Die Weltenschöpfer - Band 2
- Memoranda
- Erschienen: Mai 2022
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Die irdischen Realitäten der Science Fiction
Die 1970er Jahre wurden zum Höhepunkt einer Science Fiction, die scheinbar aus jenen Niederungen stieg, in die sie die ‚echte‘ Literatur verbannt hatte. Obwohl sie weiterhin im Magazinform erschien, hatte diese ‚neue‘ SF nichts mehr gemein mit den Weltraum-Abenteuern der „Pulp“-Ära, in der das Genre in den 1920er und vor allem 1930er Jahren seinen Anfang genommen und ein Millionenpublikum gewonnen hatte.
Spätestens in den 1960er Jahren hatte diese auf Action und Unterhaltung zentrierte Phantastik ihren Höhepunkt überschritten. Jüngere Autoren - und Autorinnen - rückten nach. Sie betrachteten die SF nicht als Sackgasse, sondern als Medium bzw. Trägerin einer Botschaft, die den Blick in eine mögliche Zukunft unter modernen, d. h. kritischen Gesichtspunkten nicht nur gestattete, sondern überhaupt ermöglichte.
Diese Zeit war eine Ära politischer und gesellschaftlicher Umbrüche, die sich in Kunst, Literatur und Kino niederschlugen. Auch die SF griff auf, extrapolierte und spiegelte wider, was die Zeitgenossen im „freien Westen“ zunehmend bewegte: die Drohung eines jederzeit ‚heiß‘ werdenden Atomkriegs, der Amoklauf einer Politik, die diesseits und jenseits des Atlantiks mit Gewalt auf Forderungen nach Mitbestimmung oder Gleichberechtigung reagierte, oder die Erkenntnis, dass Umweltverschmutzung und -zerstörung sich in erschreckender Geschwindigkeit zu einer existenziellen Drohung auswuchsen.
Die Flucht zurück in die Illusion
Doch jener Ruck, der die kollektive Bewältigung der anstehenden Probleme ermöglicht hätte, blieb aus. Auch dies schlug sich in der Science Fiction nieder und wurde vor allem im Kino deutlich. 1977 kam „Star Wars“ in die Kinos. Zwar sorgte der immense Erfolg dafür, dass die SF ein nach Millionen zählendes Publikum gewann, was die SF-Literatur einschloss - freilich nicht die Science Fiction insgesamt, die inzwischen ein bemerkenswertes Niveau erreicht hatte, sondern primär jene SF, die fatal an die Kindertage des Genres erinnerte, d. h. ‚Light‘-SF bot, die den Mustern des traditionellen Abenteuer- und Westernkinos folgte.
Während Autoren, die bereit und fähig waren, solche Trivial-SF zu produzieren, prominent und manchmal reich wurden, geriet die ‚ernsthafte‘ Science Fiction in eine Krise. Dies war der Zeitpunkt, an dem sich der junge Autor Charles Platt die Frage stellte, wie und wohin sich die Science Fiction entwickelte. Er registrierte, wie sich die Schere zwischen ‚literarischen‘ Autoren und Lohnschreibern öffnete.
1978 gehörte Charles Platt zu jenen Autoren, die in der Science Fiction eine Möglichkeiten sahen, sich jenseits geltenden literarischer Grenzen gegenwartsbezogene Fragen zu stellen und Problemfelder durchzuspielen. Platt erkannte die Wegscheide. Statt sich für eine ‚Seite‘ zu entscheiden, beschloss er eine Momentbeschreibung der sich quasi auseinanderdiffundierenden SF zu versuchen.
Zwischen Anspruch und nüchterner Realität
Zwischen 1978 und 1982 reiste Platt durch die USA und interviewte zahlreiche SF-Autoren. Da er in London geboren wurde und mehrfach für längere Zeiträume dorthin zurückkehrte, bezog er auch britische SF-Kollegen ein. Er versuchte nicht objektiv zu sein, sondern folgte seinen Interessen. Deshalb sprach Platt kaum Autorinnen an. Die gab es durchaus, und sie nahmen an Zahl zu, doch ihre Arbeiten sprachen ihn nicht an, sodass in diesem Band nur das Interview mit Kate Wilhelm die ‚weibliche SF‘ thematisiert.
Nur bedingt fühlte sich Platt außerdem der „New-Wave“ verbunden, deren Autoren in den 1970er Jahren das literarische Experiment zelebrierten, um die traditionelle SF zu ‚sprengen‘ und neu zu formen. Zwar drückte sich Platt nicht und befragte Schriftsteller wie Michael Moorcock oder J. G. Ballard, die sich als (notorisch unverstandene) Schöpfer einer die alten Zöpfe abschneidenden SF verstanden. Doch die Skepsis blieb; so überstieg die ‚ökologische‘ SF des „Wüstenplanet“-Schöpfers Frank Herbert nicht Platts Horizont, sondern seine Bereitschaft zu jener ‚Gefolgschaft‘, die Herbert noch zu seinen Lebzeiten erfuhr und durchaus schätzte. Ausführlich begründet Platt, wieso er eher weniger populären Autoren wie Damon Knight oder John Sladek den Vorzug gab, die ihren Ideenreichtum nicht vorsätzlich in experimentelle Worte fassten bzw. kunstvoll verrätselten.
Überhaupt blieb Platt kritisch und vorsichtig. Er sah bereits die Problematik damals gefeierter Bilderstürmer wie John Brunner oder Robert Silverberg, die auf literarischen Höhen strandeten, auf die ihnen die dumme, ignorante Leserschaft einfach nicht folgen wollte. Insofern ist es plausibel, dass Platt auch jemand wie E. C. Tubb befragte, der primär bis ausschließlich für Geld schrieb und Platt nüchtern Einblick in den Alltag eines ‚Schriftstellers‘ gibt, der in den „sweat shops“ englischer Mini- und Obskur-Verlage SF-Titel im Wochentakt fabrizierte. Ohne Scheu traute sich Platt außerdem an Larry Niven und vor allem Jerry Pournelle heran, die aus ihrer konservativen bis reaktionären Weltsicht - die sie in ihre Werke einfließen lassen - keinen Hehl machten. Das Ergebnis gibt ihm recht: Man schloss keine Freundschaft, tauschte aber Argumente aus, denen man nicht zustimmen muss, die man jedoch kennen sollte.
Jenseits des Tellerrands
Im Laufe seiner Tätigkeit hielt sich Platt immer weniger an strikte Vorgaben. Er nahm sich Freiheiten, beschränkte seine Kontakte nicht mehr auf ‚echte‘ SF-Autoren und erweiterte den Kreis der Interviewpartner. So bekam er eine (primär irritierende, von gegenseitigem Missverständnis geprägte) ‚Audienz‘ beim Guru der „Beat Generation“ William S. Burroughs, der in seinen Werken Science-Fiction-Elemente einsetzte, und versuchte dem „Futurologen“ Alvin Toffler dorthin zu folgen, wo dieser die nahe Zukunft verortete.
Natürlich muss man die Interviews in ihrem Zeitrahmen sehen. Platt gibt sie (scheinbar - s. u.) im Originalton wieder. Die Befragungen bleiben nahe am Geschehen. So gibt es u. a. Gespräche, die einen ungeplanten Verlauf nahmen oder schiefliefen. Zudem machte Platt deutlich, wo ihm ein objektives Bild nicht möglich war und kommentierte, was er gehört hatte, wobei er deutlich machte, wenn es zwischen seinen Ansichten und den Äußerungen seiner Gesprächspartner Brüche gab.
Doch Platt veröffentliche nicht sein Gesamtmaterial. Er schrieb in einer Ära, als auch junge, wilde Journalisten sich zurückhielten, die Privatsphäre der Befragten respektierten und ausblendeten, was ihnen gar zu persönlich erschienen oder den Interviewpartner in ein schlechtes Licht stellen konnte. Jahrzehnte später ist solche Zurückhaltung obsolet, zudem sind die Befragten mehrheitlich verstorben. Platt hat die Interviews in der Rückschau ‚rekonstruiert‘ und neu kommentiert. Dabei wird Neues, Interessantes und Trauriges offenbart.
Sekundärliterarisches Kabinettstück in verdienter Gesamtausgabe
Charles Platt veröffentlichte seine Interviews in zwei Bänden 1980 bzw. 1983. Übersetzt erschien der erste Band 1982 unter dem Titel „Gestalter der Zukunft“ im kurzlebigen Hohenheim-Verlag. Doch zu wenige Leser wollten hinter die Kulissen ‚ihres‘ Genres blicken (bzw. dafür zahlen). Der Memoranda-Verlag nahm einen neuen Anlauf. Nicht einmal in den USA ist Platts „Weltenschöpfer“-Serie so komplett und umfangreich wie diese deutsche Ausgabe. Der Autor hat seine Texte überarbeitet, dabei alte Tonbandaufzeichnungen zu Rate gezogen und die Lücken zur Gegenwart mit neuen Informationen geschlossen.
Ungeachtet seiner manchmal erratischen Fragen, die ein Konzept vermissen lassen, ermöglicht/e Platt einen wichtigen Blick auf das Leben, das Denken und die Arbeit von SF-Autoren. Er räumt mit Anekdoten auf und macht deutlich, dass die „Weltenschöpfer“ oft einen (zu) hohen Preis für ihr Bemühen zahlten, zukünftige bzw. alternative Welten jenseits der Mainstream-Trivialität zu beschreiben.
Vor allem legte er offen, dass (auch) SF-Autoren nur Menschen waren/sind, die keineswegs mehr über die Zukunft wissen; Platts nachträgliche Beurteilung einst gefeierter Vordenker wie der erwähnte Toffler fällt ernüchternd aus; dessen Prognosen waren etwa so präzise wie der Schrotschuss auf einen fernen Entenschwarm, d. h. Treffen höchstens zufällig.
Fazit:
Zweiter Band einer Sammlung von Interviews, die zwischen 1978 und 1982 mit SF-Autoren geführt wurden. Die Texte wurden überarbeitet und ergänzt, was ihren Informationsgehalt nicht nur konserviert, sondern erweitert.
Charles Platt, Memoranda
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