Insel der Eroberer
- Heyne
- Erschienen: Januar 1964
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Sechs Reisen in anachronistische Zukunftswelten
- Insel der Eroberer (Conqueror‘s Isle, 1946), S. 7-24: Über der südchinesischen See gerät ein Bomber der US-Luftflotte in einen Sturm und stürzt ab. Glücklicherweise ist eine Insel nahe, doch dort stolpern die wackeren Flieger in die geheime Zentrale der neuen Supermenschen, die sich zur Eroberung der Welt anschicken.
- Jona und das U-Boot (Uncommon Castaway, 1949), S. 25-46: Im Mittelmeer gerät das marode US-Unterseeboot „Grampus“ in einen seltsamen Sturm, der es in einer merkwürdig primitiv wirkenden Welt wiederauftauchen lässt. Dort lernt die Besatzung einen Mann kennen, der nicht ohne Grund wirkt, als sei er dem Alten Testament entsprungen.
- Die Bestien von Kios (The Cunning of the Beast/Another World Begins, 1942), S. 46-68: Die Bewohner eines weit entfernten Planeten sind zwar technisch hoch entwickelt, aber körperlich hinfällig. Ein ehrgeiziger Wissenschaftler züchtet ein Paar widerstandsfähiger Gastkörper, die jedoch einen ganz eigenen Willen entwickeln und ihren Schöpfer zwingen, sie aus dem Paradies zu vertreiben.
- Außenposten Venus (The Last Outpost, 1948), S. 69-123: Auf einer militärdiktatorisch regierten Erde der nahen Zukunft (1985!) bricht ein Atomkrieg aus. Glücklicherweise hat ein offensichtlich vielseitig begabter Wissenschaftler in seinem Garten ein Raumschiff gebaut, das wenigstens einige Überlebende zur allem irdischen Hader enthobenen Planeten Venus trägt.
- Der Vogel von den Sternen (And Lo! The Bird, 1950), S. 124-139: Den Großen Vogel der Galaxis gibt es wirklich! Größer als alle Planeten unseres Sonnensystems zusammen, nähert er sich aus den Tiefen des Alls, um nachzuschauen, ob seine vor Äonen abgelegten Eier - die Planeten - vor dem Schlüpfen stehen, was unter jenen Wesen, die sich auf der Schale des „Erde“ genannten Eis angesiedelt haben, für große Aufregung sorgt.
- Nur eine Handvoll Asche (The World of William Gresham, 1951), S. 140-160: Dr. Grasham ist dem Wahn verfallen, auf einer Erde zu leben, die nach einem außer Kontrolle geratenen Atomkrieg von einem atomaren Feuer verzehrt wird. Sein bemerkenswertes Ende lässt anklingen, dass dies zumindest in seinem Fall tatsächlich zutrifft.
Altmodisch, aber unterhaltsam
Nelson Slade Bond (1908-2006) gehörte zu den Autoren des „Goldenen Zeitalters“ der Science Fiction, das gegen Ende der 1930er Jahre begann und dem Genre in einem schöpferischen Urknall eine Unzahl unsterblicher Klassiker bescherte. 1937 konnte Bond seine erste Story veröffentlichen, der er in rascher Folge viele, viele weitere folgen ließ: Er wurde ein Profi, der von den nicht gerade üppigen Honoraren leben musste, die von den Magazinen seiner Epoche gezahlt wurden, weshalb er fleißig produzierte, was gewünscht wurde.
„Insel der Eroberer“ belegt, dass es Bond trotz dieser Beschränkungen gelang eine eigene Stimme zu finden. Obwohl er in seinen frühen Schriftsteller-Jahren praktisch jedes Thema der klassischen Science Fiction (Invasion, Zeitreise, Raumflug, Apokalypse usw.) aufgriff, prägte er (wenn ihm die Zeit blieb) seinen Geschichten bald seinen trockenen, aus heutiger Sicht liebenswert verstaubten Sinn für Humor auf, den besonders seine Storys um den verschrobenen Anti-Raumhelden Lancelot Biggs unsterblich machten. Die „Grampus“ aus „Jona und das U-Boot“ wirkt wie ein erster Entwurf der legendären „Saturn“, und der bärbeißige, aber herzensgute Kommandant erinnert in Wort und Tat schon an den knarzigen, vielgeplagten Captain Hanson. Da passt es gut ins Bild, dass der leibhaftige Jonas aus der Bibel nicht von einem Wal, sondern von einem Unterseeboot aus dem II. Weltkrieg verschluckt wurde ...
Auch „Die Bestien von Kios“ ist eine gelungene und witzige, für manchen fundamentalistischen Holzkopf vielleicht schon respektlose Interpretation der biblischen Schöpfungssage. Bemerkenswert erscheint heute Gottes (bzw. Bonds) Charakterisierung von Adam und Eva: „Sie ist ihm ein Rätsel, sie verwirrt ihn ... aber sie bringt ihn in Trab. Sie befiehlt, und er gehorcht; sie bittet, und er erfüllt ihre Wünsche. Mit einer Handbewegung bringt sie ihm zum Arbeiten. Ich fürchte, sie ist eine Last für ihn, eine Quelle von Aufregungen und Ärger - aber für ihre seltenen Worte des Lobes hat er mehr Arbeit getan als jemals zuvor, seit ich ihn in diesen Garten gesetzt habe.“ (S. 58)
„Insel der Eroberer“ ist SF-Dutzendware. Die Geschichte vom einsamen Warner vor der Invasion, dessen geduldiger Zuhörer sich als getarnter Feind entpuppt, dürfte damals schon einen recht langen Bart gehabt haben. Auch Bond schlägt keine neuen Funken aus dem Stoff, dessen Finale selbst der schläfrigste Leser allzu früh voraussagen kann. Dasselbe gilt für „Außenposten Venus“, einer langen, lahmen, mit einer zunächst seltsam überflüssig anmutenden Vorgeschichte überfrachteten (Post-) Doomsday-Moritat, in der Bond den mahnenden Zeigefinger gar zu hoch hält. Die Pointe setzt der Verfasser dann doch so meisterhaft wie üblich, aber bis dahin spult Bond sein Garn vom Ende der Welt und der neuen Arche Noah bierernst und vor allem ohne Überraschungen ab.
Allerdings gelingen ihm trotzdem starke Bilder; selten wurde ein möglicher atomarer Weltkrieg so knapp und präzise in Worte gefasst: „Die gesamte Zivilisation geriet ins Schwanken, während zwei blinde und brutale Giganten auf der Oberfläche des Erdballes hin und her stampften und vernichtende Schläge austauschten.“ (S. 104) Es ist klar, dass Bond hier auch die beiden 1948 bereits im Kalten Krieg stehenden Supermächte USA und UdSSR meint.
„Der Vogel von den Sternen“ und „Nur eine Handvoll Asche“ sind Ideen-SF reinsten Wassers: charmante Spielereien, die auf interessanten, witzigen und absurden Ideen basieren. Sie fallen in eine Zeit, als Bond sich von der ‚reinen‘ Science Fiction ab- und der Fantasy zuwandte. (Er beschreibt dies selbst im Prolog zu „Außenposten Venus“, wo er höchstpersönlich auftritt.) Während „Nur eine Handvoll Asche“ überaus geschickt das Rationale mit dem Übernatürlichen mischt, bietet „Der Vogel von den Sternen“ eine total verrückte Story. Der Originaltitel „And Lo! The Bird“ macht deutlich, dass Bond zugleich Charles Fort (1874-1932), dem lebenslangen, legendären Sammler unerklärlicher Anomalien (Froschregen, wandernde Steine, UFOs usw.), ein kleines Denkmal setzt. Wie Fort weigerte sich auch Nelson Bond (zumindest der Schriftsteller), zwischen dem Realen und dem Irrealen eine dogmatische Grenze zu ziehen. Alles ist grundsätzlich möglich, auch wenn es (noch) nicht erklärt werden kann: eine Geisteshaltung, der wunderbare (und wundersame) Stories entsprangen.
Im Würgegriff des normierten Umfangs
Wieder einmal für dumm verkauft wurden die deutschen Science Fiction-Leser: Damit „Insel der Eroberer“ das Norm-Maß von 160 Seiten nicht überschritt - ein dickeres Buch wäre ein bisschen teurer geworden, und das glaubte der Verlag seiner Kundschaft nicht zumuten zu können -, wurden einfach sechs Stories des Originals gestrichen: alltägliches Gebaren in einer Zeit, die den Freund der phantastischen Literatur nicht ernstnehmen wollte. Ansonsten gibt die deutsche Ausgabe zu keinen Klagen Anlass. Die Übersetzung ist solide, die Aufmachung hübsch nostalgisch.
Fazit:
Sechs Science-Fiction-Storys aus der Frühzeit des Genres. Die ‚Unschuld‘ der Jahre vor dem II. Weltkrieg ist schon verschwunden, doch der Glaube an die Segnungen der Zukunft blieb erhalten. Ohne Furcht vor der Logik und den Naturgesetzen aber mit einer gehörigen Dosis schnurrigen Humors spinnt ein wahrer Altmeister der SF sein Garn: eine Zeitreise in die Vergangenheit der Zukunft.
Nelson Bond, Heyne
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