Der Schritt ins All

  • Pabel
  • Erschienen: Januar 1957
  • 0
Der Schritt ins All
Der Schritt ins All
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Michael Drewniok
60°1001

Phantastik-Couch Rezension vonJan 2021

Weltraum-Tod und Schurkenschliche

In dieser Zukunft fährt man auf Erden zwar schon in Turbinenautos umher, doch in den Weltraum schafft man es bisher aufgrund zu schwacher Raketenmotoren nicht - so heißt es zumindest öffentlich, als Jung-Mann Jim Stanley - vom Geheimdienst ausgiebig durchleuchtet - angeheuert wird, um als Techniker jenem Team beizutreten, das in 1750 Kilometer Höhe die streng geheime US-Raumstation Nr. 1 baut.

Da diese Erde noch ein Eiserner Vorhang teilt - die Kommunisten firmieren unter dem Oberbegriff „Kombinat“ - ist man auf der Gegenseite ebenso misstrauisch wie missgünstig, obwohl die US-Regierung besagte Station finanziert, um dort Wissenschaftler forschen zu lassen. ‚Vorsichtshalber‘ bringt man aber trotzdem ein paar Raketenbomben an Bord, um sie auf die Häupter etwaiger Unruhestifter hinabregnen zu lassen.

Dies erregt nicht nur den Unwillen des Kombinats. Auch nicht kommunistisch infiltrierte Gruppen wollen eine US-Kampfbasis im Erdorbit verhindern. Obwohl Geheimdienst und FBI eifrig filtern, können Saboteure bis auf die Station vordringen. Dieser Schuss geht allerdings nach hinten los, denn das Militär nutzt die Attacken als Vorwand und rüstet die Station erst recht auf.

Idealist Jim Stanley hält sich aus dem Konflikt heraus. Die Arbeit in der luftlosen Schwerelosigkeit ist nicht nur schwer, sondern jederzeit lebensgefährlich. Immer wieder kommt es zu Unfällen. In der Regel gehen sie tödlich aus. Jim überlebt und beginnt seinen Job und das Weltall zu lieben. Als der Streit um die Station auf der Erde eskaliert, gehört er zu denen, die im Orbit die friedliche Nutzung anmahnen. Um sie zu sichern, stellt sich scheinbar sogar gegen die eigenen Leute …

Nur die Guten sollten/dürfen ins All!

Die Science Fiction ist paradoxerweise ein erstaunlich konservatives Genre. Zeitgeistige Strömungen spiegeln sich in Werken wider, die angeblich eine sich zum Positiven entwickelnde Zukunft zeigen wollen. Uneins war man beispielsweise in der Frage, ob  Naturwissenschaft und Technik nicht so kontrolliert werden müssen, dass nur die ‚Guten‘ sich ihrer Kräfte bedienen. Anders ausgedrückt: Der Fortschritt ist keine Einbahnstraße ins Glück, die man unbewacht lassen darf! Dies galt ganz sicher in den 1950er Jahren = in der Ära des Kalten Kriegs, der leicht außer Kontrolle geraten konnte.

Während jenseits des Eisernen Vorhangs die Menschenrechte grundsätzlich missachtet wurden, setzte man im „Freien Westen“ auf (mehr oder weniger) subtile Propaganda und auf Bürger, die den allgemeinen Ernst der Lage = des Teufels sowjetrotes Zeichen am Horizont erkannten. Dort lauerten sie, und nur die allzeit wachsamen Ritter besagten Westens konnten sie daran hindern, den Vorhang zu lüften oder gar in das Paradies auf Erden - die USA - einzufallen!

Wäre es nicht schön, den Roten aufs zu Dach steigen, um ihnen von dort mit Atomraketen zuzuwinken? Schon würde Friede sein auf Erden und allen (guten) Menschen ein Wohlgefallen! Eine Raumstation war die (aus zeitgenössischer Sicht) ideale Lösung, wie uns Lester del Rey verdeutlichen möchte. Natürlich schläft der tückische Feind nicht und bringt gemeine Tricks zum Einsatz, um das Projekt zum Scheitern zu bringen, denn selbstverständlich verweigert er die weise Aufsicht derer, die das Alleinrecht beanspruchen, sich buchstäblich über die Menschheit zu erheben!

Vorsichtiger Blick auf Gegenargumente

In diesem Sinn thematisierten SF-Autoren dieser Epoche oft einen Konflikt, den sie zwar  ins All verlagerten, dabei jedoch ausgesprochen gegenwärtige Ansichten vertraten. In dieser Hinsicht sorgt Lester del Rey für eine (angenehme) Überraschung. Obwohl er zunächst „auf Linie“ zu liegen scheint, weicht er vom strikten Hurra-Patriotismus westlicher Prägung ab und erinnert an den Ur-Gedanken einer Raumfahrt, die allen Menschen dienen sollte. Dass Station Nr. 1 nach und nach von den Militärs übernommen wird, stellt del Rey keinesfalls positiv dar. Selbst der entlarvte Saboteur wird nicht strafend über den Haufen geschossen, sondern nach seiner Gefangennahme angehört. Sogar Jim Stanley, der ihn entlarvt hat, kann sich seinen Argumenten nicht gänzlich entziehen; letztlich windet er sich halbwegs aus der moralischen Bredouille, indem er sich damit tröstet, dass Gewalt im Dienst einer guten Sache generell falsch ist.

Del Rey scheut nicht vor Szenen zurück, in sich aufgeblasene Militärs lächerlich machen. Letztlich steigen sogar die Apparatschiks des Kombinats mit ins Fortschritt-Boot, und (ein wenig) abgerüstet wird auch. Dass eine Raumstation den Startpunkt für den Weltfrieden darstellt, ist eine naive, aber sympathische Hoffnung, die daraus resultierende Story allemal besser als die allzu zeittypischen Kommunistenfresser-Garne - und geradezu sensationell ist die von del Rey ausdrücklich befürwortete Anwesenheit von Frauen im All, die dort ebenso einsatztauglich wie ihre männlichen Kameraden sind!

Spannungsförderlich setzt der Autor die technischen Schwierigkeiten ein, vor denen unsere Bauarbeiter im Orbit stehen. Sie müssen hinauf in eine gleichermaßen heiße wie kalte, druck- und luftlose, kosmisch tödlich bestrahlte Welt, in der sie sich nur unter gewaltigem Aufwand am Leben halten können. Del Rey hat sich diesbezüglich durchaus informiert und nutzt die Exotik einer Umgebung, in der simple physikalische oder chemische Reaktionen spektakulär anders als auf der Erde ablaufen können.

Mehr als der Propaganda-Tropf vom Dienst

Im Rückblick fragt man sich, ob den Hardlinern in den 1950er Jahren wirklich nicht auffiel, dass man sich pädagogisch selbst ein Bein stellte, wenn man sein Zielpublikum mit Identifikationsfiguren konfrontierte, die sowohl Engeln auf Erden als auch programmierbaren Robotern glichen. Jim Stanley ist gerade 18 Jahre ‚alt‘, und im ersten Kapitel setzt ihn sein Chef wegen allzu ausgeprägter Tüchtigkeit vor die Tür (kein Witz!). Zudem ist Jim Waise und schlägt sich redlich durchs Leben, denn nur hart erarbeitet ist Geleistetes nützlich.

Doch Jim ist nicht der Bürstenschnitt-Repräsentant einer stumpfkonservativen Zukunft. Obwohl wir es hier mit einem „Young-Adult“-SF-Roman zu tun haben, soll Jim nicht stellvertretend für die männlichen Leser manipuliert werden, um ‚brav‘ zu sein und sich in die Schlange jener Jünglinge einzureihen, die in Korea die „commies“ züchtigten und später - falls sie überlebten - dabei halfen, Naturwissenschaft und Technik so voranzutreiben, wie Ike Eisenhower, die CIA und das FBI es für richtig hielten.

Stattdessen behält Jim einen kritischen Blick. Er ist deshalb kein Rebell, sondern ein Mann der Zukunft, wie del Rey ihn favorisiert, denn er legt dabei ein Denken an den Tag, das erst viel später salontauglich wurde. Einen wie Jim Stanley könnte man sich problemlos an Bord einer der vielen „Enterprises“ vorstellen. Diese unerwartet ‚moderne‘ Sicht versöhnen zusammen mit dem plastisch geschilderten Arbeitsalltag im All umd dem Verzicht auf eine schmalzige Liebesgeschichte mit einer vor originellen Ideen nicht gerade sprühenden Story, die überraschend lesbar geblieben ist.

Anmerkung: ‚Harte‘ (= ‚richtige‘) SF aus den USA wurde hierzulande gern übersetzt. In diesem Fall blieb es jedoch beim einmaligen Gastspiel, während Jim Stanley daheim in zwei Fortsetzungen („Mission to the Moon“, 1956, u. „Moon of Mutiny“, 1961) zeigen durfte, wie sich der Mensch noch weiter ins All vortastete.

Fazit:

Eine Raumstation wird zum Symbol einer Hoffnung, die mit dem Schritt ins All gleichgesetzt wird, woraufhin sich der Weltfrieden quasi automatisch einstellen wird. Diese zwar weltfremde, aber sympathische Sicht wird mit einer recht spannenden Handlung verwoben und sorgt für ein nostalgisches Lektürevergnügen ohne den (oft üblichen) bitteren Beigeschmack plumper Indoktrination.

Der Schritt ins All

Lester del Rey, Pabel

Der Schritt ins All

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