Alien - Die Entstehungsgeschichte
- Cross Cult
- Erschienen: Oktober 2023
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Die Erschaffung des „perfekten Organismus“… in Wort und Bild
Anfang und (noch kein) Ende
Ich erwähnte bereits an anderer Stelle, dass ich nicht der größte Fan des Regisseurs Ridley Scott bin. Obwohl wir dem britischen Filmemacher fantastische Werke wie „Blade Runner“ (1982), „Black Rain“ (1989), „Gladiator“ (2000), „Hannibal“ (2001) oder „Black Hawk Down“ (2001) verdanken, bin ich noch immer maßlos enttäuscht darüber, wie er seinen einstigen Karriere-Einstieg „Alien“ selbst – und vermutlich in einem Ego-Wahn – zu Grabe trug. Nach dem oft gescholtenen „Prometheus“ (2012), mit dem Scott dem wegweisenden Sci-Fi-Horror von 1979 in einer eigenen Trilogie eine von „Alien“ selbst losgelöste Vorgeschichte präsentieren wollte, blieb letztendlich nur ein Trümmerhaufen zurück. Eigentlich wollte der Regisseur sich auf die Ursprünge der tödlichen Spezies besinnen, was definitiv eine interessante Reise gewesen wäre, wenn er nicht 2017 mit „Alien: Covenant“ die ganze Nummer selbst mit dem Arsch wieder eingerannt hätte. Statt die spannende Mythologie weiter zu erklären, bekamen wir ein ziemlich lustloses Mash-up der bisherigen „Alien“-Ableger, dem jegliche Kreativität und Individualität abging. Konnten die vier Franchise-Ableger jeweils mit ihren eigenen Inszenierungsstilen glänzen, die allesamt die Handschrift ihrer Regisseure (Ridley Scott, James Cameron, David Fincher und Jean-Pierre Jeunet) trugen, wirkte Scotts „Alien: Covenant“ wie ein inhaltliches B-Movie mit ziemlich hübschen Effekten. Dass Scott nun nach „Prometheus“ unbedingt wieder den zugkräftigen Namen „Alien“ im Titel haben wollte, wovon er zuvor aus Gründen der Abgrenzung von der Reihe eigentlich absah, lag unter anderem daran, dass der südafrikanische Regisseur Neill Blomkamp („District 9“, „Elysium“, „Chappie“) plötzlich mit Planungen für einen fünften „Alien“-Film für Furore sorgte. Selbst Sigourney Weaver, die eigentlich schon mit ihrer Paraderolle abgeschlossen hatte, bei den Dreharbeiten zu „Chappie“ aber von Blomkamp und dessen Planungen überzeugt wurde, und das Studio 20TH CENTURY FOX (heute Teil der DISNEY-Maschinerie) waren plötzlich voller Tatendrang, Ellen Ripley ein letztes Mal in den Kampf gegen die säureblutenden Xenomorphs zu schicken. Bis auf einen mehrseitigen Pitch und ziemlich interessante Konzeptzeichnungen, blieb es aber in dem frühen Entwicklungsstadium, bevor das Projekt schließlich ganz abgeblasen wurde. Auf zwei parallellaufende Franchise-Ableger wollte man sich bei FOX (verständlicherweise) nicht einlassen, da in der Planungsphase noch nicht absehbar war, wie Scotts „Prometheueus“-Fortsetzung (und plötzlich ganz offizielles „Alien“-Prequel) an den Kinokassen performen würde. Nun, es lief nicht so rund… weshalb die Trilogie bis heute unvollendet blieb. Stattdessen arbeitet Ridley Scott an „Gladiator II“. Eine Fortsetzung, mit der wohl niemand gerechnet hätte. Während Blomkamp sich wegen der vertanen Chance noch heute die Wunden leckt (die 2023 auch die durchwachsene Game-Adaption „Gran Turismo“ nicht heilen konnten), wird immerhin das „Alien“-Franchise unter der DISNEY-Schirmherrschaft weitergeführt. Man darf weder einen Abschluss der Vorgeschichte erwarten, noch auf eine letzte Mission für Ellen Ripley hoffen… dafür kann „Alien: Romulus“ aber mit dem Regisseur Fede Alvarez aufwarten. Mit „Evil Dead“ und „Don’t Breathe“ hat der Filmemacher aus Uruguay 2013 und 2016 zwei beachtliche Genre-Vertreter hervorgebracht, was die Vorfreude etwas ansteigen lässt. Inhaltlich ist der Streifen zwischen Scotts „Alien“ und James Camerons actionlastiger Fortsetzung „Aliens - Die Rückkehr“ angelegt. Wie „Romulus“ da genau reinpasst, wird man voraussichtlich im August 2024 sehen… obwohl man dank der zwei fragwürdigen Monster-Mash-ups „Alien vs. Predator“ (2004) und „Aliens vs. Predator 2“ (2007) auf eine nachvollziehbare Timeline eh getrost scheißen kann.
Rolle rückwärts
Nun, nachdem ich mich ausgiebig und in voller Gänze mit dem vorliegenden Coffee-Table-Klopper „Alien - Die Entstehungsgeschichte“ auseinandergesetzt habe, muss ich gestehen, dass ich dem guten Sir Ridley vielleicht etwas Unrecht getan habe. Diesem wirklich mehr als ausführlichen Werk ist es zu verdanken, dass der geneigte Leser bis ins kleinste Detail über die gesamte Entwicklung des Films aufgeklärt wird. Ganz ohne die Hollywood-typischen Lobhudeleien und dem Arschgekrieche, dass jeder am Set ein wahrer Visionär und Herzensmensch war. So erfuhr ich zum Beispiel, wieviel Herzblut der damalige Regie-Neuling Scott, der zuvor nur das Historien-Drama „Die Duellisten“ (1977) und zahlreiche Werbespots inszenierte, in das Projekt „Alien“ steckte. Es war nämlich viel mehr als eine reine Auftragsarbeit, die Scott beinahe gar nicht angenommen hätte. Generell ist es sehr überraschend, wie viele Personen in die Produktion involviert waren, die mit dem Science-Fiction-Genre nur wenig bis überhaupt nichts anfangen konnten… oder wollten.
Aller Anfang…
…ist schwer. Das bekam auch Dan O’Bannon (1946 – 2009) früh zu spüren, der zusammen mit Horror-Legende John Carpenter („Halloween“) 1974 sein filmisches Debüt mit der Sci-Fi-Parodie „Dark Star - Finsterer Stern“ gab. Trotz des Low-Budget-Charakters brachte der Film dem Drehbuchautor O’Bannon einiges an Aufmerksamkeit. Der chilenische Regisseur und Autor Alejandro Jodorowsky wollte ihn anschließend für sein geplantes Mammut-Projekt „Dune“, basierend auf dem epochalen Werk von Frank Herbert, für die Spezialeffekte haben. Ein Unterfangen, welches als wohl „monumentalster Film, der niemals gedreht wurde“ in die Hollywood-Geschichtsbücher einging. Comic-Legende Jean „Mœbius“ Giraud, Künstler Salvador Dalí, Orson Welles, Rolling Stone Mick Jagger, David Carradine, Pink Floyd und ein gewisser Schweizer Maler namens Hans Rudolf Giger, zu dem wir gleich noch genauer kommen, waren – zumindest kurzzeitig – involviert bzw. fest eingeplant. O’Bannon sah in „Dune“ seine große Chance und brach in den Staaten alle Zelte ab. Es ging ohne Umwege nach Frankreich. Nachdem das Irrsinns-Projekt (mit einer geplanten Laufzeit von rund 10(!) Stunden) aber jegliche Finanzierungs-Grenzen sprengte (das von Giraud in über 3.000 Zeichnungen visualisierte Storyboard liegt wohl noch immer gut gehütet in den Tresoren sämtlicher Filmstudios und diente seitdem für zahlreiche Filme als Blaupause), kehrte der ziemliche mittellose und niedergeschlagene Dan O’Bannon in die Staaten zurück. Besser gesagt auf die Couch von Produzent, Drehbuchautor und Kumpel Ronald Shusett. In einem wahren Schreib-Marathon hämmerte O’Bannon den ersten Entwurf von „Alien“ in die Tasten, mit dessen Idee er schon vor seinem wahnwitzigen Paris-Trip schwanger ging. Zu diesem Zeitpunkt noch weit davon entfernt in der A-Liga der Hollywood-Produktionen zu spielen, dachte man an einen handfesten B-Movie, wie Roger Corman (1926 – 2024; „Die Verfluchten“, „Das Pendel des Todes“, „Der Rabe - Duell der Zauberer“, „Der Mann mit den Röntgenaugen“) sie herunterkurbelte. O’Bannons Ideen waren keineswegs neu, denn ähnliche Storys kannte man bereits aus anderen Genre-Filmen oder den oft verpönten Pulp-Magazinen jener Zeit. Was die noch recht dünne Geschichte auf ein anderes Level hob, war einer nächtlichen Blitz-Idee von Shusett geschuldet. Und zwar die Idee, wie das fremde Wesen überhaupt erst an Bord des Raumschiffes gelangen sollte. Die Geburtsstunde dessen, was heute nicht nur Horror-Freunde als „Chestburster-Szene“ kennen. Jene Szene im Film, in der die Kreatur durch die Brust der armen Sau (im konkreten Falle die der Figur Kane, gespielt von John Hurt) bricht und allen Anwesenden das Essen versaut. Das war dann auch der Türöffner, durch den man schließlich auf den Sci-Fi/Horror-Hybriden aufmerksam wurde und sich in der Traumfabrik einen ähnlichen Hit wie zuvor „Krieg der Sterne“ erhoffte. Doch bis dahin durchlief allein das Drehbuch noch zahlreiche Phasen, was für großen Unmut bei allen Beteiligten sorgte. Bei weitem nicht die einzige Hürde…
Ikonisch…
…ist vor allem das Design des außerirdischen Wesens, von dem der Erfolg an den Kinokassen maßgeblich abhing. Man wollte sich von dem „Kerl im Kostüm“ so weit wie möglich abgrenzen, da eine solche Darstellung vom Publikum schnell als billige Lösung hätte abgetan werden können. Man wollte eher auf den Suspense-Charakter von Hitchcock setzen. Mehr Thrill an Stelle von plakativem Horror, den unzählige Splatter-Streifen abseits des Mainstreams schon zur Genüge zelebriert hatten. Trotzdem wollte man dem Publikum ein paar satte Schockeffekte bescheren, um das Grauen an Bord des Schiffes spürbar zu machen. O’Bannon brachte diesbezüglich HR Giger (1940 – 2014) ins Spiel. Er kannte den skurrilen Schweizer, der ausschließlich Schwarz trug, ja noch von seiner kurzen „Dune“-Zeit in Europa. Und Gigers grotesk-verstörende Bilder, die eine abstruse Mischung aus Sex und biomechanischen Horror-Auswüchsen des Surrealismus vereinen, schienen perfekt geeignet zu sein. Giger, dessen alleinige Erscheinung bei vielen am Set Unbehagen auslöste, definierte den „Alien“-Look. Der umgänglichste Charakter war er vielleicht nicht, steckte aber seine ganze künstlerische Kraft in dieses Filmprojekt, was er stets ungeschönt in seinen Tagebüchern festhielt. Nicht umsonst wurden seine Mühen später mit dem Oscar in der Kategorie „Beste visuelle Effekte“ belohnt. Alptraum-Kreationen in „Poltergeist II - Die andere Seite“ (1986) und „Species“ (1995) tragen ebenfalls Gigers markante Handschrift.
Das alles… und noch viel meeeeehr!
Die genannten Akteure und geschilderten Umstände sind nur kleine Beispiele dessen, was „Alien - Die Entstehungsgeschichte“ für die Leserinnen und Leser bereithält. J. W. Rinzler, der Autor dieses umfangreichen Wälzers aus dem Hause CROSS CULT, hat akribisch jedes erdenkliche Detail chronologisch zusammengefasst, um eine lückenlose Aufbereitung des gesamten „Alien“-Werdegangs zu präsentieren. Drehbuch-Auszüge aus den unterschiedlichen Entwicklungsphasen, Konzeptzeichnungen, unzählige Fotos von den Dreharbeiten, seltene Privataufnahmen der Beteiligten, Storyboards, Gemälde von HR Giger… und das sind nur die qualitativ hochwertigen visuellen Leckerbissen! Rein inhaltlich bin ich total geplättet von der Dichte der Dokumentation. Kein Wir-haben-uns-alle-lieb-Gewäsch, sondern alle Höhen und Tiefen, die dieses oft waghalsige Projekt mit sich brachte. Stoff, der über Tage bei der Stange hält und keine Fragen offenlässt. Von der ersten Idee bis zu den Nachwehen der Kinoveröffentlichung.
Fazit:
Nicht nur für „Alien“-Fans das ultimative Nachschlagewerk, sondern auch ein Paradebeispiel dafür, wie man perfekt einen wegweisenden Film bis ins kleinste Detail gebührend portraitiert. Bücher zu Filmen und deren Entstehungen gibt es viele, aber die schwere Geburt von „Alien“ gehört zum Besten, was man in diesem Bereich in die Finger kriegen kann.
J. W. Rinzler, Cross Cult
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