Die Vorhersage

  • Heyne
  • Erschienen: Dezember 2022
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Die Vorhersage
Die Vorhersage
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André C. Schmechta
75°1001

Phantastik-Couch Rezension vonFeb 2023

Wenn das Schicksal an einem Faden hängt

Eines Tages sind sie einfach da. Überall auf der Welt. Für jeden Menschen ab 22 Jahren. Kleine Holzboxen nur mit einem Faden als Inhalt. Die Fäden sind unterschiedlich lang. Denn sie sagen das Lebensalter voraus. Kurze Fäden sterben früher, lange Fäden leben länger. Was geschieht mit den Menschen auf der Welt, wenn ihr Schicksal auf einmal an einem Faden hängt und ihr Sterbedatum bekannt ist? Davon erzählt Nikki Erlick in ihrem Roman.

Eine Holzbox mit Faden aus dem Nichts

Auch wenn es immer mal wieder kürzere Ausführungen gibt, die auf die wissenschaftlichen Untersuchungen der Holzboxen eingehen, die weltweiten Versuche irgendwie dieses unerklärliche Phänomen zu entschlüsseln, so vermeidet Nikki Erlick bewusst die Konstruktion eines durchweg logischen Überbaus, der jeglichen kritischen Anmerkungen Stand halten muss. Die Fäden tauchen auf und fertig. Schon bald aber gibt es eine App, welche die Fadenlänge und damit das zu erwartende Lebensalter sehr exakt bestimmt. Nachdem tatsächlich bestätigt ist, dass die Voraussage des Fadens zutrifft, ändert sich die Dynamik des Zusammenlebens auf der Welt.

Die Länge der Fäden spaltet die Menschen

Nikki Erlick fokussiert in ihrem Roman entsprechend auf die vielfältigen Auswirkungen eines solchen Ereignisses. Über eine überschaubare Zahl an Hauptfiguren werden wird Zeuge von Einschnitten in Alltag und Beruf, Freundschaft, Liebe und Lebensplanung und das generelle Miteinander. Da ist Ben, der Architekt. Hank, der Arzt - der eines Tages am Tarot eines Amoklaufes ist. Die Freunde Javier und Jack, die gemeinsame ihre Zeit beim Militär absolvieren. Jack ist der Neffe des Präsidentschaftskandidaten Anthony Rollins. Er wird sich gegen die Kurzfäden stellen. Die Partnerschaft von Nina und Maura wird auf eine harte Probe gestellt…

So entsteht ein dichtes Geflecht aus emotionalen, gesellschaftlichen und politischen Veränderungen. Orientierungslosigkeit, Unsicherheit, Sorgen und Ängsten auf der einen Seite, Hoffnung, Zuversicht und Erleichterung auf der anderen, wenn der Faden ein langes Leben verspricht. Die unterschiedliche Behandlung von Kurzfäden und Langfäden lässt neue Gemeinschaften entstehen, führt zu Differenzen, birgt gleichzeitig hohes Konfliktpotential, das schon bald verstärkt die Politik auf den Plan ruft. Einige Menschen weigern sich hingegen standhaft ihre Boxen zu öffnen. In manchen Ländern wird das Öffnen gar zur Pflicht gemacht.

Kurze Kapitel sorgen für einen zügigen Lesefluss und viel Abwechslung. Denn durch die Perspektiven der unterschiedlichen Charaktere entstehen viele Facetten, die immer mehr eine Welt offenbaren, die uns eigentlich gar nicht so fremd ist und in der wir unweigerlich viele Ungerechtigkeiten der heutigen Zeit erkennen. Das eigentliche Phänomen der Fäden und ihre Herkunft lässt Nikki Erlick immer weiter in den Hintergrund treten. Das nimmt natürlich etwas von der anfänglichen Faszination dieses tragenden Elementes.

Die Figuren erhalten erst später in der Geschichte mehr Tiefe und stehen dichter zusammen. Wir erfahren mehr über ihre individuellen Lebensumstände. Manches gerät mir dabei dennoch zu oberflächlich und einfach gezeichnet. Dennoch werden die einzelnen Handlungsfäden kompakter, greifen besser ineinander und vor allem berührt uns das Schicksal von Ben, Nina, Maura und den anderen deutlich mehr, sodass wir ihnen bis zum emotionalen Finale zur Seite stehen und die Daumen drücken, dass es für alle ein gutes Ende nehmen mag. Doch der Tod und das Leben gehören auch hier untrennbar zusammen.

Fazit:

Trotz phantastischer Ausgangslage ist „Die Vorhersage“ am Ende doch kein phantastischer Roman. Nikki Erlick entwirft ein einschneidendes Szenario, das der Menschheit erneut gesellschaftliche und politische Missstände vor Augen führt. Anhand der Lebensgeschichten ganz normaler Menschen können wir die Entwicklungen begleiten. Vor allem aber sehen wir, welche persönlichen Veränderungen möglich sind, um die Welt ein Stück besser zu machen. So entsteht auf knapp 500 Seiten ein schlichtes aber berührendes Plädoyer für das Leben und für Mitgefühl, ein leises aber nachdenklich stimmendes Plädoyer gegen Diskriminierung und Vorurteile.

Die Vorhersage

Nikki Erlick, Heyne

Die Vorhersage

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