Heimweh nach der Erde

  • Goldmann
  • Erschienen: Januar 1961
  • 0
Heimweh nach der Erde
Heimweh nach der Erde
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Michael Drewniok
65°1001

Phantastik-Couch Rezension vonMai 2020

Nicht mehr toter Raumfahrer als Revolutionär wider Willen

1966 sollte Astronaut Robert Carson an Bord seiner Rakete als erster Mensch den Mond umkreisen. Ein Meteorit traf und zerstörte ein wichtiges Bauteil, weshalb das kleine Raumschiff rettungslos ins All gewirbelt wurde, wo Carson schließlich seinem Leben ein Ende machte.

Acht Jahrtausende später erwacht er auf dem Mars. Menschen der Zukunft haben die Rakete geborgen, und das Wissen dieser Ära ermöglichte es, ihn buchstäblich vom Tode zu erwecken. Man kümmert sich um Carson, der freilich schon früh Verdacht schöpft, dass Menschenfreundlichkeit nicht das Motiv für seine Wiederbelebung ist.

Damit liegt er richtig. In dieser Epoche herrscht (wieder einmal) Krieg zwischen Mars und Erde. Frühere Waffengänge endeten nach opferreich und unentschieden. Nun instrumentalisieren die ‚Marsianer‘ Carson als Symbol für die ‚Rechtmäßigkeit‘ einer neuen Invasion: Vor vielen Jahren wurde auf der Erde eine Stiftung in seinem Namen gegründet. Sie existiert noch und hat so viel Geld angehäuft, dass ihr die Erde quasi ‚gehört‘. Hier setzen die Marsianer an: Carson soll Anspruch auf das Stiftungsvermögen und damit auf die Erde erheben!

Der unfreiwillige Gast aus der Vergangenheit will sich nicht missbrauchen lassen. Er ist froh, als man ihn auf die Erde bringt, wo er als Marionette der Marsianer agieren soll, und die Erdmenschen ihn ‚befreien‘. Freilich gerät Carson vom Regen in die Traufe, denn auf seinem Heimatplaneten hat man eigene Pläne mit ihm, der um Zustimmung wiederum nicht gefragt wird …

Die niemals beste aller möglichen Welten

Der Science Fiction wurde lange vorgeworfen, die Zukunft als ‚Ort‘ zu verklären, an dem sich politische und soziale Probleme dank wissenschaftlich-technischer Errungenschaften in Wohlgefallen auflösen werden. Doch schon bevor eine ‚neue‘ SF seit dem späten 1960er Jahren die Nachteile eines allzu einseitig forcierten Fortschritts anprangerte, wurde Kritik geübt; dies sogar in Werken, die vor der ‚offiziellen‘ Erfindung des Genres entstanden: Wer würde sich für H. G. Wells‘ Eloi interessieren, lauerten im Gebüsch nicht die kannibalischen Morlocks (in „Die Zeitmaschine“, 1895) als ‚verlorene Kinder‘ der Menschheit?

Ein rundum ‚gelungener‘ Fortschritt wäre schlicht langweilig. Kaum jemand möchte über eine (zumal fiktive) Zukunft lesen, in der wir Menschen ins Paradies zurückkehren. Dem Konflikt und dem Scheitern hehrer, böser oder wenigstens kühner Pläne wohnen weit mehr Unterhaltungswert inne. Lesend, sehend bzw. anderweitig konsumierend und auf jeden Fall nicht selbst betroffen kann man das Unglück anderer genießen - dies auch deshalb, weil die beschriebenen Missstände in der Regel zum Ausgangspunkt abenteuerlicher Bemühungen werden, das beschriebene Übel abzustellen.

„Heimweh nach der Erde“ ist in dieser Hinsicht exemplarisch, obwohl der 1960 erstmals veröffentlichte Roman nie den Aufstieg zum „Klassiker“ geschafft hat - zu Recht, denn inhaltlich wird ein eher dünnes Brett gebohrt. Handwerklich leistet Charles Eric Maine dagegen solide Arbeit, weshalb sein Roman lesenswert geblieben ist.

Wiedergänger wider Willen

Die Ausgangssituation ist genretypisch: Schon Comic-Held Buck Rogers sah sich 1928 in eine Zukunft geworfen, in die er sich nicht als rückständiges Relikt der Vergangenheit fügte. Er beanspruchte und bekam einen Sonderstatus, was ihm ermöglichte, Einfluss auf diese Zukunft zu nehmen. Stets schwang dabei die ‚Tatkraft‘ des ‚primitiven‘ Ahnen mit, der kernig dort das Heft in die Hand nimmt, wo sich die Nachfahren zu zimperlich zum Eingreifen geworden sind.

Diese Energie wird zum Joker, mit dem sich überlegen fühlenden Zukunfts-Menschen nie zu rechnen scheinen. Auch Robert Carson versucht aus der Pfanne ins Feuer zu springen, nachdem Autor Maine sich große Mühe gab, ihn möglichst dicht in das Netz zu fesseln, das die von ihm entworfene Zukunft des 10. Jahrtausends darstellt. Als Spinne bzw. Personifizierung einer ‚guten‘ Diktatur, der sich jene, die von ihr profitieren, kritiklos unterwerfen sollen, fungiert der kaltblütige und -herzige Mr. Jaff.

Dass Carson die ‚Rechtmäßigkeit‘ solchen Denkens nicht akzeptieren mag, wird zur Quelle seines Widerstandes. Dabei ist er keineswegs der geborene Rebell und ganz sicher kein Buck Rogers (oder Flash Gordon). Maine schildert eine Figur im Bann innerer Konflikte. Was hält diese Zukunft für einen Mann der Vergangenheit bereit? Der Prozess der Erkenntnis ist mühsam und schmerzhaft. Er führt Carson an die Brennpunkte dieser zukünftigen Welt. Vom Mars geht es auf die Erde, wo er jene Menschen kennenlernt, die sich vor dem radioaktiven Fallout vergangener Kriege unter die Erde zurückgezogen haben. Die „Norms“ (= „normale Menschen“) sind von den Unglücklichen abgeschottet, die auf der Oberfläche zurückbleiben mussten und durch die Strahlung mutiert sind.

Problem ohne Lösung

Carson gerät zwischen die Fronten. Die Erdmenschen wollen ihn ebenso instrumentalisieren wie die Marsianer. Auch die Mutanten setzen auf Carson; er soll sie aus ihrem Elend gleichberechtigt an die Seite der „Norms“ führen. Alle Parteien tragen ihre Argumente an, und Carson versucht es allen recht zu machen - ein Bemühen, dass erfolglos bleiben muss. Autor Maine lässt Carson und seinen Lesern in diesem Punkt kein Hintertürchen. Die Handlung endet offen (und mit einer gelungenen Final-Überraschung). Kein Problem wurde gelöst, der Krieg dürfte weitergehen.

„Heimweh nach der Erde“ wirkt ein wenig didaktisch, wenn Maine durchdekliniert, wie es Carson unter Marsianern, „Norms“ und Mutanten ergeht. Mehrfach werden seine moralischen Ansichten ins Wanken gebracht. Maine schont ihn nicht. Selbst die „zum Besten der Mehrheit“ zum Massenmord neigenden Marsianer dürfen sich ausführlich erklären. Maine konnte hier auf zeitgenössische Diskussionen zurückgreifen. Selbst die Schrecken des Nationalsozialismus‘ hatten nicht jene Anhänger der Eugenik („Erbgesundheitslehre“) zum Schweigen gebracht, die eine „genetisch reine“ Menschheit forderten. Unter einem Schild vorgeblich wissenschaftlicher Neutralität argumentieren auch die Marsianer - und ihre tückische Botschaft klingt beinahe logisch.

In diesem Hexenkessel kann die Heilsgestalt einer fernen Vergangenheit kein neuer Messias sein. Zudem hat das Geschehen ein grundsätzliches Plausibilitätsproblem: Acht Jahrtausende soll die Carson-Stiftung nicht nur existiert und Geld angehäuft, sondern auch ihre juristische Position behauptet haben; dies auf (und unter) einer atomar verheerten Erde. Am besten nimmt man diese Idee als „MacGuffin“ hin, der die Handlung startet und ansonsten nicht zu ernstgenommen werden sollte. Das gilt auch für die latente Penetranz einer grundsätzlich zuzustimmenden Botschaft. Dazu passt ein betont nüchterner oder sachlicher Grundton. Maine setzt auf ‚Fakten‘. Damit schließt sich der Kreis, denn so arbeitete auch der bereits erwähnte H. G. Wells, der 1898 die Marsianer im „Krieg der Welten“ über uns Erdlinge kommen ließ.

Anmerkung: Die Idee, einen Planeten quasi ökonomisch zu übernehmen, ist offensichtlich auf fruchtbaren Boden gefallen; u. a. griff der deutsche Autor Andreas Eschbach 2001 in „Eine Billion Dollar“ darauf zurück.

Fazit:

Statt den zukünftigen Konflikt durch die ‚Weisheit der Vergangenheit‘ zu lösen, bleibt der ‚wiederauferstandene‘ Astronaut Carson ein hilfloser Spielball feindlicher Mächte. Maines Blick in die Zukunft ist konsequent in seiner Düsternis, wobei der ‚Ton‘ betont (oder ein wenig zu) ‚sachlich‘ bleibt: ein Beispiel für frühe kritische Science Fiction.

Heimweh nach der Erde

Charles Eric Maine, Goldmann

Heimweh nach der Erde

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