Der doppelte Schatten: Gesammelte Erzählungen - Band 6
- Festa
- Erschienen: Dezember 2017
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Schön- und Grausamkeiten dieser und anderer Welten
Der sechste und letzte Band der Clark-Ashton-Smith-Sammlung des Festa-Verlags beinhaltet 24 zwischen 1910 und 1958 entstandene Storys, deren Verfasser noch einmal gekonnt und elegant Horror-, SF- und Mystery-Geschichten erzählt:
- Die letzte Beschwörung (The Last Incantation; 1930), S. 9-15: Der uralte Erzmagier lässt seine Jugendliebe vom Tod zurückkehren, aber die Gefühle von einst stellen sich nicht mehr ein.
- Eine Reise nach Sfanomoë (A Voyage to Sfanomoë; 1931), S. 16-26: Vor dem nahen Untergang der Erde will ein Bruderpaar auf den Planeten Venus entkommen, was zwar gelingt, aber dennoch gänzlich unerwartet endet.
- Der doppelte Schatten (The Double Shadow; 1933), S. 27-44: Der wissensgierige Magier beschwört eine Kraft herauf, die weder dankbar noch kontrollierbar ist.
- Ein edler Tropfen aus Atlantis (A Vintage from Atlantis; 1933), S. 45-54: Ein aus dem Meer geborgenes Fass beschert normalerweise trinkfesten Piraten einen rückkehrfreien Sauf-Trip in die Vergangenheit.
- Der Tod des Malygris (The Death of Malygris; 1934), S. 55-71: Ist der gefürchtete Groß-Magier endlich tot? Als sich einige Konkurrenten dessen vergewissern wollen, erwartet sie eine böse Überraschung.
- Der Kuss der Zoraida (The Kiss of Zoraida; 1933), S. 72-80: Leider ist der misstrauische Gatte der schönen Zoraida nicht so fern, wie es der freche Liebhaber gedacht hat, was ihm nun unerquickliche Konsequenzen beschert.
- Das dunkle Zeitalter (The Dark Age; 1938), S. 81-101: Lange nach der Apokalypse bemüht sich ein junger Mann um die Rückkehr der Zivilisation, doch deren letzte Überlebende wollen ihn als Erben nicht akzeptieren.
- Die Phantome des Feuers (The Phantoms of the Fire; 1930), S. 102-109: Nach vielen Jahren kehrt ein Herumtreiber in sein Heim zurück, was sich jedoch als Wunschvision entpuppt.
- Der Mahut (The Mahout; 1911), S. 110-118: Mit Hilfe eines Elefanten gelingt die Rache eines Mannes, der guten Grund hat seinen Maharadscha zu hassen.
- Die ewige Welt (The Eternal World; 1932), S. 119-144: Der geniale Wissenschaftler erfindet eine Maschine, mit der er nicht durch, sondern hinter die Zeit reisen kann, wo er fantastische Abenteuer erlebt.
- Der Geist des Mohammed Din (The Ghost of Mohammed Din; 1910), S. 145-154: In seinem Haus wartet der Geist eines ermordeten Mannes auf seine Erlösung.
- Gestrandet auf Andromeda (Marooned in Andromeda; 1930), S. 155-196: Raumschiffer Volmar setzt drei Meuterer auf einem Planeten aus, wo ebenso seltsame wie hungrige Kreaturen ihnen das Leben schwer und kurz machen.
- Gefangen im Sternbild der Schlange (A Captivity in Serpens; 1931), S. 197-256: Dieses Mal verschlägt es Captain Volmar selbst auf einen fremden Planeten, wo er und seine Begleiter als biologische Kuriosität ein wenig zu intensiv gemustert werden, weshalb sie die Flucht ergreifen.
- Landschaft mit Weiden (The Willow Landscape; 1931), S. 257-263: In einer hoffnungslosen Zwangslage eröffnet sich dem verzweifelten Mann ein unerwarteter Ausweg.
- Der in den Staub tritt (The Treader of the Dust; 1935), S. 264-274: Der neugierige Okkultist ruft einen Dämon zu sich, der sich jeder Kontrolle entzieht und freudig sein böses Werk beginnt.
- Phönix (Phoenix; 1954), S. 275-289: Die erloschene Sonne soll in ferner Zukunft neu ‚gezündet‘ werden.
- Der Dämon der Blume (The Demon of the Flower; 1933), S. 290-304: Der grausame Dämonengott fällt zwar dem raffinierten Mordplan zum Opfer, hat aber einen schwarzmagischen Joker in der Hinterhand.
- Die unsichtbare Stadt (The Invisible City; 1932), S: 305-333: Verirrte Forscher stolpern tief in der asiatischen Wüste buchstäblich über eine außerirdische Kolonie.
- Die Gerechtigkeit des Elefanten (The Justice of the Elephant; 1931), S. 334-338: Mit einem Trick zieht der allzu grausam gepeinigte Untertan seinen Herrscher zur Rechenschaft.
- Das Königreich des Wurms [Die Geschichte des Sir John Maundeville] (The Kingdom of the Worm; 1933), S. 339-348: Wider alle Warnungen wagt sich Sir John in ein mystisches Reich des Todes, dessen Herrscher ihm eine schaurige Lektion erteilt.
- Die urweltliche Stadt (The Primal City; 1934), S. 349-358: Die versunkene Stadt wird gefunden, doch ihre Wächter sind zum Pech der Entdecker weiterhin aufmerksam.
- 13 Phantasmen (Thirteen Phantasms; 1936), S. 359-363: Dem sterbenden Mann erscheinen in der Stunde seines Todes die Frauen seines Lebens.
- Der Abschied der Aphrodite (The Passing of Aphrodite; 1934), S. 364-366: Die Göttin der Schönheit zieht sich aus der Welt zurück.
- Das Symposium der Gorgone (Symposium of the Gorgon; 1958), S. 367-379: Nach einem wahrlich überirdischen Gelage findet sich der Zecher auf einer Kannibalen-Insel wieder.
- Scott Connors/Ron Hilger: Anmerkungen zu den Erzählungen (2011), S. 380-408
Nicht einfach der Rest, sondern weiterhin großartige Unterhaltung
Man muss dem Projekt Bewunderung zollen - und man tut es gern: Ungeachtet der Tatsache, dass sich die Zahl der (kaufenden) Interessenten in Grenzen hielt, zog Frank Festa die Gesamtausgabe der Erzählungen durch, die Clark Ashton Smith (1893-1961) in einem halben Jahrhundert geschrieben hatte. Sechs Bände kamen 2011 bis 2017 in deutscher Ausgabe zusammen, die der Fan klassischer Phantastik als Schätze horten und hüten wird.
Wer nun fürchtet, dass für den letzten Band zusammengekehrt wurde, was sich im Smith-Nachlass noch fand, sei beruhigt: Die Qualität der Storys entspricht dem Unterhaltungsniveau der fünf Vorgängerbände. Noch einmal zeigt Smith, dass er die Genres Science Fiction, Horror und Fantasy gleichermaßen und bei Bedarf sogar gleichzeitig bedienen konnte. Obwohl er für die zeitgenössischen „Pulp“-Magazine schrieb, deren Herausgeber ihre Leser mehrheitlich für Idioten hielten, gelang es Smith, sich nicht nur seine persönliche, sehr eigene Stimme zu bewahren, sondern Maßstäbe für die Phantastik zu setzen. Dafür zahlte er seinen Preis und blieb erfolglos, weil er seine Kunst nicht trivialisieren wollte.
„Der doppelte Schatten“ präsentiert u. a. Storys, die zum sog. „Poseidonis“-Zyklus gehören („Die letzte Beschwörung“, „Eine Reise nach Sfanomoë“, „Der doppelte Schatten“ und „Der Tod des Malygris“). Poseidonis ist das letzte Refugium einer Menschheit, die in ferner Zukunft vor dem Untergang steht, weil die Sonne allmählich erlischt. Wissenschaft und Technik sind vergessen bzw. wurden durch Magie und Hexerei ersetzt. Diese Storys zeigen einen quasi tragischen Unterton, der das nahe Ende immer widerspiegelt. Manchmal melancholisch, aber oft fast zynisch beschreibt Smith eine exotisch-fremdartige Welt, deren dekadente Bewohner ihre menschlichen Schwächen bewahrt haben. Im Konflikt mit Kräften, die oft eher außerirdisch als jenseitig sind, resultieren daraus drastische Einzelschicksale, die einen überaus schwarzen Humor transportieren.
Hakenschlagender Honorarempfänger
Smith war durchaus willens, ‚publikumsaffine‘ Phantastik zu schreiben - innerhalb seiner Toleranzgrenzen, die freilich mit den Prämissen der profitorientierten Magazin-Herausgeber nie deckungsgleich waren. In den „Anmerkungen“ beklagt Smith sich meist bei seinem Brieffreund H. P. Lovecraft über ängstliche Redakteure, die am liebsten Fließband-Abenteuer ankauften. Storys wie „Die ewige Welt“, „Gestrandet auf Andromeda“ und „Gefangen im Sternbild der Schlange“ belegen, dass Anspruch und Unterhaltung einander keineswegs ausschlossen. Obwohl Smith hören musste, dass diese Erzählungen „zu wenig Action“ enthielten, wirkt dies viele Jahrzehnte später wie ein schlechter Scherz: Wenn Science Fiction bedeutet, dass fremde Welten sich dem menschlichen Verständnis verschließen, hat Smith ausgezeichnete Arbeit geleistet!
Atmosphäre und der ständige Druck einer latenten Drohung: Smith ließ in meisterhafte Stimmungsbilder die zeitgenössisch ungewohnte Erkenntnis einfließen, dass die Verantwortung für katastrophal fehlgeschlagene Kontaktaufnahmen bei den Menschen lag, die einfach falsch oder überreagierten, wo sie abwarten und nachfragen sollten. Letztlich musste dieser Konflikt nicht unbedingt in den Tiefen des Alls entstehen. „Die unsichtbare Stadt“ und „Die urweltliche Stadt“ spielen auf der Erde. Smith stellt auch hier die Faszination des Unverstandenen über die Beantwortung sämtlicher Fragen. Nicht nur in diesem Punkt erweist er sich an Mitglied des „Lovecraft-Zirkels“: Immer wieder zitiert Smith den Kollegen und Freund, der sich im Gegenzug aus dem Smith-Ideenfundus bediente.
Ohnehin war Smith zu klug, um sich auf eine Zukunft zu freuen, in der dank Naturwissenschaft und Technik alles besser würde. Schon 1938 und damit auf dem Höhepunkt des „Golden Age“ der Science Fiction hielt er mit „Das dunkle Zeitalter“ dagegen und beschrieb recht sarkastisch eine Zukunft, in welcher der Mensch nicht die Kehrtwende zum Neuanfang schafft, sondern systematisch letzte Ressourcen auslöscht. Ebenfalls traurig endet die ansonsten gelungene ‚Wiedererweckung‘ der Sonne, denn nur symbolisch kehrt in „Phoenix“ der siegreiche Held heim zur Geliebten: als Sonnenstrahl. In „Der Abschied der Aphrodite“ verabschiedet sich die Göttin von einer Welt, die sich von ihr entfernt hat; man könnte durchaus vermuten, dass sie sich zu den Grauen Anfurten aufmacht …
Am Ende erwartet dich stets eine böse Überraschung
Smith war kein Freund des (schwülstigen) Happy-Ends. In der Regel erwartet seine Protagonisten eine finale Überraschung, die durchaus schlimmer als der Tod sein kann. „Die Phantome des Feuers“ - eine Variation jenes Themas, dem Ambrose Bierce mit der Erzählung „An Occurence at Owl Creek Bright“ (1890, dt. „Ein Vorfall an der Owl Creek Bridge“) literarische Unsterblichkeit verlieh - erzählt von einer sich verselbstständigenden Hoffnung, die kurzfristig die Realität verdrängt, bis diese erst recht durchschlägt. Auch wagemutige Pläne werden nicht nur scheitern, sondern zusätzlich üble Folgen zeitigen. („Der Dämon der Blume“, „Der in den Staub tritt“).
Wenn Smith in gemütvoller Stimmung ist, lässt er den Tod als Freund kommen („13 Phantasmen“, „Landschaft mit Weiden“). Ist es aber ein allzu von sich überzeugter ‚Held‘ wie Sir John Maundeville, der sich wider besseres Wissen in Gefahr begibt, sorgt Smith nachdrücklich für ein böses Erwachen („Das Königreich des Wurms“). Überhaupt kann er aufgezwungene Hierarchien nicht leiden. In seiner von geregelter Alltagsarbeit geprägten Realität war Smith ein Außenseiter. Als solcher scheint er sich mehrfach selbst in sein Werk einzubringen - unterhaltsam verbrämt in „Ein edler Tropfen aus Atlantis“, aber gegen Ende seines Lebens unverhüllt und selbstironisch, aber verbittert („Das Symposium der Gorgone“).
Einige Storys schrieb Smith in jungen Jahren („Der Mahut“, „Der Geist des Mohammed Din“); sie bieten geradlinigen Grusel bzw. Conte-cruel-Elemente, die Smith generell schätzte, weil sie seinen Sinn für ein mehrdeutiges Finale befriedigten, das nicht zwangsläufig übernatürlich geprägt sein musste („Der Kuss der Zoraida“, „Die Gerechtigkeit des Elefanten“ - hier hat Smith übrigens seine alte „Mahut“-Story nacherzählt und neu verkauft.) Immer hat sich der Verfasser Mühe gegeben. Sein Stil wird oft als „manieristisch“ oder blumig-überladen bezeichnet. Faktisch ist es ein Stil, und auf dem Fundament kruder Ideen entstand ein Werk, das es verdient hat, in dieser Veröffentlichungsqualität präsentiert zu werden!
Fazit:
Mit dem sechsten Band ist das Sammelwerk der Smith-Erzählungen abgeschlossen. Ein letztes Mal brennt der Verfasser ein Feuerwerk kurioser Ideen ab, denen er mit seinem ganz besonderen Stil eine unverwechselbare Note gibt. Clark Ashton Smith ist vollständig in Deutschland angekommen - ausgezeichnet übersetzt und fein gestaltet!
Clark Ashton Smith, Festa
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