Mehr als eine Geistergeschichte
Jamie Conklin ist eigentlich ein normaler Junge, wäre da nicht seine besondere Gabe: er kann Tote noch für eine gewisse Zeit nach ihrem Ableben sehen und mit ihnen sprechen, bevor sie für immer verschwinden. Doch nicht nur das, die Verstorbenen müssen ihm die Wahrheit sagen, wenn er ihnen eine Frage stellt. Das soll schon bald seiner Mutter und ihn aus einer schweren finanziellen Lage helfen.
Jamies alleinerziehende Mutter Tia ist Literaturagentin. Ihr wichtigster Autor stirbt ausgerechnet bevor er seinen letzten Roman - den ersehnten Abschlussband einer mehrteiligen Romanreihe - fertigstellen kann. Dabei benötigt Tia dringend das Geld. Ihre Hoffnung ruht auf ihrem Sohn. Doch natürlich ist der Geist des Schriftstellers nicht der einzige, den Jamie im Verlauf der Geschichte zu Gesicht bekommt. Und es wird darunter auch einen ganz besonderen Geist geben. Einen der anders ist. Einen, der alles verändert...
„Wenn der flatterhafte Finger des Schicksals auf einen zeigt, führen alle Wege zum selben Ort...“
Ohne lange Einleitung und Umschweife landen wir in der Geschichte. Wir wissen um die besondere Gabe des sympathischen Jamie, aus dessen Ich-Perspektive erzählt wird. Entsprechend eindringlich wirken die geschilderten Erlebnisse. Diese umfassen mehrere Jahre, beginnend im Alter von sechs Jahren, während der erzählende Jamie bereits 22 Jahre zählt. King spielt sprachlich geschickt mit diesem Element. Zeitsprünge verdichten die Handlungsstränge, immer wieder gibt es Andeutungen auf bevorstehende Ereignisse. King bleibt dabei fokussiert, ist nicht ausschweifend. Wenn er mal das Tempo aus der Erzählung herausnimmt und ein wenig bei vermeintlichen Belanglosigkeiten verharrt, fällt es direkt auf und man wünscht sich, dass er schnell wieder zum Wesentlichem zurückkehrt. Dabei ist nichts wirklich unwesentlich.
Mit 300 Seiten Umfang gehört „Später“ zu Kings kürzeren Romanen. Insgesamt mutet die Erzählung auch fast wie eine Kurzgeschichte an. Was King dabei wieder auszeichnet sind seine Figuren und ihre Beziehungen. Sie sind lebensnah und schon mit dem ersten Auftreten in der Geschichte greifbar. Allen voran natürlich Jamie und seine Mutter Tia. Sie müssen einige Schicksalsschläge hinnehmen und ihr Leben neu sortieren. Dabei soll Tias Lebenspartnerin und Polizistin Liz schon bald eine besondere Rolle einnehmen. Denn natürlich bleibt Jamies Gabe nicht das gut gehütete Geheimnis zwischen ihm und seiner Mutter. Es ist auch nicht das einzige Geheimnis.
„Das Ganze ist wohl eine Horrorstory“
Auch wenn es hier wirklich um eine richtige Geistergeschichte geht, ist „Später“ lange Zeit weniger gruselig, als das Thema auch dank Jamies Ankündigung auf den ersten Seiten zunächst vermuten lässt. Jamie arrangiert sich mit seiner Gabe, die auftretenden Geister sind zwar gelegentlich schaurig anzusehen, da körperlich nicht unversehrt, bleiben aber ansonsten weitestgehend harmlos. Doch King signalisiert auch hier schon früh, dass das nicht so bleiben wird. Er steigert immer weiter die Spannung, klassische Thriller-Elemente, Beziehungsdrama und Mystery mischen sich mit sanftem Schauer. Zur Mitte nimmt dann das Phantastische deutlich mehr Raum in der Geschichte ein und das oben genannte Zitat soll in jedem Fall wahr werden.
Fazit:
„Später“ ist von Beginn an spannend und atmosphärisch unglaublich dicht. Zwar mag der Roman nicht unbedingt mit einem besonders starken oder originellen Ende aufwarten – wenngleich es in jedem Fall gelungen und King typisch ist - doch bleibt die Dramaturgie auch dank seiner sehr gut gezeichneten Figuren durchweg packend und bietet sich wieder hervorragend für eine Verfilmung an.
Stephen King, Heyne
Deine Meinung zu »Später«
Wir freuen uns auf Deine Meinungen. Ein fairer und respektvoller Umgang sollte selbstverständlich sein. Bitte Spoiler zum Inhalt vermeiden oder zumindest als solche deutlich in Deinem Kommentar kennzeichnen. Vielen Dank!