in eine Richtung, die man nicht erwartet hätte, und das ist nicht unbedingt positiv zu bewerten. Zudem löst sich alles zu sehr in Wohlgefallen auf, ohne dass das den Konflikten um Vater, Sohn und Gesellschaft gerecht werden würde.

Fazit:

Es gibt einige spannende Ansätze, aber die Geschichte verzettelt sich zu sehr in Milans innerem Chaos und versucht am Ende viel zu schnell die Probleme zu lösen. Das außergewöhnliche Setting und der typische Schreibstil von Boris Koch können das Ganze aber noch retten.