Athos 2643
- Klett-Cotta
- Erschienen: Februar 2022
- 3
Atmosphärischer Thriller, philosophisches Kammerspiel, ungewöhnliches Beziehungsdrama, packende Zukunftsvision.
Wir schreiben das Jahr 2643. Im Kloster auf dem Neptunmond Athos wird ein Mönch Opfer eines Verbrechens. In Verdacht steht die MARFA, lebenserhaltende KI des Mondes. Inquisitor Rüd Kartheiser nimmt sich des Falles an. An seiner Seite, Assistentin Zack - ebenfalls KI.
Keine moderne Version von „Der Name der Rose“
Ich muss gestehen, dass ich bei Ankündigung des Romans ein wenig an „Der Name der Rose im Weltraum“ denken musste. Doch „Athos 2643“ präsentiert sich trotz vermuteter Nähe zu Umberto Ecos Klassiker gänzlich anders.
Nils Westerboer kreiert eine moderne, weiterentwickelte Welt und würzt sie mit einer ordentlichen Prise orientalischer Lebensart. Teilweise surreal anmutende und verstörenden Details lassen den vereinsamten Neptunmond lebendig werden.
Vor dem ersten Verhör der MAFRA muss sich Rüd mit den Eigenheiten auf Athos vertraut machen, lernt Rituale der wenigen hier lebenden Mönche kennen. Nicht alle im Kloster sind erfreut über das Eintreffen des Inquisitors und seiner Assistentin. Und so gibt es zunächst nur zaghafte Annäherung. Doch das erste Aufeinandertreffen mit der KI steht bevor. Rüd ahnt nicht, dass er schon bald vor eine schwerwiegende Entscheidung gestellt wird.
Auf die Perspektive kommt es an
„Athos 2643“ ist ein präzise komponierter Roman mit einnehmender Sprache und nuancierten Dialogen. Es gibt einige Passagen, die man äußerst aufmerksam lesen muss. Dennoch liegt eine durchweg knisternde Spannung in der Luft. Schon die ersten Seiten erzeugen einen enormen Sog.
Erzählt wird aus der Sicht der KI, Zack. Mit analytischer Klarheit beobachtet sie die Menschen und ihre Eigenheiten, ordnet die Geschehnisse vorausschauend für die Leserinnen und Leser ein. Ihr Wissen und ihre Klugheit wirken dabei nicht überheblich und in manchen Momenten blitzt gar dezenter Humor durch.
Zack steht mit ihren außergewöhnlichen Fähigkeiten im Dienst von Rüd, ist ihm durch verschiedene Sicherheitsbeschränkungen quasi ergeben. Aber es wird auch klar, dass Zack mehr weiß, als sie Rüd gegenüber vorgibt. Doch die beiden verbindet mehr als nur ihre Arbeit. Das liegt nicht nur an der attraktiven holographischen Erscheinung Zacks, die auch bei den Mönchen für Irritationen sorgt. Und so werden wir Zeuge einer besonderen Beziehung, die sich über die Ereignisse auf Athos noch bedeutsam verändern wird.
Nils Westerboer gelingt mit dieser stilistisch sehr sorgfältig und behutsam ausgearbeiteten Perspektive, dass wir wissen, dass eine KI erzählt, aber schon bald vergessen, dass sie eben offenbar nicht menschlich ist. Wir werden unmittelbar in einen zentralen Aspekt des Romans geworfen. Denn natürlich geht es hier auch um das Beziehungsgeflecht Mensch / KI und die Frage nach Herkunft, Identität, Persönlichkeit und Freiheit.
„Eine Schwäche des Menschen, die ich im Übrigen für seine größte überhaupt halte, ist die zunehmende Bereitschaft, nach einem Fehler weitere zu machen.“
Aber das ist ja noch die MAFRA, die hochintelligente Gegenspielerin, die die Kontrolle über die Menschen und das Leben auf Athos hat. Als ein weiterer Mord geschieht spitzen sich die Ereignisse dramatisch zu. Und schon bald muss sich Rüd entscheiden, welche Freiheiten er Zack gewährt. Denn diese nutzt durch die zuvor genannten Sicherheitsbeschränkungen nur einen Bruchteil ihrer Fähigkeiten. Doch es würde gleichzeitig bedeuten, Regeln zu brechen.
Westerboer hält die Geschichte nach gut einem Drittel nicht mehr ganz nah an seinen Hauptfiguren und der sich langsam entfaltenden Ermittlungsarbeit. Wir tauchen weiter in die Begebenheiten und Hintergründe auf Athos und ihre dort lebenden Mönche ab. Rüd macht bedeutende Entdeckungen und gerät immer mehr in einen inneren Konflikt. Die Geschichte verliert etwas an Dichte und wird zunehmend komplexer. Mit hohem Tempo steuern wir aber auf ein unerwartetes Ende zu, das uns nach dem Lesen noch einmal die Ereignisse Revue passieren lässt.
Fazit:
„Athos 2643“ ist ein großartiger Vertreter moderner Science-Fiction. Nils Westerboer balanciert hervorragend die verschiedenen Ebenen seines Romans aus: Atmosphärischer Thriller, philosophisches Kammerspiel, ungewöhnliches Beziehungsdrama, packende Zukunftsvision. Intensiv und mitreißend - aber streckenweise auch anspruchsvoll erzählt - bereichert Westerboer das Genre und ich hoffe sehr, dass wir schon bald mehr von ihm lesen werden. Und wenn ich noch einen weiteren Wunsch frei hätte, dann wäre es, dass sich die Macher von „Ex Machina“ einer Filmadaption annehmen mögen.
Nils Westerboer, Klett-Cotta
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