Schwarze Visionen - Geschichten von Schrecken und Unheil

  • Droemer-Knaur
  • Erschienen: Juni 1994
  • 0
Schwarze Visionen - Geschichten von Schrecken und Unheil
Schwarze Visionen - Geschichten von Schrecken und Unheil
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Michael Drewniok
80°1001

Phantastik-Couch Rezension vonFeb 2022

Schleimloser Schrecken zündet in 16 sonderbaren Storys

16 Autoren beschreiben, wie rasch ein Leben auch ohne Heimsuchung durch Monster oder irre Serienkiller aus der Bahn geworfen und ausgelöscht werden kann:

- Chris Morgan: Einführung(Introduction: No Slime, No Chain-Saws), S. 7-10

- Brian M. Stableford: Sein letzter Wille(The Will), S. 11-24: Vor zehn Jahren glaubte sie seinen gierigen Händen entkommen zu sein, doch im Tod kommt ihr Vater noch einmal über sie.

-  Garry Kilworth: Der Usurpator(Usurper), S. 25-36: Hilflos muss Franz zusehen, wie sich sein Schatten Stück für Stück seines Lebens bemächtigt.

- Stephen Gallagher: Lebensleitung(Life Line), S. 37-62: Diese Telefonverbindung verbindet mit dem Jenseits, doch Trost bringt sie nicht.

- A. L. Barker: Charley(Charley), S. 63-86: Sie hängt sich an das ahnungslose Paar und lässt sich nicht mehr abschütteln.

- R. M. Lamming: Kerzenzauber(Candle Lies), S. 87-114: Sobald Kerzen leuchten, kommt zum Vorschein, was in der alten Frau steckt.

- Ian Watson: Geschichten aus Weston Willow(Tales from Weston Willow), S. 115-138: Die Bürger sind es gewohnt, dass in dieser englischen Kleinstadt vieles ganz anders ist als in der ‚normalen‘ Welt.

- David Langford: Die Tatsachen im Fall Micky Valdon(The Facts in the Case of Micky Valdon), S. 139-150: Dass Seemann Micky nach seinem Tod auf See noch einmal heimkehrte, ist natürlich Unsinn, wie der Autor dieses Berichts eindeutig nachweist.

- Freda Warrington: Koautor(Shine for Me), S. 151-180: Sie kann zwar nicht schreiben, aber ihre Schaffenskraft entfaltet sich trotzdem mit bemerkenswerter Macht.

- Christopher Evans: Lebenswege(Lifelines), S. 181-238: Diese Rache ist wahrlich konsequent und führt sogar durch die Zeit.

- John Brunner: Bodenlos(Dropping Ghyll), S. 239-264: Wie tief das seltsame Loch in der Erde ist, konnte Amateurforscher und Widerling Cuthbert zuletzt endlich feststellen.

- Tanith Lee: Verlauf dich nicht(Don't Get Lost), S. 265-276: In diesem Stadtviertel kann man sich leicht verirren - und das soll man auch.

- Nicholas Royle: Archway(Archway), S. 277-304: Ihr Leben gerät aus den Fugen - erst beruflich, dann privat, zuletzt buchstäblich.

- Ramsey Campbell: Mach mir keine Schande(Being an Angel), S. 305-332: Mama weiß stets, was das Beste für ihren Sohn ist, weshalb sie dafür sorgt, dass er auf ihren Beistand nie wird verzichten müssen.

- Chris Morgan: Interessante Zeiten(Interesting Times), S. 333-360: Keith langweilt sich und beauftragt eine Firma, die dies zu ändern verspricht, was ihm eine Odyssee des Schreckens beschert.

- Lisa Tuttle: Hautnah(Skin Deep), S. 361-386: Danny reist in ein fremdes Land und versteht einfach nicht, dass die schöne Frau, die um die er sich bemüht, ihn womöglich vor sich warnen möchte.

- Brian W. Aldiss: Drei Grad drüber(Three Degrees Over), S. 387-415: Felicity reißt Harold und Alice aus ihrem öden Alltagstrott - und stößt sie ins absolute Chaos.

Die Kunst der Andeutung

Mehrheitlich war sich die Kritik schon früh einig: Wenn es in einer Geschichte spukt, darf sie literarischen Wert nur dann beanspruchen, solange das jeweilige Gespenst nicht ins Rampenlicht tritt. Der ungehinderte Blick tötet das Unheimliche, so lautet das Urteil, während die bloße Andeutung übernatürlichen Wirkens die Leserhaare steilstehen lässt.

Dies trifft tatsächlich dann zu, wenn minderklassigen Autoren nur einfällt, ihre Werke über möglichst detailgenau geschilderte Schreckgestalten wirken zu lassen. Es ist ein kapitaler Irrtum, dass Grauen und Blutspritzereien eine richtige Story ersetzen. Allerdings können sie unter der Feder eines fähigen Schriftstellers durchaus ihre Wirkung entfalten.

Insofern muss man Herausgeber Chris Morgan widersprechen, der im Vorwort zu dieser Sammlung schon im Titel das bekannte Vorurteil betont: „Kein Schleim, keine Kettensägen“, womit er explizit auf den seinerzeit modischen „Splatter Punk“ zielte. Auf der anderen Seite ist dies jedoch wahr: Gut zwischen die Zeilen ‚ausgelagerter‘ Schrecken kann ebenso glänzend unterhalten wie ‚echter‘, handfester Horror. Dennoch ist auch hier der Grat schmal. Morgan hat 15 oft sehr bekannte Autoren um einen Beitrag für diese Kollektion gebeten (sowie selbst einen Text geliefert), was für eine Gesamtbewertung repräsentativ genug ist.

Zwischen den Polen

Ungeachtet des hohen Prominenz-Faktors gilt, was die meisten Story-Sammlungen kennzeichnet: Die Absicht allein bedingt keinen Erfolg, der Verzicht auf „die abscheulichsten, ekelhaftesten Dinge“ (O-Ton Morgan) garantiert keine Spannung. Beispiele dafür sind die Beiträge von Garry Kilworth (*1941) oder Stephen Gallagher (*1954): gut geschrieben, aber nur bedingt getragen von einer wenig originellen oder allzu bekannten Idee. Wie man es besser macht, demonstrieren R. M. Lamming (*1948) mit einen interessanten, vorzüglich umgesetzten Garn um eine moderne Hexe, oder John Brunner (1934-1995), der eine nicht nur fesselnde, sondern auch schwarzhumorig dargebotene Story durch einen Finaltwist krönt, der das Erzählte in eine völlig unerwartete Richtung treibt.

In der „Dark Fantasy“ - dieses Genre beansprucht Morgan für seine Edition - ist die persönliche Definition des eher angedeuteten Schreckens komplexer als im drastischen Horror. Wie weit dürfen Autoren gehen, bis sie aus zu ‚deutlich‘ werden? Kein Entscheidungsmaßstab ist dabei der gänzliche Verzicht auf Übernatürliches. Das menschliche Hirn ist schon im Normalzustand ein empfindliches, für Täuschungen anfälliges Organ. Gerät es chemisch oder biologisch aus dem Gleichgewicht, kann es zu einer wahren Schreckensgrube mutieren, und nichts übertrifft den vom Menschen verbreiteten Schrecken. Audrey Lilian Barker (1918-2002) setzt erfolgreich eine gänzlich ‚diesseitige‘ Heimsuchung in Szene.

Brian M. Stableford (*1948) verknüpft beide - den ‚realen‘ bzw. „psychologischen“ Schrecken und den Spuk - auf gelungene, weil beklemmende Weise; er rührt an ein Tabu, das seine Kraft behalten hat. Das damit einhergehende Unbehagen teilt sich den Lesern ungemildert mit. Mit ähnlicher Unbarmherzigkeit führt Ramsey Campbell (*1946) seinen bereits angeschlagenen Protagonisten ins endgültige Verderben: Auch in der „Dark Fantasy“ schützt Unschuld nicht vor Strafe; die Aufhebung der beinahe tröstlichen christlichen Sicht von Schuld und Sühne steigert abermals jene Unsicherheit, die eine gelungene Gruselgeschichte auslöst.

Zu viel oder gerade genug des Guten

Sehr ernsthaft geht SF-Altmeister Brian W. Aldiss (1925-2017) ans Werk - und überhebt sich mit seiner Story um eine auf Lüge, Frustration und Verleugnung gegründete Beziehung, die sich in deliriösem Schaum auflöst, was der Autor stilistisch sicherlich gekonnt umsetzt, ohne dadurch die erhoffte Wirkung zu erzielen. Selbst Freda Warrington (*1956) ist in ihrer ansonsten hölzernen Schauermär erfolgreicher. Auch Lisa Tuttle (*1952) und Nicholas Royle (*1963) gehen gar zu ‚künstlerisch‘ vor und bestätigten ebenfalls unfreiwillig, dass die Verbindung zwischen Grauen und Erotik sogar noch krachender scheitern kann als der buchstäbliche Tanz der Teufel.

Die unerklärliche Absurdität einer jederzeit unverständlichen Realitätsverzerrung funktioniert besser, wenn sie der Wirklichkeit näher verbunden bleibt. Ian Watson (*1943), David Langford (*1953) und Chris Morgan (*1946) verweigern uns eine Erklärung der beschriebenen Anomalitäten. Dennoch sind wir zufrieden, denn wir werden entschädigt - wie bei Christopher Evans (*1951) durch einen gelungenen, auf Bierernst gern verzichtenden Tonfall oder wie bei Tanith Lee (1947-2015) durch einen nicht einmal originellen, aber durchgängig umgesetzten Plot. Abermals bestätigt sich eine auch für Autoren geltende Weisheit: Solides Handwerk übersteht die Zeit meist besser als hehre Kunst!

Fazit:

16 Autoren lassen das Grauen nicht brutal und grässlich, sondern subtil, aber dennoch unbarmherzig über ihre Opfer hereinbrechen. Das Ende ist dennoch meist böse, wobei es nicht immer gelingt, den Realitätsbruch unterhaltsam oder gar eindrucksvoll zu inszenieren: insgesamt dennoch eine qualitätsstarke Edition.

Schwarze Visionen - Geschichten von Schrecken und Unheil

Chris Morgan, Droemer-Knaur

Schwarze Visionen - Geschichten von Schrecken und Unheil

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