Der Vampir in Legende, Kunst und Wirklichkeit
- Festa
- Erschienen: März 2007
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Vampire unter uns: eine Bestandsaufnahme
Legende und Literatur
In vier Großkapiteln nähert sich Basil Copper (1924-2013) einem überaus komplexen Thema. „Der Vampir in der Legende“ ist ein durch zeitgenössische Quellen gestützter historischer Rückblick. Der Glaube an nächtlich auftauchende Blutsauger hat Wurzeln, die erstaunlich weit zurückreichen. Copper erinnert an den Drang, für Dinge, die der Mensch nicht versteht, eine „Erklärung“ zu konstruieren. Seltsame Krankheiten, merkwürdige Umtriebe an Grabstätten, dazu Vorurteile, üble Nachrede, Dummheit und Furcht bildeten den Nährboden für den Glauben an „Wiedergänger“ und „Nachzehrer“, der in praktisch allen Kulturen präsent war. Der Verfasser präsentiert außerdem „echte“ Vampire - kleine Fledermäuse aus Südamerika - und einen kuriosen Schmetterling, der sich ebenfalls von Blut ernährt.
„Der Vampir in der Literatur“ zeichnet in großen Zügen den Weg des Vampirs zur Kunst- und Kultfigur nach. Im späten 18. Jahrhundert schwand mit dem Aufschwung der Naturwissenschaft der Glaube an tote, Blut saugende Kreaturen. Der Vampir wurde zum unterhaltsamen Schreckgespenst, dem man zudem viele unschickliche aber faszinierende Charakterzüge unterschieben konnte. Schon John William Polidoris Lord Ruthven (1819) war ein unwiderstehlicher Ladykiller. J. M. Rymers „Varney“ (1847) wurde für ein Massenpublikum geschrieben und war ein Wüstling, der die sexuelle Komponente des Vampirismus’ unter Beweis stellte. Bram Stokers „Dracula“ (1897) verknüpfte beide Aspekte zum klassischen Vampir, der Furcht und Faszination gleichzeitig verbreitet.
Präsent war der Vampir auch in der Kurzgeschichte. Copper beschäftigt sich mit der seltsamen Stoker-Story „Draculas Gast“ (1914), preist Guy de Maupassants wahnhaften „Horla“ (1887), erinnert an Joseph Sheridan Le Fanus ‚lesbische‘ Vampirfrau „Carmilla“ (1872) und zitiert weniger bekannte Vampirstorys viktorianischer Erzähler wie M. R. James, F. M. Crawford und E. F. Benson. Auch Arthur Conan Doyle und die Sherlock-Holmes-Geschichte „Der Vampir von Sussex“ (1924) findet Erwähnung. Kurz taucht Copper in die Vampirliteratur der 1930er bis 1970er Jahre ein, die sich geradezu inflationär, doch selten innovativ der Figur annahm.
Sichtbare Blutsauger
Mit „Der Vampir in Theater und Film“ beschreibt Copper das ‚wahrhaftige‘ Erscheinen des Vampirs. Mit dem literarischen Erfolg konnte sein Auftritt auf den Brettern, die die Welt bedeuten, nicht lange ausbleiben. Lord Ruthven, Varney und vor allem Dracula suchten die Theater der westlichen Welt mit großem Erfolg immer wieder heim. Der Film wurde als neues Medium im frühen 20. Jahrhundert aufmerksam. In Deutschland entstand der erste ‚richtige‘ Genrefilm: Friedrich Wilhelm Murnau schuf 1922 mit „Nosferatu“ nach Stokers „Dracula“ einen Kinoklassiker.
Mit dem Tonfilm siedelte Dracula nach Hollywood um. Der Ungar Bela Lugosi verlieh ihm ab 1931 Gestalt und Stimme. Sein Dracula prägt das Bild des Vampirs bis zum heutigen Tag. Künstlerische Maßstäbe in Sachen Vampirfilm setzte 1932 Carl Theodor Dreyer mit „Vampyr - Der Traum des Allan Gray“. Sein Werk blieb freilich die Ausnahme; wie schon in der Literatur sank der Vampir rasch zum bösen, dummen, geilen Kinobösewicht der B-Klasse ab.
Die Neuschöpfung des Genres gelang Ende der 1950er in den britischen Hammer-Studios. Es stieß knapp zwei Jahrzehnte Blutsauger-Epen in Serie aus, die oft von bemerkenswerter Qualität waren und von der schauspielerischen Präsenz eines Christopher Lee oder Peter Cushing sowie von bis dato unbekannten, überaus blutigen Spezialeffekten profitierten.
Vampirismus als Krankheit
Im abschließenden Kapitel „Der Vampir in der Wirklichkeit“ berichtet Copper von jenen Mitmenschen, die sich selbst für Blutsauger hielten. Blut besitzt seit jeher eine zentrale kultische Bedeutung und wird nicht umsonst „Lebenssaft“ genannt. Copper erinnert an Fritz Haarmann (1879-1925), den „Schlächter von Hannover“, der als Serienmörder, Blutsauger und Kannibale in die Kriminalgeschichte einging.
Weniger bekannt ist der Fall des französischen Sergeanten Bertrand, welcher Mitte des 19. Jahrhundert die Friedhöfe von Paris heimsuchte. Für Copper noch sehr präsent war der Fall John George Haigh, der in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg seine Opfer nicht nur anzapfte, sondern auch umbrachte, beraubte und anschließend in Säure auflöste. Kurios mutet schließlich Coppers Schilderung einer modernen Vampirjagd auf dem Friedhof von Highgate an.
Blutsaugen über das Millennium hinaus
Coppers Darstellung endet Anfang der 1970er Jahre. Für die deutsche Neuausgabe übernahm es Uwe Sommerlad, den Bogen weiter bis ins frühe 21. Jahrhunderts zu schlagen. Der Vampir war in den 1990er Jahren in Filmen wie „Francis Ford Coppola’s Dracula“, „From Dusk Till Dawn“ oder „Blade I-III“, in epischen Romanserien von Fred Saberhagen, Anne Rice, Chelsea Quinn Yabro, P. N. Elrod oder Kim Newman sowie im Computerspiel („Masquerade“, dt. „Vampire: Die Maskerade“) präsenter denn je.
Ausgespart bleibt der peinliche „Chic-Lit“-Vampir der Jahre vor und nach dem Millennium. Aus dem Überwesen von einst wurde der exotisch-erotische Vampir im „Mary-Sue“-Stil, eine Projektionsfigur pubertärer Mädchenträume, die zu albern geworden ist, um uns erschrecken zu können.
Aktualisiert wurden Coppers Literaturhinweise. Eine deutschsprachige Primär- (Romane, Kurzgeschichten) sowie eine Sekundärbibliographie (Sachbücher und Artikel) erfassen Titel der Jahre zwischen 1975 und 2005. Ein Index, der seinen Namen verdient, rundet das schlicht, aber geschmackvoll layoutete Taschenbuch ab.
Etwas Altes, etwas Neues …
Lohnt es ein Buch zu lesen, das im Original vor so vielen Jahrzehnten erschienen ist? Die Welt hat sich oft gedreht seit 1973, und der Vampir blieb davon keineswegs verschont. In sämtlichen Medien, die Copper auf ihre Vampirträchtigkeit untersuchte, tat sich viel und oftmals Gravierendes. Andere Spielfelder hat Copper durch Missachtung gestraft (Comics) oder noch gar nicht gekannt (PC-Games).
Allerdings hatte er den schon 1973 reichen Stoff gut gerafft und in eine lesbare Darstellung gebracht. Bücher wie „Der Vampir ...“ waren vor der Internet-Ära keineswegs so selbstverständlich wie heute. Der Verfasser musste Grundlagenarbeit leisten und die Fakten selbst zusammentragen. Es gab wenige einschlägige Werke, auf die er sich stützen konnte. Coppers Buch wurde von der Zeit eingeholt - das Schicksal jedes Sachbuchs.
„Der Vampir in Legende, Kunst und Wirklichkeit“ gilt als Standardwerk des Genres. Für die deutsche Neuausgabe wurde es aktualisiert. Ergänzungen fasst Malte S. Sembten, der das Buch auch angenehm neutral und flüssig lesbar übersetzt hat, in teilweise sehr ausführlichen Fußnoten zusammen. So weist er beispielsweise auf den Seiten 69/70 darauf hin, dass und wieso Copper die Trennlinie zwischen dem Vampir der Legende und dem der Kunst manchmal unscharf und falsch zieht. Viele Eigenschaften und Verhaltensformen, die er den Blutsaugern der Vergangenheit zuschreibt, wurden erst später von Schriftstellern, Theater- und Drehbuchautoren erfunden. Unverzichtbar ist im Hinblick auf eine Aktualisierung des Werks auch das Nachwort von Uwe Sommerlad, der Coppers Ausführungen quasi fortsetzt.
Darstellungs- und Präsentationschwächen
Sobald Copper das für ihn sichere Terrain der Legende und Kunst verlässt und ‚richtigen‘ Vampiren nachspürt, mag man ihm nicht mehr bereitwillig folgen. Altmodisch mutet seine Scheu an, die wirklich hässlichen Dinge beim Namen zu nennen. So ist längst schon im Fernsehen gezeigt worden, wie gewisse Verwesungsprozesse Leichen in dralle, ‚lebendig‘ wirkende ‚Untote‘ verwandeln. Copper deutete die Schauerlichkeiten sarginternen Geschehens sowie geisteskrankes Morden und Schändens nur an (wobei er es an leserlockenden Andeutungen freilich nicht fehlen ließ).
Was der moderne Leser vermisst, sind Bilder. Man schreibt nicht (mehr) über Bücher und Filme, ohne den Text zu illustrieren. Ein Bild sagt mehr als tausend Worte; dieses Sprichwort existiert aus gutem Grund. Andererseits wäre der Verkaufspreis dieses Buches, das nur einen beschränkten Leserkreis finden dürfte, bei aufwändigerer Ausstattung wohl nicht zu halten gewesen.
Die Balance zwischen Informationsalter und Informationsrelevanz bleibt aber gewahrt. Vor allem eine jüngere Lesergeneration konnte 2005 erfahren, dass der Vampir es als Grandseigneur des Horrors keinesfalls verdiente, als zahn- und sexloser Edward Cullen oder ramschkaufsüchtige Betsy Taylor verheizt zu werden!
Fazit:
Autor Copper beweist ein immenses, wenn auch nicht immer sicheres Wissen. Der teilweise veraltete Inhalt - das Buch erschien im Original 1973! - wird in der aktuellen deutschen Ausgabe kommentiert, korrigiert und ergänzt, was „Der Vampir …“ zur weiterhin lesenswerten Lektüre aufwertet.
Basil Copper, Festa
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