Vampire - 16 x Grauen mit Frauen
- Bastei-Lübbe
- Erschienen: Januar 1988
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Sie lieben, hassen - und beißen
In 16 Geschichten aus 150 Jahren stellen Vampir-Frauen ihren Opfern nach:
- Charles G. Waugh: Einführung: Warum es so viele ‚Damen der Nacht‘ gibt (Introduction: Why There Are So Many „Ladies of the Night“; 1987), S. 7-10
- Stephen King: Eines auf dem Weg (One for the Road; 1977), S. 11-30: Ausgerechnet nahe der Ruinenstadt Salem’s Lot bleibt der Familienwagen stecken; dort sind nicht Schnee und Kälte das Problem, sondern die untoten Bürger.
- William Tenn: Denn sie geht nur nachts aus ... (She Only Goes Out at Night ...; 1956), S. 31-38: Junge liebt Mädchen, wobei dieses ein Vampir ist - ein Problem, das sich heutzutage wissenschaftlich lösen lässt.
- David H. Keller: Erbanlagen (Heredity; 1947), S. 39-54: Der Fachmann soll den anscheinend gestörten Sohn untersuchen, doch dass dieser eigentlich nur nach der Mutter schlägt, findet er zu spät heraus.
- Théophile Gautier: Clarimonda (La morte amoureuse 1836), S. 55-86: Der junge Priester gerät auf unheilige Abwege, als er einer ebenso schönen wie untoten Kurtisane verfällt.
- Robert Bloch: Der Umhang (The Cloak; 1939), S. 87-104: In einem obskuren Laden erwarb er für ein Kostümfest ein Cape, das ein Eigenleben entwickelt und ihn in seinen untoten Vorbesitzer verwandelt.
- F. Marion Crawford: Denn das Blut ist Leben (For the Blood Is the Life; 1905), S. 105-124: Die schöne Frau wurde nach ihrer Ermordung zum Vampir, doch nicht einmal gepfählt kann sie in ihrem Grab Frieden finden.
- Manly Wade Wellman: Das letzte Grab von Lill Warran (The Last Grave of Lill Warran; 1951), S. 125-150: Die schöne Lill fand einen hässlichen Tod, und zu allem Überfluss hält es sie nicht in ihrem Grab, weshalb man tagsüber immer wieder über ihre ‚Leiche‘ stolpert.
- Fritz Leiber: Das Mädchen mit den hungrigen Augen (The Girl with the Hungry Eyes; 1949), S. 151-170: Sie ist ein Vampir der modernen Gegenwart und giert nicht nach Blut, sondern nach emotionsgeladenen Erinnerungen.
- Julian Hawthorne: Kens Geheimnis (Ken's Mystery; 1883), S. 171-196: In Irland wird der Reisende in ein vergangenes Drama verstrickt, das in der Gegenwart wieder auflebt.
- Seabury Quinn: Ruhelose Seelen (Restless Souls; 1928), S. 197-236: Geisterjäger Jules de Grandin muss nicht nur einen verblendeten Liebhaber, sondern auch dessen unglücklich untote Braut vor dem Bösen retten.
- August Derleth: Schneetreiben (The Drifting Snow; 1939), S. 237-250: Der Fluch einer bösen Tat ist buchstäblich präsent und wartet geduldig auf jede Gelegenheit zur Rache.
- Manly Wade Wellman: Als der Mond schien (When It Was Moonlight; 1940), S. 251-270: Schriftsteller Edgar Allan Poe will eine lebendig begrabene, aber gerettete Frau befragen und stellt fest, dass diese doch unter die Erde gehört.
- Mary Wilkins Freeman: Luella Miller (Luella Miller; 1902), S. 271-288: Sie hat ihren Opfern kein Blut, sondern die Lebenskraft ausgesaugt, bis man sie buchstäblich verhungern ließ.
- Richard Matheson: Das Kleid aus weißer Seide (Dress of White Silk; 1951), S. 289-294: Das Kind will die (‚verstorbene‘) Mutter trotz der großmütterlichen Bemühungen nicht vergessen; dies ist ihm gar nicht möglich, wie sich blutig zeigt.
- Tanith Lee: Rot wie Blut (Red As Blood; 1979), S. 295-308: Schneewittchen ist eigentlich ein Vampir, den die gar nicht böse Schwiegermutter zum Wohle des Königreiches aus dem Verkehr zieht.
- Sheridan Le Fanu: Carmilla (Carmilla; 1872), S. 309-396: Die schöne Carmilla nistet sich bei ihren arglosen Gastgebern ein, gewinnt deren Herzen - und beginnt das Blut der Tochter zu saugen.
- Copyrightangaben der Geschichten, S. 397-399
Richtig gute Horror-Klassik!
Manchmal überrascht man sich als Sammler und Rezensent selbst: Vor drei Jahrzehnten hatte ich diese Sammlung erworben. Seitdem fristete sie ungelesen ihr Dasein auf einem der vielen Regalbretter meiner Bücherminen. Hart = unflexibel waren die damals in Frankreich gedruckten und gebundenen Taschenbücher des Bastei-Lübbe-Verlags, unscheinbar ist das Äußere; es ‚ziert‘ ein Cover, das von einem „John-Sinclair“-Groschenheft übernommen wurde. Wenig Vorfreude weckt außerdem ein plump-‚origineller‘ Untertitel: „16 x Grauen mit Frauen“. Nun geriet mir der Band zufällig wieder in die Hände - und siehe da: Spät, aber zufrieden lernte ich eine Sammlung richtig guter Gruselgeschichten kennen!
Dass sie von Martin Greenberg und Charles G. Waugh herausgegeben wurde, garantiert keine Qualität, da dieses Duo in den 1980er Jahren gefühlt jede zweite Sammlung phantastischer Kurzgeschichten betreut hat. Ihren Job beherrschten sie, weshalb sie trotz ihrer Rastlosigkeit manche vergessene Kostbarkeit zurück ans Licht holten; dass sie dabei auch Bekanntes recycelten, begründeten Greenberg & Waugh mit der Relevanz einer schon wieder abgedruckten Story für die Genre-Historie.
Das Oberthema der Sammlung lautet (weibliche) Vampire. Sie trieben ihr Unwesen schon lange vor Bram Stokers „Dracula“ (1897). Ihre Beliebtheit begründen die Herausgeber (unter Bemühung nerd-typischer Klischees) so: „Unter den Fans der phantastischen Literatur gibt es einen großen Prozentsatz an jungen Männern, die Angst vor jungen Frauen haben … Da die meisten Vampire durch den Einsatz von Verführungskünsten und Hypnose ihr Ziel zu erreichen suchen, passt die weibliche Spielart ausgezeichnet in das Bild, das die jüdisch-christliche Welt von Eva als Verführerin gewählt hat.“ (S. 9)
Lust und Last des Untods
Glücklicherweise präsentieren die ausgewählten Geschichten Vampirfrauen, die mehr als brünstig-bedrohliche ‚Blut‘-Saugerinnen darstellen. Schon Joseph Sheridan Le Fanu (1814-1873) schuf 1872 (und ein Vierteljahrhundert vor „Dracula“) mit „Carmilla“ eine nicht grundlos klassische Vampir-Variante. (Die Karnsteins tauchen übrigens in mehreren Horrorfilmen des britischen „Hammer“-Studios auf.) Eine faktisch eher spekulative Sichtweise stellt die womöglich lesbische Beziehung zwischen Carmilla und ihrem weiblichen Opfer dar. Tatsächlich ist dies von sekundärer Bedeutung. Le Fanu geht es um die enge emotionale Beziehung zwischen Vampir und Opfer. Carmillas ‚Liebe‘ entpuppt sich als vielfach erprobter Jagd-Trick. Le Fanu schildert den Vampir als berechnende, letztlich auf Blut und Erhalt der untoten Existenz fixierte Kreatur.
Auch in den Erzählungen von Stephen King (*1947), David Henry Keller (1880-1966), Robert Bloch (1917-1994), August Derleth (1909-1971) und Richard Matheson (1926-2013) spielt die Liebe keine Rolle. Allein die Blutgier bestimmt das Verhalten der beschriebenen Vampirinnen, die darüber hinaus jegliche erotische Ausstrahlung vermissen lassen - ein ‚Manko‘, das übrigens den Unterhaltungswert dieser Storys in keiner Weise mindert: Weibliche Vampire MÜSSEN keine Verführerinnen sein, wie glücklicherweise viele Autoren erkannt haben.
Darüber kann man auch deshalb froh sein, weil nicht grundlos gerade diejenigen Geschichten, in denen die ‚unheimliche‘ Liebe beschworen wird, oft altmodisch oder peinlich wirken. Ein ‚gutes‘ Beispiel liefert Seabury Quinn (1889-1969) in einer seiner vielen Erzählungen um den Geisterjäger Jules de Grandin, der darüber hinaus Franzose und damit zu einer literarischen Existenz als ‚Lebemann‘ und ‚Fachmann‘ für die Belange der Liebe verurteilt ist, was er durch Schmalz und Schwulst in Rede und Handeln unter Beweis stellen muss. Théophile Gautier (1811-1872) kann wenigstens den Zeitgeist als Begründung = Entschuldigung für eine inhaltlich an sich gelungene, aber stilistisch in Sentiment und Überschwang geradezu marinierte Story verantwortlich machen, deren Schlusssatz eine besondere Erwähnung ‚verdient‘: „Sieh nie eine Frau an, sondern richte den Blick stets zu Boden, denn so keusch und standhaft du auch sein magst, eine kurze Minute kann ausreichen, dich um das ewige Leben zu bringen.“ (S. 86)
Die Untoten haben es nicht leichter
Manly Wade Wellman (1903-1986) ist zweimal in dieser Sammlung vertreten. Sehr unterhaltsam beschert er dem Schriftsteller Edgar Allan Poe (1809-1849) eine direkte Begegnung mit dem Übernatürlichen. Wellman gibt sich erfolgreich Mühe, Poes Charakter und Biografie in die Handlung einfließen zu lassen. Er gehört zu jenen Genre-Autoren, deren Bedeutung hierzulande nie erkannt und gewürdigt wurde. Sein Talent unterstreicht Wellman mit der Story um eine Vampirfrau, die durch Blutgier und Liebe gleichermaßen angetrieben wird. Dass diese Dualität unter der Feder eines fähigen Verfassers mit (untotem) Leben erfüllt werden kann, belegen auch (obwohl ein wenig theatralischer) Francis Marion Crawford (1854-1909) und Julian Hawthorne (1846-1934).
Gänzlich eigene Wege gehen die übrigen Autor/inn/en. William Tenn (1920-2010) erzählt eine komisch gemeinte Vampir-Mär, deren Humor allerdings von der Zeit eingeholt und weit hinter sich gelassen wurde. Fritz Leiber (1910-1992) schüttelt wieder einmal jeglichen Genre-Ballast ab und stellt uns eine ‚Vampirin‘ vor, die keinerlei Interesse an Blut hat: Sie benötigt ‚Input‘ in Form emotional getränkter Erinnerungen. Schon 1902 schilderte Mary Wilkins Freeman (1852-1930) eine ähnliche blutlose, aber dennoch gefährliche Heimsuchung.
Die zum Zeitpunkt der Veröffentlichung jüngste Erzählung von Tanith Lee (1947-2015) ist eine eigenwillige Interpretation des Märchens von Schneewittchen, das hier mit Horror und christlicher Mystik aufgeladen wird, was belegt, dass es der weibliche Vampir inhaltlich und stilistisch weit gebracht hat in den anderthalb Jahrhunderten, die diese Sammlung abdeckt!
Fazit:
16 Geschichten aus 150 Jahren erzählen von weiblichen Vampiren, die erfreulich selten dem Klischee der geilen Blutsaugerin entsprechen. Schon früh gab es Autoren, die den Untod ideenreicher beschrieben. Das Herausgeber-Duo hat eine ausgezeichnete Auswahl getroffen. Trotz der lieblosen Aufmachung ist die deutsche Fassung eine echte Bereicherung für den Vampir-Horror.
Martin Greenberg, Charles G. Waugh, Bastei-Lübbe
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