Raumschiff der Vergeltung
- Pabel
- Erschienen: September 1954
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Marsianer gegen Menschen, aber auf der Venus
In einer zeitlich nicht näher definierten Zukunft bekommt die Erde Besuch von einem außerirdischen Raumschiff. Zunächst freut man sich über die ‚Gäste‘ und möchte sie willkommen heißen. Doch das fremde Schiff ignoriert sämtliche Versuche der Kontaktaufnahme. Die Besatzung sucht offensichtlich etwas, bohrt mit überlegener Technik an verschiedenen Stellen tiefe Schächte in den Erdboden und saugt das dort Entdeckte in sein Inneres.
Als neugierige Menschen dem Raumschiff zu nahe kommen, werden sie durch unbekannte Waffen in Stücke gerissen. Entsetzt (und wütend) gehen die Erdlinge zum Gegenangriff über, doch lange werden sämtliche Attacken zurückgeschlagen. Erst mit einem Trick gelingt es dem ehemaligen Kriegshelden Jack Ferguson, das Raumschiff zu zerstören.
Die Untersuchung der Überreste kann die Herkunft klären: Die Angreifer kamen von der Venus. Über diesen Planeten weiß man kaum etwas, da er in dichten Nebel gehüllt ist. Ohne Kenntnis über die vor Ort zu erwartenden Verhältnisse (oder Fallen) wird eine Expedition zur Venus vorbereitet. An Bord des nagelneuen Kugelraumers „PR 13“ soll eine fünfköpfige Crew feststellen, ob die Venusianer womöglich neue Tücken vorbereiten. Unter dem Kommando des bewährten Captain Ferguson machen sich Leutnant Lewis (Steuermann), Werner Grosse (Ingenieur), Susan Wayne (Ärztin/Biologin) und Ken Slade (Radarmann und Mechaniker) auf den langen Weg zur Venus.
Kaum sind sie dort eingetroffen, werden sie zur Landung gezwungen. Die Erd-Invasoren entpuppen sich als Überlebende vom Mars, die auf die Venus umzogen, als ihr Heimatplanet austrocknete. Nun werfen sie ihr gieriges Auge auf die Erde. Mit Hilfe der Superwaffe „Solar Gravita“ soll die störende Menschheit ausgerottet werden. Das entsprechend ausgerüstete Raumschiff ist bereits startbereit, weshalb sich Ferguson und seine Mannschaft entschlossen in einen eigentlich aussichtslosen Kampf stürzen, um diese Heimtücke zu verhindern …
Zukunft aus dem SF-Gulag
Es sollte eigentlich nicht das Ziel eines SF-Lesers und Fans sein, die übelsten Machwerke des Genres aufzustöbern. Interessiert man sich für die Historie des Genres, bleibt es jedoch nicht aus, dass man über echten Schrott stolpert. Man kann darüber fluchen, oder man versucht zu verstehen, wie solcher Schund - der diese schimpfliche Bezeichnung tatsächlich verdient, statt ihn von selbsternannten Tugendwächtern aufgeprägt zu bekommen - das Licht der Öffentlichkeit erblicken konnte.
„Raumschiff der Vergeltung“ ist ein idealer Kandidat für entsprechende Forschungen. Während der kurios-ungelenke Titel noch dem Zeitgeist angelastet werden kann, erweckt der wunderliche ‚Name‘ des Verfassers den Verdacht bereits in die SF-Historie eingestiegener Leser: „Berl“ ist weniger ein Vorname als eine Art Rülps-Geräusch.
In der Tat hat es einen „Berl Cameron“ nie gegeben. Dieser Name wurde als Sammel-Pseudonym genutzt. In den 1950er Jahren veröffentlichte der englische Verlag Curtis Warren in wenigen Jahren eine Unzahl weniger verfasster als zusammengehauener Garne. Die Honorare waren erbärmlich und lockten höchstens minderbegabte Fließband-Autoren oder Nachwuchskräfte, die darauf hoffen konnten, dass Curtis Warren auch missratenen Mist auf den Markt warf, wenn sich dafür Leser = Käufer fanden.
Vom Schreibteufel besessen
Wer sich dieses Mal hinter „Berl Cameron“ verbirgt, konnte bisher nicht geklärt werden. Das „Sweat-Shop“-Milieu - verzweifelte, in permanenter Finanznot gefangene Autoren hämmerten Texte in ihre Schreibmaschinen - ist eines jener Forschungsgebiete, dem sich Fachleute entweder gar nicht oder mit spitzen Fingern nähern, zumal die Archivsituation fragwürdig ist: Die Verlage kamen und gingen (pleite), Unterlagen verschwanden oder wurden buchstäblich entsorgt.
Nichtsdestotrotz strahlt diese Halbwelt auf ihre Weise ein Locklicht aus, das auch erfahrene Leser mottengleich lockt. Es mag die rohe, von jeglicher Kunstfertigkeit freie ‚Unterhaltung‘ sein, die nicht verbirgt, was eine übliche, mehrfache Überarbeitung eines Manuskripts normalerweise verschwinden lässt: Was in unserem Fall „Berl Cameron“ über sein Schreibpapier erbrochen hat, ist quasi ein O-Ton, der uns normalerweise vorenthalten (bzw. erspart) bleibt.
Logiklöcher, Hauruck-Dramaturgie, spektakelgenutzte Vorurteile, greller Massenmord - bruchlos wird eingesetzt, was die wirre bzw. wahnhaft verzerrte Story vorantreiben kann. Turbulenz-Sequenzen werden so, wie sie dem Verfasser in die Tasten fließen, aneinandergereiht; selten plausibel miteinander verknüpft, sondern dem Effekt unterworfen. „Science“ wird ausgeblendet, „Fiction“ in den Schwitzkasten genommen. Gerade ist man noch auf der Erde, dann geht es zur Venus, wo man auf Einheimische trifft, die eigentliche Flüchtlinge vom Mars sind (und unsere Erdlinge aufgrund vorhandener Atemluft helmfrei metzeln können).
Reine Bosheit rechtfertigt reihenweises Zerstrahlen
Sinn und Verstand muss man dieser kruden Mär nachträglich überstülpen. Die angebliche Invasion von der Venus, anfänglich ausgiebig ausgewalzt, erweist sich später als absolut handlungsirrelevant. Was die Möchtegern-Invasoren umtreibt, ist nur nebenbei eine Invasion, sondern reine Mordlust. Bevor der Todessatellit gen Erde in Bewegung gesetzt wird, nehmen sich die angeblich gefühlsfreien Mars-Monster gern die Zeit, um ihre menschlichen Gefangenen feixend über (faktisch sinnlose) Pläne in Kenntnis zu setzen.
Selbst schuld, denn der Mensch wächst bekanntlich mit der Herausforderung! In unserem Fall genügen vier Männer (plus eine allerdings ständig in Ohnmacht fallende Frau), um solchen Eroberungsgelüsten einen Riegel vorzuschieben. Der Zeitgeist forderte auf dem hier präsentierten Niveau die Todesstrafe als einzig mögliches ‚Gegenmittel‘. Folgerichtig zücken unsere Helden ihre Strahlenpistolen und beladen ihre Taschen mit Mini-Atombomben; anschließend sengen und sprengen sie die zahlen- und hightechmäßig angeblich überlegenden Mars-Venusianer scharenweise in Stücke.
Glücklicherweise hat die Erde die richtigen Leute geschickt! Angeführt von einem Granitkinn- (und -Hirn) Soldaten, scharen sich um ihn ein beinahe ebenso tüchtiger Krieger-Kumpan, ein Wernher-von-Braun-Klon - deutsche Wissenschaftler treiben in den 1950er Jahren für die Entwicklung der US-Raketentechnik voran -, ein Unterdeck-Prolet für die Drecksarbeit und markige Sprüche sowie die erwähnte Quoten-Frau.
Hier wird nicht gezaudert, sondern gehandelt = abgedrückt. Gerechtfertigt wird das durch die Entdeckung immer neuer Grässlichkeiten, die sich die Marsianer zuschulden kommen lassen. Zudem sind sie widerlich anzuschauen und passend zu davon besessen, sich so schurkisch und austilgungswert wie möglich zu gebärden. Keiner kommt letztlich davon, und Autor Cameron findet den passenden Schlusskommentar: „Wer den Wind sät -“ Anfang der 1950er Jahren waren die Leser bibelfest genug, um diesen Spruch aus dem Buch Hosea selbst zu ergänzen: „ - wird den Sturm ernten!“
Fazit:
Beinahe grandios auf die Spitze getriebenes Machwerk, das unter absoluter Umgehung des Begriffs „Niveau“ SF-Stereotypen der Entstehungszeit in endlosen Massenmord-Exzessen schwelgt: „Raumschiff der Vergeltung“ definiert, was („politisch unkorrekter“) Trash, aber in dieser brutalen Wucht trotzdem interessant ist.
Berl Cameron, Pabel
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