Der kalte Hauch des Flieders
- Rowohlt
- Erschienen: Juni 2004
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Wer sucht, wird leider manchmal finden
Für die jungen Parapsychologen David und Sally Curtiss geht ein Traum in Erfüllung: Endlich haben sie ein ‚echtes‘ Spukhaus gefunden. Im Auftrag eines Forschungsinstituts sollen sie den Gerüchten um Geistererscheinungen im Gilfoy-Haus auf den Grund gehen. Es steht in Skipton, einer Kleinstadt im Westen des neuenglischen US-Staates Massachusetts und wurde in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts von Samuel Collins Gilfoy erbaut.
Das Haus stand lange leer, bevor sich David und Sally vor zwei Wochen dort eingemietet haben. Frühere Bewohner sind verstorben, unbekannt verzogen oder weigern sich, von ihren Erlebnissen im Haus zu berichten. David und Sally selbst haben noch kein einziges Anzeichen übernatürlicher Ereignisse registriert, obwohl sie das Haus vom Keller bis zum Dachboden untersucht und überall modernste Aufzeichnungsgeräte aufgestellt haben. Sally, die über hellseherische Fähigkeiten verfügt, hat allerdings einige Unstimmigkeiten bemerkt, die sie David indes verschweigt; mit der Ehe der beiden Wissenschaftler steht es nicht zum Besten, doch sie lassen den Konflikt schwelen, statt sich auszusprechen.
David lädt Rosanna, ein weibliches Medium, ins Gilfoy-Haus ein. Während einer Séance gelingt es endlich Kontakt zu einem der ‚Hausgeister‘ aufzunehmen. Wer es ist, bleibt aber unklar; die Indizien weisen auf Julian Gilfoy hin, der 1906 in jungen Jahren und unter ungeklärten Umständen im Haus zu Tode kam.
Langsam mehren sich die Zeichen für einen echten Spuk im Gilfoy-Haus. Während David dies mit wachsender Begeisterung registriert, keimt in Sally Besorgnis auf. Der Geist des Hauses scheint langsam Besitz von David zu ergreifen, der dies entschieden abstreitet. Sein Interesse verwandelt sich langsam in eine Obsession. Schließlich verlässt Sally das Gilfoy-Haus, während ihr Ehemann zurückbleibt. Kurze Zeit später ruft er sie an und teilt ihr mit, er habe das Haus ‚gereinigt‘. Sally kehrt zurück, doch als sie das Haus betritt, weiß sie nicht, wer sie dort empfängt - David oder Julian ...
Spuk lebt in verwirrten Seelen
Das verwunschene, von Geistern heimgesuchte Haus ist eines der ältesten Sujets der fantastischen Literatur und ein Dauerbrenner bis auf den heutigen Tag. Mitten im eigenen Heim und damit dort, wo man sich sicher glaubt und Zuflucht vor den Beschwernissen des Alltags sucht, wird man von übernatürlichen, unsichtbaren Kräften geplagt - ein Alptraum, der in zahllosen Büchern und Filmen, Comics und Computer-Spielen eifrig heraufbeschworen wird.
Die Geisterhaus-Literatur kennt einige Variaten. Sehr beliebt ist die Geschichte von der harmlosen Durchschnitts-Familie, die ahnungslos in ein Spukhaus einzieht, um dort aus dem Jenseits gepiesackt zu werden. Hawkes greift ein anderes, aber ebenso beliebtes Motiv auf: Eine Gruppe von Wissenschaftlern untersucht ein heimgesuchtes Haus. Anfangs noch skeptisch und mit allem ausgerüstet, was die moderne Hightech hergibt, müssen sie auf die harte Tour lernen, dass es Dinge zwischen Himmel und Erde gibt, die sie (bzw. die Schulweisheit) nicht erklären können.
„Der kalte Hauch des Flieders“ ragt aus der Flut der oft nach Schema F zusammengeschusterten Spukhaus-Romane heraus. Hawkes geht recht sachlich an das Thema heran. Von vornherein vermeidet sie es, mit billigen Tricks Spannung zu erzwingen. Es gibt keine Kinder in Gefahr (allerdings einen niedlichen Hund), keinen verrückten, missgestalteten ‚Gast‘, der sich im Keller oder auf dem Dachboden versteckt, keine verbotene Liebe, die einst tragisch endete und aus dem Jenseits fortgesetzt wird, und was der abgegriffenen Klischees mehr sind.
Am Ende des Wissens wartet der Schrecken
Die Autorin hat ausführliche Recherchen über das Thema PSI in allen seinen schillernden Farben angestellt. Ihre Kenntnisse lässt sie oft und gern in die Geschichte einfließen, aber solche Exkurse wirken nicht aufgesetzt, sondern informativ. Überhaupt verschweigt Hawkes niemals die vielen Probleme, der sich moderne Geisterjäger ausgesetzt sehen. Die Parapsychologie ist ein junger und höchst ungeliebter Seitentrieb am Baum der Wissenschaft, dem die meisten seriösen Forscher gern mit einer scharfen Axt zu Leibe rücken würden.
Die ernsthafte Erforschung des Jenseits‘ ist zudem eine undankbare Aufgabe, da die Geister, so es sie denn gibt, leider keinerlei Interesse daran haben, sich der Welt der Lebenden unter Bedingungen zu offenbaren, die Betrug, Fehlinterpretation oder Halluzination definitiv ausschließen. (Dieses Verhalten weiß Hawkes übrigens durch eine interessante These zu begründen.) Obwohl es die Anhänger des Okkulten vehement abstreiten, ist es bisher jedenfalls niemals gelungen, schlüssige Beweise für das Jenseits zu erbringen.
Die Ausgewogenheit, mit der sich Hawkes ihrem Thema nähert, bedingt aber auch die einzige echte Schwäche des Buches: Die Autorin kann sich niemals wirklich entscheiden, ob sie nun einen ‚echten‘ PSI-Roman oder einen Psycho-Thriller schreibt. Spukt im Gilfoy-Haus der Geist des unglücklichen Julian umher? Ist das Haus eine ‚Batterie‘, in der sich die Wut und das Unglück seiner längst verstorbenen Bewohner gespeichert hat? Haben sich David und Sally so sehnsüchtig einen ‚echten‘ Geist gewünscht, dass sie ihn quasi selbst ins Leben gerufen haben? Fehlinterpretieren sie ‚Botschaften‘ aus dem Geisterreich, für die es bei nüchterner Betrachtung völlig natürliche Ursachen gibt?
Allzu viel Qual der Wahl
Hawkes hält sich alle Optionen offen, die Leser sollen selbst entscheiden. Leider bleibt dadurch auf den letzten zweihundert Seiten die Spannung nach und nach auf der Strecke. Ein echter Höhepunkt bleibt aus. Zwar ist es klug, die subtil entwickelte Atmosphäre nicht durch ein Pandämonium urplötzlich aus allen Mauerritzen und Parkettspalten hervorquellender Gespenster zu zerstören, aber stattdessen läuft die Handlung einfach aus.
Der eigentliche Schluss ist zwar logisch, andererseits aber nicht neu oder originell genug, um diese Leere auszugleichen. So geht von diesem Roman letztlich kein „gespenstisches Leuchten aus“, das „Spannung vom Feinsten“ erzeugt, die „auch das Herz des überzeugtesten Skeptikers schneller schlagen lässt“, wie der „New York Times Book Review“ auf der Umschlag-Rückseite tönt. „Der kalte Hauch des Flieders“ ist aber eine angenehme Abwechslung von jenen schmalzgetränkten Möchtegern-Thrillern, die nicht nur in den großen Verlagshäusern die Programmplätze für tatsächlich interessante Phantastik-Titel blockieren.
Fazit:
Klassischer Geisterhaus-Thriller, deren Autorin den Schrecken vage schürt, bis sie ihn kulminieren lässt, wobei ein echter Höhepunkt ausbleibt; aufgrund des weitgehenden Verzichts auf Gefühlsduselei dennoch lesenswert.
Judith Hawkes, Rowohlt
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