Blutiges Fest
- Droemer-Knaur
- Erschienen: November 1993
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Das Grauen kommt nicht durch den Kamin
In Newcastle upon Tyne, der nördlichsten Großstadt Englands, erhebt sich „Fernley House“, ein 14-stöckiges Büro-Hochhaus. Hier geht es an diesem Heiligen Abend hoch her, denn gleich mehrere Inhaber-Firmen veranstalten Weihnachtsfeiern, auf denen heftig getrunken und der Unmoral gefrönt wird.
Der übliche Festablauf wird von einem Wintersturm beeinträchtigt, der mit außergewöhnlicher Wucht über das Gebäude herfällt. Heizung und Strom drohen auszufallen, die Telefonleitungen brechen zusammen. Im Keller müht sich Hausmeister Alec Beaton um die Technik, muss aber aufgeben, nachdem ihn einige ‚Donnerschläge‘ buchstäblich betäuben. Als er dies am Empfang melden will, findet er diesen unbesetzt. Überhaupt ist kein Mensch mehr im Gebäude, obwohl die Musik weiterhin dröhnt: 84 Männer und Frauen sind verschwunden.
Als Beaton im Obergeschoss eine abgetrennte Männerhand findet, benachrichtigt er die Polizei. Dienst schiebt an diesem Feiertag Detective Inspector Jack Cardiff, der eher skeptisch das Hochhaus sichtet. Doch die Hand liegt da, weshalb ein übel gelauntes Team von Fachleuten den Tatort untersuchen muss. Als die Crew fast vollständig und spurlos verschwindet, erinnert sich Cardiff an einen ähnlichen Vorfall. Bestätigt wird er in seinem Verdacht, es hier nicht mit einem Verbrechen zu tun zu haben, als ein Team der Geheimdienstorganisation „D21“ auftaucht und die Ermittlungen an sich reißt.
Cardiff lässt sich nicht vertreiben, und der Sturm sorgt dafür, dass „Fernley House“ von der Außenwelt abgeschnitten wird. So muss D21-Mann Rohmer mit der Wahrheit herausrücken: „Fernley House“ wird von einem „Darkfall“ getroffen, einem elektrischen Sturm, der ein Portal in eine fremde Dimension öffnet. Geraten Menschen in einen Darkfall, verschwinden sie - oder tauchen grässlich verändert und mörderisch wieder auf. So geschieht es auch dieses Mal, weshalb das isolierte Hochhaus zu einem Ort des aberwitzigen Grauens wird, zumal Rohmer seinen Gefährten eine bestimmte bzw. bestürzende Information über die wahre Natur von „Darkfall“ verschweigt …
Nicht kleckern, sondern in Stücke reißen!
In den 1980er Jahren wurde der Horror richtig wüst: Der „Splatterpunk“ sorgte für einen Sturm auf bisher existierende bzw. geachtete Konventionen. Junge, ‚wilde‘ Autoren rissen in Sachen Gewalt und Sex planvoll jede Grenze nieder. Schon bisher war es durchaus drastisch zugegangen, doch nun wurde es wirklich widerlich: Schrecken sollte nicht mehr durch Worte geschürt werden, sondern wurde quasi dokumentarisch und in allen Einzelheiten beschrieben.
Nachträglich stellte sich der Splatterpunk nicht als des Horrors Wiedergeburt oder Höhepunkt heraus. Die Scheußlichkeiten wiederholten sich und wurden so übertrieben, dass sie ins Lächerliche umschlugen. Zudem sprangen zu viele Nachahmer auf den Zug auf. Der Splatterpunk starb nicht; er wurde Teil des Mainstreams, was sein Ende traurig besiegelte.
„Blutiges Fest“ ist kein ‚richtiger‘ Splatterpunk, sondern eine interessante, weil geglückte Verbindung des klassischen mit dem (angeblich) modernen Horror. Stephen Laws lässt buchstäblich Köpfe rollen und Körper schmelzen, verzichtet aber auf Extrem-Ekel-Sex; er wäre in diesem Garn tatsächlich fehl am Platze. Was andere Autoren nicht abgehalten hätte, erspart uns Laws. Zwar schwelgt er vor allem im letzten Drittel seines Romans in der drakonischen Zerlegung menschlicher Körper, legt dabei aber Disziplin an den Tag und behält den Handlungsfaden in der Schreibhand. Überhaupt gönnt er seiner Geschichte nicht nur einen sorgfältigen Spannungsaufbau, sondern auch eine angemessene Gruselstimmung.
Grauen im Anti-Geisterhaus
Es geht in einem modernen Zweckbau ohne düstere Kellergewölbe, verwinkelte Räume oder staubige Dachböden um. Laws gibt sich Mühe, uns „Fernley House“ als hellen, hochtechnisierten, zweckorientierten Schauplatz vorzustellen. Das Grauen ist keineswegs an modrige Keller, Friedhöfe oder Ruinen gebunden, will er uns signalisieren.
Auch in einer Gegenwart, in der Naturwissenschaft und Technik das Jenseits als Aberglauben deklassiert haben, sollte man sich nicht gar zu sicher fühlen. Es sind vielleicht keine Vampire oder Werwölfe, die über uns kommen, aber es gibt ‚alternative‘ Schreckgestalten, die ebenso tödlich wüten.
„Blutiges Fest“ - der deutsche Titel klammert sich an den Zeitpunkt der Ereignisse und ignoriert, dass es nur zufällig zur Weihnachtszeit spukt; hierzulande erschien die Übersetzung im November, weshalb die Verbindung zu den Festtagen einfach behauptet wurde - ist ein Horror-Roman mit Science-Fiction-Elementen. Eigentlich spukt es nicht einmal. Ein ‚natürliches‘, nachweislich seit Jahrhunderten existierendes Phänomen öffnet den Zugang zu einer fremden Dimension und weicht dabei die nicht gänzlich begriffenen Naturgesetze auf, was Laws zur Darstellung diverser Grässlichkeiten nutzt, die damit einhergehen.
Da ist etwas im Nebel …
Bis es soweit ist und „Darkfall“ sich in dunkler Pracht entfaltet, arbeitet Laws mit Andeutungen. Etwas ist faul, das wird bald deutlich, aber was vorgeht, bleibt lange ein reizvolles Rätsel. Erst in der zweiten Buchhälfte bequemt sich Insider Rohmer zu einer ‚Erklärung‘, die weiterhin viel Spielraum für offene Fragen lässt, deren Antwort letztlich nicht auf sich warten lässt und mit der Dezimierung der flüchtenden Protagonisten einhergeht.
Obwohl sich der Tenor vergröbert, nachdem die Katze aus dem Sack ist, und nun tatsächlich Monster umgehen, hält Laws das Steuer weiter sicher in der Hand. Vorab hatte uns der Verfasser (glücklicherweise in Maßen) an den üblichen Seelenqualen einer gebrochenen Hauptfigur teilhaben lassen. Polizist Cardiff hat tragisch seine Familie verloren und kämpft mit Selbstmordanwandlungen, die er jedoch überwindet, sobald ihm die Monster von „Fernley House“ im Nacken sitzen und er die Verantwortung für einige Mit-Pechvögel übernimmt.
Selbstverständlich besitzt das Geschehen eine weitere Ebene, die schließlich enthüllt wird und ein gänzlich neues Licht auf das Phänomen „Darkfall“ wirft. Das ist sicherlich keine originelle Auflösung, doch „Blutiges Fest“ ist kein ‚literarisches‘ Werk, sondern will unterhalten, ohne sich auf plumpe Schockeffekte zu verlassen. Auf diesem Niveau liefert Laws gute Arbeit ab.
Fazit:
Moderner Horror der groben, aber trotzdem stimmungsvollen Art. Eher flüchtig skizzierte Klischee-Figuren fügen sich gerade deshalb in die Handlung ein, weil ihre persönlichen Probleme nie die Oberhand gewinnen. Gestorben wird blutig, ohne dass solchen Szenen die Handlung darstellen: Hier wird solider Horror nicht behauptet, sondern entfaltet.
Stephen Laws, Droemer-Knaur
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