Der Fluch von Ashburn House
- Festa
- Erschienen: Juni 2022
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Unkluger Einzug in ein gruseliges ‚Heim‘
Bisher meinte es das Leben nicht gut mit der jungen Adrienne. Sie hat kein Geld und bald keine Bleibe mehr; ihre Eltern sind tot. Daher kann sie ihr Glück kaum fassen, als ihr ein Anwalt die Nachricht überbringt, dass sie ein Haus in der Kleinstadt Ipson geerbt hat.
Ihre Großtante Emily hat Adrienne nie kennengelernt, ihre Mutter hat sie nie erwähnt. Den Grund für diese Zurückhaltung erfährt Adrienne, als sie mit ihrem Kater Wolfgang in Ipson eintrifft. Ashburn House steht ein gutes Stück außerhalb der Stadt und genießt einen denkbar schlechten Ruf, denn vor Jahrzehnten hat sich hier eine nie geklärte Massenmordtragödie ereignet.
Natürlich soll es im Haus spuken, was Adrienne nach einigen schlaflosen Nächten nicht abstreiten würde. Eine seltsame Atmosphäre brütet über dem Anwesen. In den Abendstunden verstummen die Vögel und Insekten, und unheimliche Geräusche ertönen. Adrienne träumt von einer hexenhaften Frau, die sich aus ihrem Grab befreit und auf sie lauert.
In der Tat gibt es im Wald beim Haus eine Lichtung mit einer einsamen Grabstätte. Wurde Edith hier begraben? Da sie nirgendwohin flüchten kann, harrt die junge Frau in zunehmender Panik in ihrem ‚Heim‘ aus. Aus dem Ort traut sich niemand nach Ashburn House. Die nächtlichen Umtriebe werden immer unverhohlener. Offensichtlich versucht jemand - oder etwas - ins Haus und zu Adrienne vorzudringen und rückt dabei stetig näher …
Das klassische Grauen in den eigenen vier Wänden
Gibt es ein Unterhaltungsgenre, dessen dramaturgische Regeln stärker fixiert und unbeweglich wirken wie der Geisterhaus-Horror? Auch Darcy Coates weicht keinen Deut vom Weg ab: Eine ahnungslose, zudem ‚schwache‘ = ohne Hilfe allein dastehende Frau verschlägt es in ein großes, altes, verbautes Haus, das selbstverständlich isoliert steht, nur schwer zu erreichen und von der modernen Kommunikationstechnik abgeschnitten ist. Selbst die Elektrizität wird zum unsicheren Faktor; sie neigt zum Ausfall, wenn gerade etwas geschieht, auf das helle Licht geworfen werden sollte.
Zunächst beschränkt sich das Unheimliche auf die Ankunft in einem gänzlich fremden, nicht gerade gastlichen Haus, dessen Vorbesitzerin bestenfalls als Exzentrikerin bezeichnet werden kann; womöglich war sie sogar eine Verrückte oder/und Teil eines gruseligen Geschehens, das sich bis heute in Ashburn House konzentriert und nur unter Beachtung komplizierter Rituale unter Kontrolle gehalten werden kann. Davon hat Adrienne natürlich keine Ahnung, und Großtante Edith hat aus unerfindlichen Gründen entsprechende Anweisungen dort hinterlassen, wo Adrienne erst spät über sie stolpert.
Ohne in Zaum gehalten zu werden, manifestiert sich der titelgebende „Fluch von Ashburn House“ zunächst allmählich. Es kratzt an den Wänden, rumort im düsteren Wald und huscht nur aus den Augenwinkeln erkennbar durch die Innenräume. Die Katze weiß mehr, sagt aber nichts, sondern steigert durch seltsames Verhalten Frauchens Ängste. Genrekonform redet sich Adrienne über viele Seiten Müdigkeit, Irrtum und Täuschung ein, während schon die Wände wackeln.
Unschuld schützt vor Bosheit nicht
Dass Adrienne sich dem Grauen allein stellen muss, gehört wie gesagt zu den Grundsätzlichkeiten einer Geisterhaus-Story. Sie ist schon ein Opfer, bevor sie Ashburn House betritt - vom Leben beschädigt, ohne Selbstbewusstsein. Zwar empfangen die Dorfbewohner sie nicht mit Fackeln und Mistgabeln, aber ihre Freundlichkeit beruht eher auf Neugier, denn Ashburn House ist ein lokaler Mythos als Mord- und Spukhaus.
Parallel zur sich steigernden Heimsuchung versucht Adrienne die Geschichte ihres ‚Heims‘ zu recherchieren. Es gibt mehr Lücken als Fakten, was die Unsicherheit steigert, aber es bleiben genug Andeutungen für eine unschöne Vergangenheit, die nach dem (ebenfalls hässlichen) Tod von Großtante Edith über Adrienne ihre Fortsetzung finden könnte.
Das Böse ist weder wählerisch noch logisch in seinem Vorgehen. Adrienne hat mit dem, was in Ashburn House geschah, nichts zu tun. Man kann sie plausibel also nicht zur Verantwortung ziehen, doch Coates kreiert eine Macht, deren Bosheit sich auch darüber definiert: Blut soll fließen; die Vorgeschichte der Opfer ist irrelevant - und Pech hat einfach, wer wie Adrienne die komplizierten Maßnahmen einer durchaus möglichen Geisterbändigung nicht kennt. Leider gibt Coates die daraus resultierende Unsicherheit zu abrupt und nicht nachvollziehbar auf: Urplötzlich manifestiert sich das Grauen zombieähnlich und fällt über Adrienne her, die gerade noch entkommt und nun im Inneren ihres ‚Heims‘ von einem sehr handfesten Schrecken belagert wird.
Mit dem Rücken zu allen Wänden
Hier kippt die bisher durch Rätsel und Fragen getragene Stimmung in reinen bzw. simplen Horror um. Der „Fluch von Ashburn House“ kann nur bedingt erschrecken, weil er keinerlei Motiv für seine hartnäckige Bosheit erkennen lässt; er ist böse, weil er ein Fluch ist, aber als solcher verliert er für die Leser seine Kraft, wenn er (bzw. sie) sich als zunächst unkaputtbares Buh!-Gespenst entpuppt, das nur deshalb bedrohlich wird, weil ihm eine denkbar schwächliche Gegnerin gegenübersteht.
Adrienne ist keine Figur, die eine Geschichte wie diese tragen kann. Generell sind sämtliche Charaktere flach und generisch; selbst Wolfgang, der Kater, ist einprägsamer als sein Frauchen. Wir beobachten Adrienne, aber wir zittern nicht mit ihr, weil sie einfach keine Persönlichkeit besitzt. Adriennes Schwäche mag eine Erklärung für die gravierenden Plot-Löcher sein, die sich nur durch ihre ständigen Fehlentscheidungen leidlich überspringen lassen, bis die Handlung im Finale einerseits auseinanderfällt, während sie andererseits in ein fragwürdig ‚aufregendes‘ Gefecht zwischen Adrienne und ihrer Peinigerin mündet, in das sich wenig stichhaltig eine besessene Ipson-Dörflerin und ein weiterer Geist einmischen.
„Der Fluch von Ashburn House“ ist deshalb kein Horror-Highlight und nicht einmal stimmungsstark, sondern bietet höchstens halbwegs solide Schauer-Unterhaltung. Mehr war wohl nicht zu erwarten. Darcy Coates (ein Pseudonym) ist eine (in Australien ansässige) Vielschreiberin, die jährlich mehrere Romane sowie Kurzgeschichten veröffentlicht. Ein Gutteil ihres Werks widmet sie Häusern, in denen es spukt - außer Ashburn House u. a. Blackwood House (2015), Carrow House (2018), Rookward House (2017), Craven Manor (2017) oder Gillespie House (2015). Da bleibt keine Zeit für Raffinesse.
Fazit:
Klassisch startender, d. h. merkwürdige Vorfälle ins Übernatürliche steigernder Geisterhaus-Grusel, der urplötzlich und den sorgfältigen Spannungsaufbau ignorierend in einem Duell zwischen Gespenst und isolierter Heldin gipfelt, wobei beide wenig erschreckend bzw. überzeugend wirken: Schauer-Routine - gelesen, vergessen.
Darcy Coates, Festa
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