Grenzwelten
- Fischer
- Erschienen: Januar 2022
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Sci-Fi-Klassier, aktuell wie eh und je
Der Weltraum ist in den Geschichten von Ursula K. Le Guin längst nicht mehr die letzte Grenze. Ihre Hainish-Romane erzählen davon, wie die Menschheit zu weit entfernten Planeten reist, um diese zu besiedeln. Diese Geschichten bilden ein Universum – sowohl wortwörtlich als auch sinnbildlich gemeint. Zwei davon wurden neu übersetzt und zusammen in „Grenzwelten“ veröffentlicht.
Wie die Gewalt in die Welt kam
Kolonisten von der Erde haben sich im Weltraum breitgemacht. Werden eine Welt und das native Volk als zu primitiv anerkannt, als dass sie in die galaktische Gemeinde integriert werden können, werden diese kolonisiert. Genau das passiert in New Tahiti. Diese Welt hat das, was auf der Erde fehlt: Wald - und somit ein perfekter Vorrat am Rohstoff Holz. Denn auf der Erde sind sämtliche Wälder gerodet und eine Aufforstung ist unmöglich. Und da die Athsheaner - das primitive Volk dieser Welt - nicht „intelligent“ genug ist, werden sie eher als Nutzvieh angesehen. Der Wissenschaftler Lyubov erkennt, dass diese Schlussfolgerung falsch ist und versucht, der Obrigkeit seine Erkenntnisse mitzuteilen. Gegenwind bekommt er vom Militär, das vor Ort stationiert ist. Die Situation eskaliert, als eine Rodungsstation von Athsheanern angegriffen wird. Sogar Davidson ist von dem Angriff schockiert, denn das Volk kennt keine Gewalt. Doch mit den Menschen ist anscheinend auch Mord und Totschlag nach New Tahiti gekommen.
Kulturkrieg im All
Die zweite Geschichte in „Grenzwelten“ handelt von einem Kulturkrieg. Denn in Aka wurde die Vergangenheit ausradiert. Seit dem ersten Kontakt mit den Menschen von Aka und der Ankunft von Sutty, einer Wissenschaftlerin der Erde, auf dem Planeten sind 50 Jahre vergangen - und Aka ist von einem Hinterwäldlerplaneten zu einem technologisch fortschrittlichen, aber äußerst fundamentalistischen Planeten geworden. Die gesamte Vergangenheit wurde weggewischt und die Sprache, Religion und Gesellschaft grundlegend umgekrempelt. Doch Suttys Auftrag ist es, eben diese Vergangenheit zu studieren. Abseits von der Hauptstadt werden zwar noch Aspekte der Vergangenheit ausgelebt, doch immer versteckt vor dem wachsamen Auge der Regierung.
Zeitlose Gesellschaftskritik
Es ist immer wieder erstaunlich, wie relevant (gute) Sci-Fi-Klassiker auch Jahre nach der originalen Veröffentlichung bleiben. Denn auch wenn etwa „Das Wort für Welt ist Wald“ fast genau ein halbes Jahrhundert alt ist, habe ich das Gefühl gehabt, genau zu wissen, worauf die Autorin anspielt. Schade eigentlich, dass Themen wie Kolonialismus, Rassismus und Gewalt nie aus der Mode kommen…
Während in der ersten Geschichte die Gewalt sehr offensichtlich ist, brodelt sie in „Die Überlieferung“ unter der Oberfläche. Dieser Unterschied ist es, der „Grenzwelten“ so spannend macht. Einerseits zeigen die beiden Romanen, die hier zusammen veröffentlicht wurden, wie abwechslungsreich nicht nur das Genre Science Fiction sein kann, sondern auch wie vielseitig Autorin Ursula K. Le Guin schreibt.
In „Das Wort für Welt ist Wald“ wechselt sie ständig die Perspektive, sodass wir die Ereignisse nicht nur aus den Augen der „Guten“ sehen. Wir bekommen Einblicke in die Gefühlswelt von Captain Davidson, der in seiner Rolle als Eroberer von New Tahiti vollkommen aufgeht und sich, als die Athsheaner sich dagegen wehren, vollkommen seiner Grausamkeit hingibt und auf die absolute Zerstörung dieses Volkes aus ist. Die wechselnden Perspektiven haben mich zwar hin und wieder etwas aus der Geschichte gebracht, da vor allem am Anfang alles sehr neu und unbekannt ist, aber es war schon krass, sich die Gedanken von so einem Typen wie Davidson durchzulesen, der nicht nur der Unterdrückung eines Volkes begeistert zustimmt, sondern auch dessen Auslöschung plant.
Anders verhält es sich in „Die Überlieferung“. Auch hier musste ich mich an die Erzählweise gewöhnen, denn oft spricht die Protagonistin von ihrer Vergangenheit, und am Anfang haben mich diese Zeitsprünge auch etwas verwirrt. Doch nach ein paar Seiten war ich sofort in der Story drin und konnte nicht aufhören zu lesen.
Fazit:
An „Grenzwelten“ sieht man mal wieder, warum einige Autorinnen und Autoren und ihre Werke als Klassiker gelten. Nicht nur, weil sie gut geschrieben sind oder interessante Geschichten bieten. Einige Werke verlieren einfach nicht an Relevanz. Und so verhält es sich mit den beiden Geschichten „Das Wort für Welt ist Wald“ und „Die Überlieferung“ von Ursula K. Le Guin. Die Art und Weise, wie sie hier Themen wie Kolonialismus, Rassismus und Verfolgung einbaut, ist einfach zeitlos. Man könnte zwar „nur“ die Zeit betrachten, in denen diese Werke geschrieben wurden - z.B. wie „Das Wort für Welt ist Wald“ vom Vietnamkrieg beeinflusst wurde -, aber beim Lesen musste ich immer wieder an die heutige Zeit denken. Wenn man also komplett abschalten und nicht an unsere Gesellschaft und Probleme denken will, würde ich „Grenzwelten“ nicht empfehlen. Aber was wäre Science Fiction eigentlich ohne eine ordentliche Portion Gesellschaftskritik?
Ursula K. Le Guin, Fischer
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