Die Weltenschöpfer - Band 3

  • Memoranda
  • Erschienen: November 2022
  • 0
Die Weltenschöpfer - Band 3
Die Weltenschöpfer - Band 3
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Michael Drewniok
90°1001

Phantastik-Couch Rezension vonMär 2023

Meister, Handwerker und (endlich) Frauen der Science Fiction

In den 1970er Jahre entwickelte sich die Science Fiction auf eine Weise, die das Aufsehen einer das Genre bisher in der Regel ignorierenden Literaturkritik erregte, nicht nur das Spektrum der Leser erweiterte, sondern auch junge, engagierte Autoren und vor allem Autorinnen anregte, ebenfalls neue Wege einzuschlagen und ihrerseits die SF zu ‚reformieren‘.

Diese „Zukunftsgeschichten“ hatten wenig bis nichts mehr gemein mit den Weltraum-Abenteuern der „Pulp“-Ära, mit der das Genre in den 1920er und vor allem 1930er Jahren seinen Anfang genommen und ein Millionenpublikum gewonnen hatte. Auch in den 1960er Jahren wurde diese auf Action und Unterhaltung getrimmte Phantastik gelesen, aber formal und vor allem inhaltlich war die SF in eine Sackgasse geraten. Eine neue Generation erkannte die SF als potenzielles Medium einer Botschaft, die den Blick in eine mögliche Zukunft unter zeitkritischen Gesichtspunkten ermöglichen konnte sowie mit der ‚altmodischen‘ Science Fiction brechen musste.

Die Zeit war reif. Politische und gesellschaftliche Umbrüche erreichten Kunst, Literatur und Kino. Der nur mühsam ‚kalt‘ gehaltene Konflikt zwischen den wettrüstenden Supermächten, eine Politik, die verbissen auf traditionelle ‚Werte‘ setzte und zunehmend rigoroser die Rechte widerstrebender Bürger beschnitt, oder die Erkenntnis, dass Umweltverschmutzung und -zerstörung sich zu einer existenziellen Drohung auswuchsen, wurde von dieser neuen SF-Generation thematisiert.

Vorwärts oder wieder zurück?

Ein junger Charles Platt stellte sich Ende der 1970er Jahre die Frage, wie und wohin sich die Science Fiction in dieser Umbruchphase entwickelte. Inzwischen sorgte der Erfolg von „Star Wars“ für eine neue Trivialisierung der SF, wodurch sich die Schere zwischen ‚literarischen‘ Autoren und Lohnschreibern öffnete. Platt erkannte die Wegscheide. Statt sich für eine ‚Seite‘ zu entscheiden, beschloss er den Versuch einer Momentbeschreibung der aktuellen SF.

Zwischen 1978 und 1982 reiste Platt durch die USA und interviewte zahlreiche SF-Autoren. Da er in London geboren wurde und mehrfach für längere Zeiträume dorthin zurückkehrte, bezog er britische SF-Kollegen ein. Er bemühte sich nicht um Objektivität, sondern folgte seinen Interessen. Deshalb ging Platt zunächst kaum auf Autorinnen zu. Die gab es durchaus, und sie nahmen an Zahl zu, doch ihre Arbeiten sprachen ihn nicht an. Später revidierte er seine Meinung, weshalb dieser dritte Band sechs Interviews mit weiblichen SF-Schriftstellern beinhaltet. Sie fragte er nach einem speziell feministischen Ansatz - und stellte fest, dass sich die befragten Frauen nicht in diese Schublade stecken lassen wollten, sondern eigene, oft dezidierte Ansichten zum Thema vertraten.

Platt geriet an Profis wie Andre Norton (1912-2005), die schon seit Jahrzehnten sehr gut im Geschäft war und sich keineswegs erst in den 1970er Jahren ‚entdeckt‘ und gewürdigt fühlte. Alice Sheldon (1915-1987), die unter dem Pseudonym „James Tipree jr.“ schrieb, machte Platt klar, dass eine ‚weibliche‘ Science Fiction nicht von Kritikern oder Rezensenten definiert wurde, die eine diesbezügliche Deutungsdominanz beanspruchten - eine Ansicht, die auch von scheinbar/angeblich explizit feministischen Autorinnen wie Joanna Russ (1937-2011), Janet Morris, Joan D. Vinge und Kit Reed (1932-2017) geteilt wurde.

Die fehlende Last der Grenzsicht

Zwar fühlte sich Platt der „New-Wave“ verbunden, deren Autoren in den 1970er Jahren das literarische Experiment zelebrierten, um die traditionelle SF zu ‚sprengen‘ und neu zu formen. Dennoch hatte er kein Problem damit, auch Autoren anzusprechen, die ‚altmodische‘ Phantastik geschrieben hatten und nicht gedachten, auf den neuen Zug aufzuspringen. Schriftsteller wie Fritz Leiber (1910-1992), Theodore Sturgeon (1918-1985), Poul Anderson (1925-1999), Harry Harrison (1925-2012), Jack Vance (1916-2013), Joe Haldeman, Piers Anthony oder der heute weitgehend vergessene Keith Laumer (1925-1993) hatten ihre Nischen gefunden und schrieben Science Fiction oder Fantasy, die oft die rigorosen Vorgaben der „New Wave“  ignorierten, aber noch heute lesbar sind, während die einstigen Bilderstürmer erleben mussten, dass neue Säue hirnerschütternd durch das Literatendorf getrieben wurden und sie beiseite stießen.

Platt war sogar neugierig genug, sich um ein Interview mit dem schon damals mysteriös abgetauchten L. Ron Hubbard (1911-1986) zu bemühen - eine Odyssee, die er amüsant in Worte fasst, zumal er letztlich offenbar tatsächlich zum quasi-göttlichen Gründer der „Scientology“-‚Kirche‘ durchdrang, der sich erstaunlich gern an seine Zeit als Lieferant der „Pulp“-Magazine erinnerte (und der - Platt greift es in einem Kommentar auf - Mitte der 1985 zur SF zurückkehrte und die „Mission-Earth“-Serie startete.)

Platt nahm sich gern Freiheiten und beschränkte seine Kontakte nicht auf ‚echte‘ SF-Autoren. So konnte er nicht widerstehen und sprach mit einem noch jungen, aber schon weltweit erfolgreichen Stephen King. Ebenso aufschlussreich war sein Treffen mit dem in den 1980er Jahren sagenhaft erfolgreichen Robert Anton Wilson (1932-2007), der die Legende vom Orden der „Illuminaten“ formulierte, indem er diesem eine einfallsreich erfundene Rolle in der Weltgeschichte andichtete - ein Fundament, auf dem später u. a. Dan Brown sein Werk verankerte. Den Altmeister Donald A. Wollheim (1914-1990) befragte Platt weniger zu seinem Werk, sondern würdigte seine Rolle als Verlagsgründer und Herausgeber = wichtige Schnittstelle zwischen Autor und Publikum. Zu guter Letzt nahm sich Platt selbst in seine Sammlung auf. (Diesen Text ließ er jedoch von seinem Autorenkollegen Douglas Winter schreiben.)

Aller guten Dinge sind dieses Mal tatsächlich drei

Charles Platt veröffentlichte seine Interviews in zwei Bänden 1980 bzw. 1983. Übersetzt erschienen hierzulande Auszüge 1982 unter dem Titel „Gestalter der Zukunft“ im kurzlebigen Hohenheim-Verlag. Nur wenige Leser wollten hinter die Kulissen ‚ihres‘ Genres blicken (oder für SF im Hardcover zahlen). Vier Jahrzehnte später versuchte es der Memoranda-Verlag noch einmal und bewies einen langen Atem: Das Gesamtwerk liegt nun vor - und mehr, denn nicht einmal in den USA ist die „Weltenschöpfer“-Serie so komplett und umfangreich wie diese deutsche Ausgabe. Autor Platt hat seine Texte überarbeitet, dabei alte Tonbandaufzeichnungen zu Rate gezogen, die Lücken zur Gegenwart mit neuen Informationen geschlossen sowie diverse einst wichtige, aber von der Zeit überholte oder relativierte Entwicklungsprozesse neu bewertet.

Als Mann hinter dem Mikrofon arbeitete sich Platt langsam an seine Interviewpartner heran. Auch seiner Unerfahrenheit als Fragender spielte eine Rolle. Allerdings machen die in diesem Band gesammelten Interviews deutlich, dass er im Laufe seiner mehrjährigen Arbeit an Erfahrung und Sicherheit gewann. Deshalb ermöglicht Platt einen wichtigen Blick auf das Leben, das Denken und die Arbeit von SF-Autoren, obwohl diese Interviews viele Jahre alt sind.

Wo es Brüche gab, erläutert der Autor dies in seinen Nachworten. Diese wünscht man sich ausführlicher, denn obwohl er selbst keine SF mehr schreibt, hat sich auch der alte Charles Platt sein Interesse, einen wachen Blick auf das Genre sowie eine gesunde Portion Selbstkritik bewahrt: Er hat kein Problem damit, Versäumnisse im Rahmen der Befragungen namhaft zu machen. Freilich gilt zu bedenken, dass Platt seine Interviewpartner nicht bedrängte und sich diese nicht selten seinen Fragen routiniert und freundlich, aber bestimmt auswichen; ein Punkt, den wiederum Platt nicht unerwähnt ließ, was manchen Interviewpartner später noch einmal erzürnt auf den Plan rief.

Fazit:

Dritter und abschließender Band einer Sammlung von Interviews, die zwischen 1978 und 1982 mit SF-Autoren geführt wurden. Der Autor hat die Texte überarbeitet und ergänzt, was ihren Informationsgehalt nicht nur konserviert, sondern erweitert. Das Ergebnis ist eine weiterhin sprudelnde Informationsquelle - und die Vollendung einer verlegerischen Großtat!

Die Weltenschöpfer - Band 3

Charles Platt, Memoranda

Die Weltenschöpfer - Band 3

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