Road of Bones - Straße des Todes

  • Cross Cult
  • Erschienen: Mai 2023
  • 1
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Michael Drewniok
80°1001

Phantastik-Couch Rezension vonJun 2023

Heimsuchung auf russischem Horror-Highway

Felix Teigland, freiberuflicher Produzent spekulativer „Reality Shows“ und TV-‚Dokumentationen‘, treibt die Verzweiflung aufgrund einer Karriere-Durststrecke ins ferne russische Sibirien. Dort will er eine Doku über jene Menschen drehen, die am kältesten Ort der Erde leben: In Achust, seinem Reiseziel, fällt die Temperatur bereits in ‚normalen‘ Wintern auf -50°, doch es kann durchaus kälter werden.

Mit seinem Freund und Kameramann Jack Prentiss macht sich Teigland auf die strapaziöse Fahrt nach Achust. Sie führt über die Kolyma-Straße, die sich 2000 Kilometer durch Sibirien zieht und buchstäblich auf den Knochen unzähliger Zwangsarbeiter errichtet wurde: Die Sowjet-Diktatur hatte sie dorthin gezwungen, weil das karge Land reiche Bodenschätze birgt. Viele Legenden und Spukgeschichten ranken sich um die „Straße des Todes“, und Teigland will sie erzählen. Auf dem Weg nach Achust begleitet der einheimische Guide Kaskil ihn und Prentiss. Die kleine Gruppe wird ergänzt durch Nari, die mit ihrem Wagen im Schnee liegenblieb.

Achust findet das Quartett verlassen vor. Die 500 Einwohner haben den Ort offenbar verlassen und sind in die Wälder gezogen, wo Menschen zu dieser Jahreszeit höchstens Stunden überleben. Nur die kleine Una, eine Verwandte Kaskils, blieb zurück. Für eine Klärung der Situation bleibt keine Zeit, denn aus der eisigen Finsternis dringen grausige Kreaturen auf die Reisenden ein, die sich ihren Verfolgern in wilder Flucht über die „Straße der Knochen“ zu entziehen versuchen ...

Kalt - kälter - Sibirien

Man lege den Titel besser nicht auf die Goldwaage. Er deutet ein Geschehen an, das sich auf die Kolyma-Straßen und damit auf ein besonders grausames Verbrechen gegen die Mensch(lich)keit konzentriert. Golden greift diesen Aspekt der Historie jedoch nie wirklich oder höchstens pflichtschuldig auf, indem er die alte Ludmilla mit den Geistern der zu Tode geschundenen Häftlinge kommunizieren lässt - ein für die Handlung letztlich nebensächlicher Ereignisstrang, denn diese fokussiert sich auf einen Spuk, der so an jeder ähnlich legendenumwobenen Stelle Russland verortet werden könnte - so beispielsweise auf dem Djatlow-Pass im Ural-Gebirge, wo 1959 eine Gruppe Skiwanderer unter mysteriösen Umständen zu Tode kam, oder um die ebenfalls im Ural aufragenden sieben Felsen von Manpupunjor.

Russland ist so groß, dass die Natur auch im 21. Jahrhundert mehr als genug abgelegene Stellen findet, an denen sie sich manifestieren kann. Tatsächlich gehen die Kolyma-Gespenster und die Achust-Phantome getrennte Wege; sie ignorieren einander völlig. Kein Wunder, denn die Naturgeister sind viel älter und haben nie im eigentlichen Sinn ‚gelebt‘. Sie repräsentieren eine Weltsicht, die Tieren und Pflanzen, aber auch dem Wasser, dem Feuer, dem Land und der Luft eine ‚Seele‘ zuspricht, wobei diese vor den Menschen (und den menschlichen Religionen) existierten. Einige dieser Naturmächte sind intelligent und verfügen über gewaltige Kräfte. In ihrer Gesamtheit sorgen sie dafür, dass der „Organismus Erde“ funktioniert.

Den Menschen ignorieren sie oder nehmen ihn höchstens zur Kenntnis, wenn er sich in ihre Angelegenheiten mischt. Hier geraten Teigland & Co. versehentlich in einen ‚Polizeieinsatz‘ der lokalen Geistwesen. Sie fahnden nach einem Finsterling, der besser nicht über diese Welt kommen sollte. Dass die in diesen Konflikt verstrickten Menschen nicht bzw. zu spät begreifen, was eigentlich vorgeht, treibt den Plot positiv in eine unerwartete Richtung. Ebenso gefällt die nur ansatzweise Erklärung der finalen Konfrontation mit den Naturmächten und dem beinahe entwischten Bösen.

Der Mensch als Fremdkörper

Erfreulich ist die Darstellung einer Begegnung zwischen „Mensch“ und „Natur“, die nicht in dumpfesoterischer Pseudo-Mystik versackt. Golden geht davon aus, dass der Mensch einer ‚wahren‘, d. h. lebendigen Natur nicht gewachsen wäre. Er folgt hier u. a. den Spuren klassischer Autoren wie Algernon Blackwood (1869-1951) und Arthur Machen (1863-1947), die in ihrem phantastischen Werk die Brisanz einer solchen Konfrontation immer wieder aufgriffen: Der Mensch ist er nicht der Meister, sondern nur ein Rädchen im Getriebe dieser Welt. Über ihm stehen Mächte, die ihren Job erfüllen, ohne dabei Rücksicht auf die scheinbare „Krone der Schöpfung“ zu nehmen.

Selbst wenn man den Kontakt überlebt, ist man anschließend nicht mehr der- oder dieselbe. Sibirien als Ort der Ereignisse dient Golden als ‚Verstärker‘. Im Zentrum steht ein Mann, der auf seinem Lebensweg in eine Sackgasse abgebogen ist. Teigland stellt sich noch weiter ins Abseits, als er die gewohnte Umgebung ein wenig zu impulsiv hinter sich lässt. Bisher hat er das Schicksal durch einen Ortswechsel mehrfach überrumpelt. Jetzt gerät er in eine Sphäre, in deren Weite man sich buchstäblich verlieren kann.

Es gibt es keine Möglichkeit sich davonzuschleichen. Es dauert, bis Teigland dies begreift: Sein Weg über die Straße von Kolyma wird auch zu einer spirituellen Reise, die Teigland zur Selbsterkenntnis führt und ihn eine überraschende Entscheidung treffen lässt. Diese Odyssee wird zu einer Höllentour, denn Golden lässt Teigland auf jenseitige Kräfte treffen, die ihn erst ignorieren und bekämpfen, ihm alles nehmen, was sein Leben bisher ausmachte, und ihn schließlich auf eine Weise beim Wort nehmen, die das Finale kaum weiter von einem Happy-End entfernen könnte.

Den Wald (-Geist) vor lauter Bäumen nicht gesehenen

Zwischen Anspruch und Umsetzung klafft eine Lücke, die vor allem im Mittelteil ein wenig zu deutlich wird. Christopher Golden ist ein Autor mit guten Ideen, einem Gespür für Atmosphäre und dem Talent, sowohl drastischen Horror mit Splattereffekten als auch den auf Krallentatzen heranschleichenden Grusel zu schildern. Während ein Stephen King daraus ein dichtes Hintergrundgewebe für eine Geschichte strickt, die stringent und zwingend ihrer Auflösung entgegenläuft, bleibt Golden zögerlich. Die Story schlingert, verheddert sich in Seitensträngen, die sich als reine Handlungs-Dekoration sowie nutzlos erweisen.

Wie so viele Autoren glaubt Golden seine Figuren mit Biografien ausstatten zu müssen. Er schießt über das Ziel hinaus, kreiert Vorgeschichten, die im Nichts verpuffen. Immerhin ist Teigland glaubhaft als überforderter Mensch, der endlich nicht nur das Richtige tun, sondern auch für die Verfehlungen seiner Vergangenheit büßen will. Wiederum schmiert Golden dieses Rad ein wenig zu fett, doch Teigland endet, wie es der Autor geplant hat: schauerlich, aber aufrecht, selbst wenn man das Motiv seines ‚Opfers‘ für durchaus naiv halten kann.

Angesichts seiner Bemühungen, dieses Garn in Sibirien zu verorten, bleibt Golden beklagenswert oberflächlich. Wieso hat er Teigland nicht durch Alaska fahren und auf den dort heimischen Wendigo treffen lassen? Liegt es daran, dass er mit „Snowblind“ (2014; dt. „Snowblind - Tödlicher Schnee“) schon einmal Eis-Gespenster tanzen ließ? „Sibirien“ bleibt jedenfalls eine Behauptung. Jeder Mann und jede Frau, die Teigland dort trifft, spricht Englisch. Ansonsten ist es kalt. Dies erleichtert dem Verfasser seinen Job, sorgt aber bei den Lesern für Stirnrunzeln. Glücklicherweise glätten sich diese Falten, wenn Golden im Finale mächtig Öl ins Gruselfeuer gießt und alle losen Fäden ohne Angst vor Theaterdonner schürzt!

Fazit:

Ohne echte Schauplatzerdung und vor allem im Mittelteil eher unstet und fahrig verknüpft der Verfasser eine rasante Gruselgeschichte mit einer Suche nach Erlösung. Erfreulicherweise finden diese Handlungsbögen im Finale zueinander, was damit versöhnt, dass der Autor Golden dem Plotschmied Golden nur bedingt das Wasser reichen kann. Ebenfalls Lob gebührt der guten Übersetzung und dem schönen Buchhandwerk dieser gebundenen Ausgabe.

Road of Bones - Straße des Todes

Christopher Golden, Cross Cult

Road of Bones - Straße des Todes

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