Der Neptun-Test

  • Goldmann
  • Erschienen: Januar 1967
  • 0
Der Neptun-Test
Der Neptun-Test
Wertung wird geladen
Michael Drewniok
70°1001

Phantastik-Couch Rezension vonJun 2020

Invasion der Weltraum-Wespen

Bill Sampson hat sich als Karikaturist und Comic-Zeichner in Brockledean, einem Dörflein in der englischen Grafschaft Wiltshire, niedergelassen. Mit seiner Dogge führt er ein ruhiges Leben, das nur durch die Bekanntschaft mit der jungen Jane Beddoes-Smythe ein wenig aufgelockert wird. Die große Welt scheint weit entfernt, bis sich die Realität eines Tages brutal zurückmeldet.

In dieser Geschichte wird die Welt noch von zwei Supermächten dominiert, die einander argwöhnisch belauern. Als die USA den „Neptun-Test“ ankündigen und in der pazifischen Tiefsee eine mächtige Atombombe zur Explosion bringen, schließt sich die UdSSR umgehend an. Für die doppelt strapazierte Erdkruste ist dies zu viel: Gewaltige Erdbeben erschüttern die Oberfläche, Flutwellen zerstören die Küsten. Großstädte und ganze Landstriche verschwinden, die öffentliche Ordnung bricht weltweit zusammen.

Diese günstige Gelegenheit nutzen die „Keeper“ aus. Sie reisen als formlose Energiewesen durch das All und machen dort Station, wo es ihnen gefällt. Auf der Erde nehmen sie die Gestalt gewaltiger Wespen an. Milliarden dieser „Furien“ fallen über die Menschheit her. Das durch die Katastrophe geschwächte Militär ist machtlos, der Gegner unüberwindbar. Auch Sampson gerät in die Gewalt der Furien. Diese bauen gigantische Nester, die sie von menschlichen Sklaven versorgen lassen.

Sampson schließt sich einer kleinen Gruppe von Flüchtlingen an. In einem halbwegs sicheren Versteck beraten die Rebellen über mögliche Aktionen gegen die Furien. Kann man sie bekämpfen, oder gerät die Menschheit endgültig in die Gewalt der grausamen Insekten …?

Erst einmal eine Tasse Tee!

Die Engländer sind unfreundlichen Besuch aus dem Weltraum gewöhnt, seit H. G. Wells 1897 die Marsianer im „Krieg der Welten“ über das Inselreich herfallen ließ. Aber auch früher luden sich häufig ungebetene Gäste - Römer, Wikinger, Normannen, die Spanier mit ihrer Armada, Nazi-Deutschland - ein. Wenn es nicht gleich gelang, die Invasoren zurückzuwerfen, saß das stolze Inselvolk die Besatzung aus und leistete mindestens stillen Widerstand. Irgendwann mussten die Eindringlinge weichen.

Wer auf einer Insel lebt, kommt sich ohnehin belagert vor. Von allen Seiten schlägt das Meer an die Küsten und verhindert im Fall der Fälle eine Flucht. Man muss sich den Schwierigkeiten stellen, was einerseits den britischen Widerstandswillen begründet und andererseits die stetige Beschäftigung mit dem Thema Invasion erklärt. In der Science Fiction haben die Briten sogar ein eigenes Genre geschaffen, das SF-Spezialist Brian W. Aldiss die „gemütliche Katastrophengeschichte“ nannte und eigene ‚Stars‘ wie John Wyndham oder John Christopher hervorbrachte.

Typisch für dieses Genre ist das ländliche Umfeld. Die ‚große Welt‘ wird womöglich zerstört, doch dies steht nicht im Mittelpunkt des Geschehens: Wo heute gern viele hundert Seiten auf die Darstellung des Untergangs ver(sch)wendet werden, begnügt sich Roberts mit wenigen Seiten. Diese Bescheidenheit ist der Spannung durchaus zuträglich, denn nie haben Bill Sampson und seine Gefährten einen Überblick, stets leben sie in Ungewissheit. Für sie ist die Welt schließlich auf eine Höhle als letzte (und fragwürdige) Zufluchtsstätte vor den Furien geschrumpft: Der Mensch ist wieder dort angelangt, wo er vor Jahrzehntausenden in die Zivilisation startete; eine Ironie, die Roberts keineswegs unerwähnt lässt.

Widerstand hat seinen Preis

Doch die beinahe parodistische Beschwörung des unerschrockenen Angelsachsen, der selbst der Apokalypse mit der sprichwörtlichen „stiff upper lip“ begegnet, erfährt bei Roberts einen Bruch. „Der Neptun-Test“ entstand 1966. Zwar spielt der Kalte Krieg zwischen den Supermächten USA und UdSSR für das Geschehen keine direkte Rolle, wird aber zu dessen Auslöser: Atombomben-Tests locken die „Keeper“ zur Erde, wo die von den Menschen selbst verursachten Verwüstungen den Furien ermöglichen sich Brückenköpfe zu schlagen.

Obwohl Bill Sampson zunächst den Staub der Trümmer seines Heims abschüttelt und kaum schockiert und tatendurstig das Weiterleben in Angriff nimmt, mischen sich schnell Misstöne in das „Yes-We-Can!“-Szenario. Der schmale Küstenstreifen im Süden Englands, auf den sich die Handlung beschränkt, wird zum repräsentativen Spiegel jener Ereignisse, die sich ähnlich auf der gesamten Erde abspielen. Das Fazit ist knapp, nüchtern und grausam: Sampson verliert in seinem Kampf gegen die Furien alles - seine Freunde, seinen Unterschlupf, seine Freiheit.

Auch die angelsächsische Solidarität wird geprüft und für zu schwach befunden. Jegliche öffentliche Ordnung löst sich blitzschnell auf. Das Militär macht sich selbstständig und schützt primär sich selbst. Viele Männer und Frauen verwandeln sich in „Symbos“, die nicht gegen die Furien kämpfen, sondern sich ihnen als Arbeitssklaven unterwerfen, wofür sie mit Nahrung und Wärme entlohnt werden. Unter den Rebellen herrscht nur bedingt Einigkeit. Dauerstress und Hoffnungslosigkeit spalten die Gruppe, die schließlich aufgerieben wird.

Die Erde setzt sich durch

Das Finale kommt rasch und bildet einen Bruch zum Vorgeschehen. Roberts wird inkonsequent und schließt mit einem - freilich verhaltenen - Happy-End und einer Auflösung, die so stark an H. G. Wells „Krieg der Welten“ erinnert, dass man dem Verfasser vorsichtshalber eine Reminiszenz unterstellen möchte. Wieder haben die Invasoren einen kleinen, aber entscheidenden Fehler gemacht. Dieses Mal haben sie keine Bazillen übersehen, sondern sich zu intensiv auf die irdische Biologie eingelassen, die ihnen einen bösen Streich spielt.

Einfallsreich ist das wie gesagt nicht, aber es erfüllt seinen Zweck und schafft tabula rasa dort, wo Roberts unter den beschriebenen Verhältnissen auf keinen Fall überzeugend das Ende der Invasion hätte einläuten können. Das nackte oder besser ungeschminkte Grauen des Weltuntergangs bleibt dem Leser (dieses Mal) erspart.

Erspart bleibt dem Leser auch eine Moral. Die Menschheit kommt davon, doch das ist nicht ihr Verdienst. Roberts deutet mehrfach an, dass sich wohl alte Strukturen regenerieren werden, was die Wiederholung bekannter Fehler einschließen wird. Diese Zukunft kann und muss sich der Leser selbst ausmalen. Roberts belässt es bei einer Episode des nie wirklich erklärten Kriegs zwischen Menschen und Furien. Nicht einmal 200 Seiten währt die Handlung; sie ist kurzweilig, intensiv und drückt jederzeit aus, was der Verfasser uns sagen möchte.

Fazit:

Diese „gemütliche Apokalypse“ im klassisch englischen Stil verzichtet auf gewaltige Untergangs-Szenarien, sondern schildert die Katastrophe beinahe dokumentarisch aus der beschränkten Sicht isolierter Überlebender: von der Zeit überholte, aber nostalgisch-spannende Science Fiction.

Der Neptun-Test

Keith Roberts, Goldmann

Der Neptun-Test

Ähnliche Bücher:

Deine Meinung zu »Der Neptun-Test«

Wir freuen uns auf Deine Meinungen. Ein fairer und respektvoller Umgang sollte selbstverständlich sein. Bitte Spoiler zum Inhalt vermeiden oder zumindest als solche deutlich in Deinem Kommentar kennzeichnen. Vielen Dank!

Letzte Kommentare:
Loading
Loading
Letzte Kommentare:
Loading
Loading

Sci-Fi & Mystery
(MUSIC.FOR.BOOKS)

Du hast das Buch. Wir haben den Soundtrack. Jetzt kannst Du beim Lesen noch mehr eintauchen in die Geschichte. Thematisch abgestimmte Kompositionen bieten Dir die passende Klangkulisse für noch mehr Atmosphäre auf jeder Seite.

Sci-Fi & Mystery