Hinter den Spiegeln so kalt
- Droemer-Knaur
- Erschienen: Oktober 2022
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Mein Leserherz ist nicht ganz aufgetaut
"Die Schneekönigin" gehört wohl zu den bekanntesten Märchenfiguren überhaupt. Eine kaltherzige, unnahbare Schönheit, die Kinder entführt und deren Erinnerungen stiehlt. Klingt jetzt nicht unbedingt nach einer Person, der die Sympathien einfach so zufliegen. Trotzdem fasziniert und inspiriert die eisige Königin seit Jahren Werke aus Literatur, Kunst und Musik. So auch die vorliegende Neuinterpretation aus der Feder von Liza Grimm.
Gute Zeiten, schlechte Zeiten
Unsere Protagonistin Finja musste in ihrem Leben bereits zwei schlimme Schicksalsschläge verkraften. Vor vier Jahren ist ihr Mann Mika bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen, und nun ist auch noch die gemeinsame Tochter Hannah spurlos verschwunden. Finja droht in einem dunklen Strudel aus Verzweiflung, Depression und Hoffnungslosigkeit zu versinken. Nachts quälen sie Albträume, tagsüber wird sie von Panikattacken überrollt. Die Therapiesitzungen helfen nur bedingt. Denn selbst Finja kann sich nicht erklären, warum sie immer wieder von Eis träumt und solche Angst vor Spiegeln hat. Ihre Eltern sind ebenfalls keine Stütze. Sie beschäftigen sich vor allem mit sich selbst und können oder wollen Finjas Gefühlslage nicht wirklich nachvollziehen. Einzig ihre beste Freundin Elisa gibt ihr Halt und ist stets für sie da.
Je mehr Zeit vergeht desto deutlicher spürt Finja, wie in ihrem Umfeld der Glaube schwindet, Hannah noch zu finden. Sie ist jedoch nicht bereit, ihre Tochter aufzugeben. In ihrer Verzweiflung geht Finja sogar so weit, eine angebliche Hexe aufzusuchen. Dieser Besuch wirft aber mehr Fragen auf als er beantwortet. Finja spürt nur: Die Wahrheit ist hinter den Spiegeln. Ausgerechnet dem Objekt, welches ihr so unsagbare Angst einjagt...
Handlung über drei Zeitebenen
Liza Grimm erzählt ihre Geschichte auf drei verschiedenen Zeitebenen. Wir erleben die fröhliche Finja aus früheren Tagen, die das Leben mit ihrer kleinen Familie geniesst und glücklich ist. Auf einer zweiten Ebene sehen wir Finja, die den Verlust ihres Ehemannes kaum verkraftet und lange braucht, diesen Schicksalsschlag zu akzeptieren. Und wir lernen die heutige Finja kennen, die verzweifelt ihre verschwundene Tochter sucht und an dieser Aufgabe beinahe zerbricht. Die Wandlung der Hauptfigur beschreibt Grimm sehr gefühlvoll und empathisch, man leidet und hofft mit ihr mit. Gerne hätte ich als Leserin Finja zugerufen "Nicht aufgeben, wir finden Hannah!"
Die anderen Charaktere sind für mich weniger gelungen. Sie treten zum Teil spät in der Geschichte auf, dadurch haben sie kaum Zeit, Tiefe zu gewinnen. Oder sie sind durchs Band kühl und aalglatt, wie zum Beispiel Finjas Eltern. Hier eine Beziehung aufzubauen, fällt als Leser entsprechend schwer.
Obwohl drei Zeitebenen zur Verfügung stehen, ist die Gewichtung für mich nicht ideal. Einige Aspekte werden viel zu lange und umständlich ausgeführt. Dies hat zur Folge, dass für den eigentlichen Schwerpunkt kaum Raum bleibt und dieser entsprechend kurz abgefrühstückt wird.
Das Beste kommt zum Schluss (zu kurz)
Lisa Grimm kann schreiben. Ihr Stil liest sich locker und flüssig, die Sprache ist einfach und verständlich. Highlight des Buches ist für mich die von ihr entworfene Welt hinter den Spiegeln. Detailreich, liebevoll und atmosphärisch kommt dieses Märchenland aus Eis und Schnee daher. Ausgesprochen gut gefällt mir zudem die Idee, aus welchen Gründen Grimms Schneekönigin dieses fantastische Reich erschaffen hat. Umso unverständlicher ist es für mich, dass die Spiegelwelt erst nach über der Hälfte des Buches wirklich zum Zuge kommt. Bis dahin hat man eher einen Thriller mit einigen Gruselelementen gelesen.
Eine so wunderbar magische Welt braucht etwas Zeit, um ihren Zauber komplett zu entfalten. Schade, hat sie diese nicht bekommen. Es bleibt das etwas unbefriedigende Gefühl, welches man sonst eher am Ende von Ferien bekommt: Kaum begonnen, schon wieder vorbei.
Fazit:
"Hinter den Spiegeln so kalt" ist eine düstere Geschichte. Die Themen, welche Liza Grimm darin anspricht sind schwere Kost, wovon auch die Trigger-Warnung am Ende des Buches zeugt. Ein Lichtblick ist ihre toll ausgearbeitete Spiegelwelt, welche meiner Meinung nach leider zu wenig Platz erhält. Die Figuren bleiben grösstenteils blass und vieles in der Story wird zu schnell abgehandelt, so dass ich mich nicht richtig für dieses Buch erwärmen konnte.
Liza Grimm, Droemer-Knaur
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