Schreie aus der Schreckenskammer
- Pabel
- Erschienen: November 1975
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Sieben meist angenehm eklige Schrecken
Sechsmal eher ‚trashiger‘ Horror plus ein ‚literarischer‘ Schrecken:
- George Fielding Eliot: Blutfolter (The Copper Bowl; 1928), S. 7-20: Weil sein Gefangener nicht reden will, foltert der schurkische Bandenchef dessen Geliebte auf grausige Weise.
- Oscar Cook: Faulende Finger (His Beautiful Hands; 1931), S. 21-29: Zwar gelingt die scheußliche Rache, aber ein bizarrer Zufall sorgt dafür, dass der Triumph ausbleibt.
- Peter Fleming: Die reißende Bestie (The Kill; 1931), S. 30-43: Die Tücke des Objekts sorgt dafür, dass sich eine zunächst erfolgreich abgelenkte übernatürliche Rache doch erfüllen kann.
- Seabury Quinn: Der Knochenschäler (The House of Horror; 1926), S. 44-68: Der Vater rächt sich grotesk an der Frau, die seinen Sohn in den Tod trieb - wieder und wieder.
- Hester Holland: Wer hat Angst vor der Bibliothek? (The Library; 1933), S. 69-82: Das Haus wirkt wie ein gigantisches Lebewesen, doch in der Bibliothek schlägt nicht das Herz, sondern wartet ein anderes Organ.
- Hazel Head/H. P. Lovecraft: Das Museum des Terrors (The Horror in the Museum; 1933), S. 83-117: Dieses Museum ist berüchtigt für seine schaurigen Wachsfiguren, die - der allzu neugierige Mr. Jones muss es eines Nachts entdecken - keine Hirngespinste und auch nicht immer aus Wachs geformt sind.
- Muriel Spark: Portobello Road (The Portobello Road; 1956), S. 118-143: Sie ist tot und darüber nicht wirklich böse, aber da sie ermordet wurde, ist es ihr Job, dem Mörder zu erscheinen.
Fischzug in gut bestücktem Grusel-Gewässer
Herbert Maurice van Thai (1904-1983) trat selbst gern wie eine Gestalt aus einem viktorianischen Roman auf. Mit der Literatur dieser Ära kannte er sich hervorragend aus, was neben der ‚hohen‘ Literatur die Detektiv- und Spukgeschichten einschloss. Gleichzeitig war van Thal durchaus vertraut mit der modernen Dichtung, was ebenfalls seine Arbeit für den Verlag Pan prägte.
1959 übernahm van Thal die Herausgeberschaft einer Serie, die zunächst alte und längst vom Buchmarkt verschwundene Schauergeschichten vorstellen sollte. „The Pan Books of Horror Stories“ entwickelten sich zu einem Dauerbrenner, der van Thais Tod im Jahre 1983 überlebte und unter neuer Herausgeberschaft bis 1989 weiterlief; die jährlich erscheinende Serie zählt insgesamt 30 Bände.
Zunächst schöpfte van Thal vor allem aus dem Fundus zeitgenössischer „Pulp“-Magazine, in denen Autoren für niedrige Honorare oft recht groben Horror präsentierten, für den in dem hier vorgestellten Band George Fielding Eliot (1894-1971), (Richard) Oscar Cook (1888-1952) und Seabury Quinn (1889-1969) stehen (was die ‚Übersetzung‘ der Story-Titel plump-drastisch verstärken will). Van Thal liebte solchen auf die Spitze und darüber hinaus getriebenen „Grand-Guignol“-Schrecken, vergaß aber darüber die ‚echten‘ Klassiker nicht und besaß ein Gespür für vergessene Qualität. Ab Band 9 räumte er neuen Autoren immer mehr Raum ein und unterstrich damit die Bedeutung der Serie, obwohl der Verlag die Seitenzahl der Sammlung immer weiter zusammenstrich.
Das Böse kommt einfach über dich
Ein noch heute oft genutztes Stilmittel ist der Plot vom betont harmlosen Zeitgenossen, der zufällig in ein übernatürliches Geschehen stolpert, davon natürlich überfordert ist und letztlich in die ihm oder ihr gestellt Falle tappt. Peter Fleming (1907-1971) variiert das daraus resultierende böse Ende, indem er es quasi spiegelt: Ahnungslos erzählt die Hauptfigur seine Geschichte jemandem, der über die Hintergründe besser Bescheid weiß, als seinem Gegenüber lieb sein kann …
Ganz klassisch bleibt Hester Gaskell Holland (1887-1992), die ihre ohnehin naive Protagonistin dorthin lockt, wo ein Entkommen praktisch unmöglich ist. Ihr Schicksal geht uns nicht nahe; der (bescheidene) Gruseleffekt resultiert aus der von der Autorin langsam und umständlich beantworteten Frage, was in dem heimgesuchten Haus eigentlich umgeht.
Hazel Head (1896-1961) lässt es dagegen richtig krachen, was allerdings auch bzw. vor allem ihrem ‚Co-Autor‘ H. P. Lovecraft (1890-1937) zu verdanken ist. Head mag die Idee gehabt haben, doch Lovecraft eignete sich ihr dürftiges Manuskript an, das er für einen geringen Lohn ‚bearbeitete‘, was in seinem Fall meist hieß, dass er eine miserable Geschichte um- oder gar neu schrieb. „Das Museum des Terrors“ bleibt reinster Trivial-Horror, der freilich durch den ‚Lovecraft-Touch‘ geadelt wird, obwohl der Autor auf bereits umgesetzte Einfälle zurückgriff, die er für dieses Garn ‚recycelte‘ - dies aber mit erfreulich grausigem Ergebnis.
Im Würgegriff der Buchführung
Schon der Dumpf-Titel („Schreie aus der Schreckenskammer“) kündet vom Konzept der deutschen „Vampir“-Grusel-Reihe, die auf den plakativen Horror schielte. ‚Grausig‘ sollte er sein, aber die „Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien“ nicht auf den Plan rufen, die in der Parallel-Serie „Dämonenkiller“ mehrfach aktiv wurde und Titel vom Markt nehmen ließ. Insofern ergibt es Sinn, dass vor allem Storys aus den 1920er und 1930er Jahren zum Abdruck kamen: Inhaltlich geht es zwar heftig zur blutig-perversen Sache, aber diese Garne waren schon damals alt und standen nicht unbedingt auf der Abschussliste genannter Prüfstelle.
Der Schrecken aus dem Verlagshaus Pabel durfte im Ankauf und in der Übersetzung nicht viel kosten. Zu schlechter Letzt waren die Taschenbücher seitennormiert, was sich in diesem Fall besonders negativ auswirkte: „The First Pan Book of Horror Stories“ zählte im Original 22 Erzählungen auf mehr als 300 eng bedruckten Seiten, von denen in der deutschen Ausgabe sieben Storys auf 143 Seiten blieben.
Unter diesen Umständen konnte von einem Konzept nicht mehr die Rede sein. Dabei hatte van Thal in einem ausführlichen Vorwort umrissen, wie er seine Auswahl traf. Diese Einleitung wurde hierzulande selbstverständlich ebenso gestrichen wie van Thals Informationsvorspänne zu den Geschichten und ihren Autoren.
Ein ‚literarischer‘ Ausreißer
Die krude ‚Übersetzung‘ bedingt einen beachtlichen Bruch. „The First Pan Book of Horror Stories“ bot eine breite Palette alter und moderner Erzählungen. Deshalb fiel „Portobello Road“ von Muriel Spark (1918-2006) in der Original-Edition nicht aus dem Rahmen. In der deutschen Ausgabe bleibt sie ein Fremdkörper: Zu deutlich ist die inhaltliche und stilistische Brillanz, die den übrigen Storys abgeht.
Spark gilt als eine der bedeutendsten englischen Autorinnen der Neuzeit. „Portobello Road“ ist zwar durchaus eine Geistergeschichte, die das Genre jedoch nachdrücklich sprengt. Spark erzählt von vier Jugendfreunden, deren Lebensläufe sich trennen und sehr unterschiedlich verlaufen, bis sie sich verhängnisvoll wiedertreffen.
Der Spuk ist hier nur Teil einer komplexen Mehrfach-Biografie, die schon zu Lebzeiten unglückliche Menschen schildert. Spark griff dafür auf eigene Erfahrungen zurück; sie war mit einem depressiven, gewalttätigen Mann verheiratet, den sie ins noch koloniale Afrika begleitete, wo sie (und bald ihr Kind) seinen Launen ausgeliefert war. „Portobello Road“ stellt die Unwägbarkeiten des Lebens, die auch der Tod nicht beenden kann, mit souveräner Meisterschaft dar, ohne die für die übrigen Storys typische Grusel-Nostalgie aufkommen zu lassen. Sparks Schrecken ist real und als solcher erschreckender als die Monster-Charaden der übrigen Autoren.
Fazit:
Obwohl eine im Original thematisch breit gefasste Sammlung mit Tunnelblick auf die trivial-plakativen Horrorbeiträge ‚ausgebeint‘ wurde, sorgt deren naive Durchschlagskraft für gute Unterhaltung. Völlig aus diesem Rahmen springt eine moderne, inhaltlich und stilistisch einen anderen, ‚realen‘ Schrecken zeichnende Story.
Herbert van Thal, Pabel
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