Home - Haus der bösen Schatten
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- Erschienen: Februar 2022
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Hässliche Wahrheiten drängen unheimlich ans Licht
Obwohl sie seit 25 Jahren nicht mehr dort gewesen ist, bestimmt Baneberry Hall, gelegen abseits der Kleinstaat Bartleby im US-Staat New York, weiterhin das Leben von Maggie Holt. Vater Ewan und Mutter Jess waren einst mit der fünfjährigen Maggie dort eingezogen, weil man das Anwesen erstaunlich günstig angeboten hatte. Dass dies u. a. daran lag, dass der letzte Vorbesitzer erst seine Tochter und dann sich umgebracht hatte, blieb ebenso unerwähnt wie die ebenfalls unheimlich Vorgeschichte des gewaltigen Hauses, das der reiche Holzhändler William Garson 1875 errichtet hat.
Nachdem dessen Tochter Indigo ein sorgsam vertuschtes Lebensende ereilt hatte, stand Baneberry Hall oft leer. Zogen neue Besitzer ein, blieben sie nie lange, da sich seltsame ‚Unglücksfälle‘ im und um das Haus ereigneten. Auch die Holts wurden nicht verschont. Schon bald kündeten seltsame Geräusche, das Verschwinden von Gegenständen und das Auftauchen des „Schattenmanns“ von nächtlichen Umtrieben. Letzterer erschien geisterhaft der jungen Maggie, die er bald auch körperlich attackierte.
Nach zwanzig Tagen Terror hatten die Holts genug. Bei Nacht und Nebel verließen sie Baneberry Hall und kehrten nie zurück - so haben es jedenfalls die Eltern Maggie weisgemacht. Tatsächlich hat Vater Ewan das Anwesen nicht verkauft. Nach der spektakulären Flucht schrieb er einen ‚Bericht‘ über den Spuk von Baneberry Hall, der zum Bestseller wurde und die Familie reich machte. Dabei hat er die Ereignisse maßlos übertrieben und verzerrt und angebliche dämonische Attacken erfunden.
Dies ist jedenfalls Maggies Überzeugung. An die Zeit in Baneberry Hall erinnert sie sich kaum noch. Deshalb kehrt sie zurück, als ihr das Anwesen als Erbe zufällt. Die örtliche Bevölkerung klammert Baneberry Hall lieber aus, weshalb Maggie nicht willkommen ist. Auch der Spuk scheint sie nicht vergessen zu haben. Bald geht es wieder um, aber gleichzeitig mehren sich die Indizien dafür, dass Vater Ewan seine Geistergeschichte vor allem erzählt hat, um von eigenen Gruseltaten abzulenken …
Das übernatürliche gegen das reale Böse
Schon immer hat es „Spukhäuser“ gegeben. Erst wurden ihre Geschichten in Artikeln und Büchern erzählt, später kamen Kino-Filme und das Fernsehen hinzu. Im 21. Jahrhundert toben die Geister heftiger denn je, denn das Internet wurde zu ihrem Ideal-Biotop: Zeitgleich zum Aufkommen auch von Hohlköpfen bedienbarer Software, mit deren Hilfe sich „Spuk“ durchaus überzeugend abbilden lässt, können sich online ‚Eingeweihte‘ und ‚Fachleute‘ zu Wort melden, die ansonsten verlacht und mit Arschtritten vertrieben werden.
Es entstand eine Blase, die sich selbst am Leben hält. Wer sich dort artikuliert, will nicht wissen, sondern sich in seiner festgefügten Meinung bestärkt sehen. Klargeistige Zeitgenossen mögen an das nahende Ende einer verstandesbegabten Menschheit glauben - ein Thema, auf das an dieser Stelle nicht näher eingegangen wird: Hier geht es um ein Buch, dessen Handlung auf dem dualen Konzept des klassischen Spukhauses basiert, das sowohl Schwindel als auch Mythos ist.
Autor Riley Sager - hinter dem keineswegs sorgfältig gewahrten Pseudonym ‚verbirgt‘ sich der 1974 im US-Staat Pennsylvania geborene Journalist und Vielschreiber Todd Ritter - setzt auf eine von Kapitel zu Kapitel wechselnde Perspektive: Einerseits zitiert er aus jenem Buch, das Ewan Holt nach der Flucht aus Baneberry Hall geschrieben hat. Parallel dazu erzählt er, wie Maggie Holt 25 Jahre später ‚heimkehrt‘, um die Wahrheit in Erfahrung zu bringen; ein Vorhaben, das selbstverständlich spektakulär scheitert, weil in Baneberry Hall tatsächlich Merkwürdiges vorgeht. Bloß: Stecken Geister oder Menschen dahinter?
Auf schmaler Schneide
Die möglichst langwährende Irritation seiner Leser liegt in der Absicht des Verfassers. Beide Handlungsstränge zeichnen ein plausibles Geschehen nach. Die Waagschale scheint sich allmählich zugunsten des Übernatürlichen zu senken, als Maggie vor Ort feststellt, dass vieles von dem, was der Vater einst ‚erfunden‘ hat, auf Tatsachen beruht. Gleichwohl gibt es eine weitere Erkenntnisebene, in welcher fern einer aus Geldgier verbreiteten Geistermär ein im Hier und Jetzt wurzelndes Verbrechen vertuscht werden soll.
Als Maggie in der Vergangenheit rührt, wirbelt sie Informationsfetzen auf, die nicht nur den verstorbenen Vater in Mordverdacht bringen. Baneberry Hall war mehrfach der Schauplatz von Tragödien, deren Details unter den Tisch gekehrt wurden, um lokale Interessen zu schützen. Maggie enthüllt manches finstere Geheimnis, als sie lernt, wo sie - manchmal buchstäblich - bohren und schieben muss.
Dabei springt der Fokus zwischen „Spuk“ und „Verbrechen“ hin und her. Lange sorgt Sager dafür, dass beide Varianten das Finale bestimmen könnten. Letztlich entscheidet er sich, mag aber nicht auf ein Hintertürchen verzichten. Zudem werden längst nicht sämtliche im Laufe der Handlung aufgeworfene Fragen beantwortet: Eine gewisse Unsicherheit möchte der Verfasser gewahrt sehen.
Eine Frage der Nervenstärke
Der daraus resultierende Seiltanz ist ein Kunststück, das Sager leider nicht gänzlich meistert. Unersprießlich oft verlässt er sich auf ein deutlich sichtbares Sicherheitsnetz, das aus Klischees gewoben wird. Sie können uns nicht unterhalten, weil sie der Autor nur oberflächlich in den Dienst seines Plots zu stellen vermag. (Zu) viele Unheimlichkeiten in und um Baneberry Hall sind Selbstzweck, die - obwohl aufwändig vorbereitet und in Szene gesetzt - im erzählerischen Off verenden.
Dazu ‚passen‘ Figurenzeichnungen aus dem Psycho-Mustopf. Sager gibt sich sehr deutlich Mühe, eine psychisch angeschlagene Maggie Holt zu charakterisieren. Schon hier stößt er an seine Grenzen. Maggie ist einerseits neugierig und eifrig, aber gleichzeitig planlos und hysterisch; kein Wunder, dass sie - auch dies ein einschlägiges Klischee - die Dorfbewohner (allen voran die notorisch ungläubige Polizeichefin) immer misstrauischer betrachten.
Ein wenig zu oft spult Sager die Abfolge Spuk bei Nacht - Alarmierung der Polizei - keine Spur eines Spuks - ständig näher rückende Zwangsjacke für Maggie ab. Die Auflösung des Rätsels ist ziemlich kompliziert und stellt keine Sensation dar. Sager präsentiert uns seine Verdächtigen so, dass regelmäßige Leser solcher Geschichten sie in eine Reihenfolge bringen können. In der Tat steckt hinter den Ereignissen jemand, der (oder die) sich schon lange vor dem Finale für diese Rolle qualifiziert hat. So bleibt „HOME - Haus der bösen Schatten“ eine interessante, aber nur teilweise gelungene Mischung aus Krimi und Phantastik.
Fazit:
Mit den Mitteln des „Ghost-House“-Horrors erzählt Riley Sager eine Geschichte, die sich zum Psycho-Thriller wandelt, ohne die Phantastik gänzlich zu streichen. Das erzählerische Konzept ist interessant, nutzt aber oft alte Klischees. Auch die Figuren folgen genretypischen Verhaltensmustern: Durchschnitts-Garn.
Riley Sager, dtv
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