Erdsee: Die erste Trilogie
- Fischer
- Erschienen: Oktober 2020
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Was für ein Trauerspiel
Der junge Ged, Sperber genannt, wächst in einem kleinen Dorf auf der Insel Gont auf. Seine magisch begabte Tante bringt ihm ein paar Zaubersprüche bei, die der Siedlung eines Tages tatsächlich zugutekommen: Ged rettet die Bewohner vor angreifenden Truppen. Bald darauf kommt ein Fremder in den Ort und bringt den Jungen zur Magierakademie in Rok. Dort beschwört Ged aus Versehen ein dämonenartiges Wesen aus der Unterwelt herauf …
Viel los im Archipel
Die Erdsee-Saga hat sich seit der Veröffentlichung des ersten Bandes 1968 zu einem viel geliebten Klassiker entwickelt. Als einer der ersten High-Fantasy-Vertreter wurde v. a. das Setting gerühmt und das Magie-System, das besagt, das jede Person und jedes Ding einen Namen in der Ursprache besitzt und so kontrolliert werden kann. Mehrere Auflagen und eine Verfilmung (die man am besten aus den Annalen der Buchadaptionen kommentarlos streicht) später, wird nun eine neu übersetzte Ausgabe abgeliefert, welche die ersten drei Teile der Saga umfasst.
Die Welt von Erdsee bietet viel Potential. Alle möglichen Kulturen, Landschaften und Völker besiedeln die einzelnen Inseln, immer wieder gibt es auf den Reisen der Protagonisten Neues zu entdecken. Und natürlich wird in diesem klassischen Fantasy-Abenteuer gemunkelt, dass es auch Drachen gibt. Die Magie der wahren Namen ist gleichfalls interessant und ein von anderen Fantasy-Autoren gern genutztes System. Nur leider oft nicht ganz so gut ausgearbeitet.
In die Jahre gekommen, aber immer noch gut!
Die Grundstruktur der Geschichte ist gut angelegt. Die Handlung ist solide, wenn auch schon etwas altbacken: Ein magisch begabter Jüngling, der auf eine Magierschule kommt und schließlich der mächtigste Zauberer der Welt wird und das Böse aus ihr vertreibt. Ein aus heutiger Sicht ausgereizter Plot, doch das sei der Geschichte verziehen. Immerhin handelt es sich um einen Klassiker, der einst zur Bildung des High-Fantasy-Genres beigetragen hat. Über Klischees muss man deshalb verständlicherweise hinwegsehen. Die Figuren sind spannend angelegt, denn Ged ist ein ganz schön eingebildeter Fatzke, der in Coming-of-Age-Manier erst einmal seinen Platz in der Welt finden muss.
Eine klassische Story, mit bekannten Ideen. Kann das heutige Fantasy-Leser noch an der Stange halten? Ja, könnte es. Wenn es gut geschrieben wäre. Und hier fängt das Problem an.
Achtung, jetzt wird’s ungemütlich
Wer aus Nostalgie-Gründen bei der Erdsee-Saga nicht mit Kritik klarkommt, braucht jetzt starke Nerven: Le Guins Geschichten verursachen nämlich die alles umfassende Stil-Apokalypse. Und das, obwohl Fans Le Guins Schreibtalent immer wieder loben. Nach den grandiosen Beschreibungen und ergreifenden Szenen kann man sich aber nur dumm und dusselig suchen. Und wo steckt eigentlich die vielgerühmte poetische Sprache?
Fakt ist: Die Autorin weigert sich schlicht, den Inhalt erzählerisch ansprechend zu präsentieren. Warum sich auch die Mühe machen, dem Leser die Geschichte szenisch nahezubringen? Ein komprimierter Abriss tut’s doch auch! Und Dialoge? Braucht niemand. Leider ist das kein Witz. Es wird so konsequent vermieden, den Leser in die Welt eintauchen zu lassen oder die Charaktere und ihre Motivationen kennenzulernen, dass es weh tut. Man bekommt zwar mitgeteilt, dass Ged Freunde findet, dass er eine tolle Zeit erlebt, dass zwei Figuren schön Konversation gemacht haben. Die Leser sind jedoch nicht dabei: „show, don’t tell“ – Fehlanzeige, und das auf über 500 Seiten. Stattdessen fliegt die erzählte Zeit nur so dahin. Aber keine Sorge, man bekommt schließlich alle Entwicklungen, Ereignisse und Gespräche schön zusammengefasst. Selbst wenn dieses Erzählkonzept mit Absicht gewählt worden wäre, um einen altertümlichen Touch zu erzeugen, bilden Inhalt und Stil eine so inkonsistente Komposition, dass am Ende nur der Eindruck eines missglückten Schreibversuchs bleibt.
Fazit:
Inhaltlich könnte die Erdsee-Saga immer noch etwas sein. Aber der Schreibstil macht alles kaputt. Trotzdem haben die Geschichten eine hartgesottene Fangemeinde. Vor dem Kauf sollte man also unbedingt reinlesen, wenn man vermeiden möchte, das „gute“ Stück frustriert an die Wand zu klatschen.
Ursula K. Le Guin, Fischer
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