Raum-Geier

  • Bastei-Lübbe
  • Erschienen: Januar 1978
  • 0
Raum-Geier
Raum-Geier
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Michael Drewniok
50°1001

Phantastik-Couch Rezension vonJun 2020

Abschlepp-Dienstleister des Weltraums

Eine Gruppe ebenso einfallsreicher wie raubeiniger Gesellen durchstreift an Bord der „Delphin“ das Sonnensystem und sucht nach havarierten Raumschiffen, die sie - meist hart am Rande der Legalität - bergen können:

- Die Rettung (Salvage; 1949): Vor 100 Jahren ging das Raumschaff „Astrolot“ samt seiner kostbaren Fracht verloren. 185 Tonnen Herkulium warten auf jene, die tapfer - oder dumm - genug sind, es aus dem Wrack zu bergen; eine Gelegenheit, die sich die Männer der „Delphin“ trotz dazu untauglicher Ausrüstung keinesfalls entgehen lassen wollen.

- Räuber und Dame (High Jack and Dame; 1949): Die „Delphin“ soll ein Raumschiff flottmachen, das an einem magnetischen Asteroiden buchstäblich klebt. Zu allem Überfluss gehört die „Andromeda“ einer Konkurrentin die eine Rettung als Schmach betrachtet und juristische Winkelzüge androht.

- Dicker als Wasser (Thicker Than Water; 1949): Auf dem heißen, feuchten Planeten Arcton ist ein Raumschiff in einem See aus zähem Schlamm versunken, was sowohl die Bergung als auch die Rettung der 97 Insassen in ein improvisationsgefährliches Unternehmen verwandelt.

- Unentschieden (Dead Run; 1950): Das mit Giftgas gefüllte Totenschiff „Clandon“ fliegt steuerlos den Planeten Arcton an; zu allem Überfluss ist genug Sprengstoff an Bord, um diesen in Stücke zu reißen: Unseren Spezialisten bleibt wenig Zeit, die Apokalypse zu verhindern.

- Klein-Joe (Little Joe; 1950): Weil die Raum-Patrouille sich in einer Notlage befindet, werden die Männer der „Delphin“ zwangsrekrutiert, um eine Attacke gegen die Basis des gefürchteten Piraten „Klein-Joe“ zu reiten.

- Kein Versteck (No Hiding Place; 1950): Auf der Suche nach einem verschollenen Geheim-Labor werden Murchison und Helen von einer Übermacht gieriger Konkurrenten erst durch einen Asteroidengürtel und dann über einen monsterverseuchten Planeten gejagt.

Auch im All wird in die Hände gespuckt

„The Space Scavengers“ ist kein Roman, sondern sammelt sechs Erzählungen, die Cleve Cartmill zwischen August 1949 und Juni 1950 im Magazin „Thrilling Wonder Stories“ veröffentlichte. Dort waren sie bestens aufgehoben, denn es handelt sich um pure ‚Verbrauchs-Phantastik‘, dessen Autor weder einen Anspruch auf Genre-Relevanz erheben wollte noch konnte. Wie so oft wurde genau dies der Schlüssel für jenen Unterhaltungsfaktor, der noch viele Jahre später greift: Hier will jemand ohne Tricks und doppelten Boden unterhalten.

Auf ihre Grundelemente reduzierte Unterhaltung ist erstaunlich alterungsbeständig. Was uns Menschen in angenehme Aufregung versetzt, muss keineswegs neu bzw. innovativ sein. Die gelungene - nicht geistreiche! - Variation des Bekannten und Bewährten erfüllt diesen Zweck zuverlässig. Der Verzicht auf eine ‚Botschaft‘ sorgt für die nostalgische Erhöhung des eigentlich peinlich Veralteten: Es bereitet Vergnügen, wenn Jake Murchison und seine Jungs komplizierte Rettungsaktionen mit Hirnschmalz und Hammerschlägen realisieren.

Als Cartmill seine Storys schrieb, neigte sich das „Goldene Zeitalter“ der Science Fiction seinem Ende zu. Noch konnten Autoren jedoch mit eindimensionalen Garnen für Spannung und Lese-Spaß sorgen: Es wird nicht gedacht, sondern gehandelt, und die Naturgesetze geben eher vor, was ein einfallsreicher Verfasser ignoriert. Ins Weltall gehören nicht Politiker, Bürokraten oder ähnliche Spielverderber, sondern ‚Macher‘, die sich nicht unbedingt dem Gesetz, sondern eher einem ungeschriebenen Raumfahrer-Kodex verpflichtet fühlen.

Alles außer Langeweile!

Trivialität heißt die Devise, weshalb besagtes All analog durchquert wird, wobei mit asteroidengroßen Magneten, fremdplanetaren Monstern und selbstverständlich Weltraum-Piraten gerechnet werden muss. Daraus resultieren Probleme, die improvisationsstark gelöst werden müssen. Dass erst alles schiefgeht, aber wider Erwarten durch Rettung in letzter Sekunde gerichtet wird, gehört zum typischen Spannungsaufbau. Die Methoden dürften selbst einer flüchtigen Plausibilitätskontrolle kaum standhalten, was jedoch legitim sowie unwichtig ist.

An Bord der „Delphin“ tummeln sich erwartungsgemäß keine Dienst-nach-Vorschrift-Angestellten, sondern Individualisten und Spezialisten wie der durch nichts zu erschütternde Pilot Pat: „Er wandte mir das Gesicht zu. Es war ein Oval gebackenen Schlammes, in dem winzige Risse nach allen Richtungen liefen; die Nase war ein Klumpen roten Sandsteins, und die Augen glichen riesigen Smaragden.“ („Die Rettung“) Hauptfigur Jake Murchison ist manierlicher und vor allem ansehnlicher geraten. Dies ist auch deshalb erforderlich, weil schon in der zweiten Story die rothaarig-grünäugige Schönheit Helen Wall ihren Auftritt hat. Sie ist zwar Kapitän eines eigenen Raumschiffs, erfüllt aber trotz dieses Status‘ die Konventionen (= Klischees) damaliger Weiblichkeit, ist also zickig und launenhaft, was u. a. verbergen soll, dass sie sich umgehend in den mutigen Murchison verguckt, der dies - auch dies entspricht den zeitgenössischen Vorgaben - ziemlich als letzter entdeckt.

Ein wenig Romeo-und-Julia-Romantik kommt ins vorhersehbare Spiel, denn Helen ist ausgerechnet die Tochter (und Erbin) eines immens reichen und ebenso fiesen Magnaten, der - wie der Zufall spielt - jene Konkurrenz-Firma leitet, die dem Team der „Delphin“ immer wieder zu schaffen macht. Ansonsten ist sie Vertreterin eines Geschlechts, dessen Angehörige angehimmelt oder gerettet werden müssen und ansonsten im Weg stehen: „Ein Mann fühlt sich meistens recht unbehaglich, wenn seine Herzallerliebste um ihn herum ist und er zu arbeiten hat.“ („Klein-Joe“)

Zukunft mit Märchen-Markern

Der ‚Fortschritt‘ beschränkt sich auf eine Technik, die aus heutiger Sicht steinzeitlich wirkt. Computer gibt es nicht, erfahrungsabgebrühte Piloten steuern Raumschiffe ‚auf Sicht‘. Ansonsten hat sich nicht viel getan. Erstaunlich ist jedenfalls der unverhohlene, geradezu erbarmungslose Raubritter-Kapitalismus. Die Konkurrenz-Firma des „Delphin“-Teams missbraucht ihre wirtschaftliche Macht, um Politiker, Amtsträger und Ordnungskräfte zu instrumentalisieren. Sie muss dies nicht einmal bemänteln, denn das gebeugte ‚Recht‘ ist auf ihrer Seite. Wie im 19. Jahrhundert gilt in dieser Zukunft das Diktat des Stärkeren.

Man darf das nicht als Negativkritik werten. Cartmill erzählt SF-Märchen. Das wird spätestens deutlich, als Murchison und Co. unter Piraten geraten. Schon die Existenz solcher Weltraum-Plünderer ist ziemlich unwahrscheinlich, was die Populärkultur stets ausgeklammert hat. „Klein-Joe“ und seine Spießgesellen sind gemein, hässlich und dumm. Ihre offen zelebrierte Mordlust ist schon wieder lächerlich, was sie aber nicht vor der ‚gerechten Strafe‘ = dem Tod bewahrt.

Wie in jedem Märchen muss sich das Böse irgendwann geschlagen geben. „Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute“: Dies gilt auch für die Abenteurer an Bord der „Delphin“, die erwartungsgemäß final durch die neue Mrs. Murchison verstärkt werden. Naiv, sentimental, politisch unkorrekt: Es gibt viele Einwände, die sich erheben lassen. Sie träfen jedoch das falsche Opfer, denn lange nach ihrer Entstehung sind Cleve Cartmill und seine „Raum-Geier“ außer Reichweite grundsätzlicher Kritik.

Fazit:

Aus sechs ursprünglich separaten Storys ‚zusammengesetzter‘ Episoden-Roman, der eindimensional auf das Abenteuer konzentriert eine Zukunft beschreibt, in der es von heldenhaften Raumfahrern, schurkischen Konzernen, Piraten u. a. Klischee-Gestalten wimmelt. Die reine Unterhaltung ist des Verfassers Ziel, was sich nostalgisch beduselten Lesern durchaus mitteilen kann.

Raum-Geier

Cleve Cartmill, Bastei-Lübbe

Raum-Geier

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