All Lovers Lost: Der Sog der Nacht
- Droemer-Knaur
- Erschienen: Juni 2022
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Vampire fernab von Kitsch und Glitzer
Vampire sind überirdisch schön, glitzern im Sonnenlicht, verdrehen hübschen jungen Frauen den Kopf und das Ganze spielt sich meistens irgendwo in Amerika ab. Es geht aber auch anders. Die untoten Blutsauger von Madeleine Puljic finden wir in Hamburg und wegen moderner Technik ist es für sie eine tägliche Herausforderung, unentdeckt zu bleiben.
Eine lebensverändernde Begegnung
Die junge Medizinstudentin Sina verfolgt voller Ehrgeiz ihr Ziel, Ärztin zu werden. Doch allzu viel ist selten gut. Findet zumindest ihre beste Freundin Levke und überredet Sina, sich mit ihr mal wieder ins Hamburger Nachtleben zu stürzen. Im "Sacre Coeur", einem Club auf der Reeperbahn, macht Sina die Bekanntschaft mit einem Mann namens Lazar. Er fasziniert sie, weil er komplett anders ist als die Männer, welche Sina bisher kennenlernte. Je näher sich die beiden im Lauf der Zeit kommen, desto unwiderstehlicher wird Sina von Lazar angezogen. Doch aller aufkeimender Gefühle zum Trotz kann sie ihn nicht richtig einordnen. Irgendwie spürt sie, dass er etwas vor ihr verheimlicht. Nichts hätte sie aber auf das vorbereiten können, was sie von ihm erfährt: Lazar ist kein Mensch, sondern ein Vampir!
Anzuerkennen, dass es mehr zwischen Himmel und Erde gibt als Sina dachte, fällt ihr schwer. Selbst als Lazar ihr tiefere Einblicke in die Welt der Vampire ermöglicht und aufzeigt, dass er keine Menschen tötet um seinen Blutdurst zu stillen, weiss Sina nicht so recht, wie sie mit diesem neuen Wissen umgehen soll. Verständlich, schliesslich bekommt man nicht tagtäglich erzählt, dass Figuren aus dem Reich der Fantasie tatsächlich existieren…
Verwandlung wider Willen
Ungeachtet aller Unsicherheiten kann und will Sina nicht auf Lazar verzichten, da sie sich verliebt hat. Ihre Zweisamkeit können die beiden indes nicht geniessen, da ein weiterer Vampir in Hamburg sein Unwesen treibt und seinen Weg mit Leichen pflastert. Dies ruft wiederum einen Orden von Vampirjägern auf den Plan, deren oberstes Ziel es ist, Menschen zu schützen und die Untoten endgültig ins Jenseits zu befördern. Denn Vampire verfügen zwar über ausserordentliche Heilungskräfte, unsterblich sind sie aber mitnichten. Cassius, ein treuer Wegbegleiter von Lazar und ebenfalls Vampir, warnt ihn eindrücklich und empfiehlt, für einige Zeit unterzutauchen, da Lazar für den Orden als Hauptverdächtiger für die Morde gilt.
Seine Sehnsucht nach Sina ist jedoch stärker und so trifft er sich trotz aller Gefahren mit ihr. Es kommt, wie es kommen muss… Auf diese Gelegenheit hat der Orden nur gewartet und eröffnet beim ersten Sichtkontakt das Feuer auf die zwei. Sina wird im Kugelhagel tödlich getroffen. Lazar bleibt nur ein Ausweg, um seine Geliebte vor dem Tod zu bewahren: Er verwandelt sie in einen Vampir. Wohlwissend, dass Sina dies nie wollte…
Ungeschönte Realität
Puljic erzählt ihre Geschichte aus vier verschiedenen Perspektiven, was ein abwechslungsreiches Gesamtbild ergibt. Allen voran ist da Sina, die unfreiwillig zur Vampirin wird und zu Beginn sehr mit ihrem Schicksal hadert. Wie soll sie als "blutrünstiges Monster" ihre Moral- und Wertvorstellungen aufrechterhalten? Kämpferin, die sie ist, stellt sie sich der Herausforderung und erkennt, dass ihr neues Leben auch ungeahnte Chancen bietet. Gerade in ihrem Beruf als Ärztin kann sie Patienten dank ihrer neuen Fähigkeiten auf eine Art helfen, wie es ihr als Mensch nie möglich gewesen wäre.
Lazar und Cassius zeigen uns zwei unterschiedliche Sichten des Vampirseins auf. Einerseits der melancholische, leicht depressive Lazar, welcher langsam aber sicher seines Lebens überdrüssig ist. Andererseits Cassius, der die Annehmlichkeiten seiner Unsterblichkeit in vollen Zügen geniesst und die moderne Technik zu seinen Gunsten zu nutzen weiss. Es gefällt mir extrem gut, wie die Autorin aufzeigt, dass ein Leben als Vampir nicht nur Vorteile mit sich bringt. Auch als Untoter muss man seinen Lebensunterhalt mit unbefriedigenden Jobs verdienen, Einkäufe tätigen und sich stets unter Kontrolle haben. In unserer heutigen Zeit lauert schliesslich an jeder Ecke eine Überwachungs- oder Handy-Kamera. Das Risiko, durch den technischen Fortschritt als Vampir enttarnt zu werden, wäre heutzutage schlicht Realität. Das Puljic diesem Umstand in der Geschichte Platz einräumt, ist für mich ein weiterer Pluspunkt. Generell schafft sie es, Vampire nicht als perfekte Überwesen zu inszenieren, sondern als Individuen mit Stärken und Schwächen, deren Leben keineswegs nur aus Liebe und Romantik besteht.
Fazit:
Madeleine Puljic hat einen Vampir-Roman geschrieben, der so ganz anders daherkommt als gewohnt. Und das ist gut. Richtig gut! In flüssigem Schreibstil präsentiert sie uns, mit welchen Problemen und Nöten Vampire in unserer heutigen, modernen Welt zu kämpfen haben. Das liest sich äusserst realistisch und spannend und zeigt, dass dieses Genre auch funktioniert, wenn es nicht vor Liebe und Romantik strotzt.
Madeleine Puljic, Droemer-Knaur
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