Unterhaltsam erschrecken um jeden Preis
14 Gruselstorys meist aus der großen Zeit der US-amerikanischen Pulp-Magazine, zu denen sich erstaunlich harmonisch einige klassische Geistergeschichten gesellen:
- Edward Lucas White: Lakandu (Lukundoo, 1925), S. 7-18: Auch als weißer Herr von eigenen Gnaden lege man sich nicht ausgerechnet im afrikanischen Dschungel mit einem rachsüchtigen Zaubermeister an.
- Frank Belknap Long: Der Mann mit den tausend Beinen (The Man with a Thousand Legs, 1927), S. 19-37: Krankhafter Ehrgeiz lässt das junge Genie die grundlegenden Gesetze des Lebens erkunden; sein Triumph bringt ihm und der entsetzten Welt wenig Freude.
- Charles Allston Collins/Charles Dickens: Der Mordprozess (To Be Taken with a Grain of Salt/The Trial for Murder, 1865), S. 38-46: Der Geist eines grausam zu Tode gekommenen Mannes hilft tatkräftig mit, seinen Mörder an den Galgen zu bringen.
- August Derleth: Mrs. Lannisfree (Mrs. Lannisfree, 1945), S. 47-53: Wahrlich furchtbar ist bekanntlich der Zorn einer betrogenen Frau; dies gilt umso mehr, wenn man sie zusätzlich umgebracht hat.
- Robert Bloch: Die Männchen des Grauens (Mannikins of Horror, 1939), S. 54-63: Man treibe niemals seinen Spott mit einem verrückten Wissenschaftler, auch wenn sich dessen Gabe auf die Erschaffung mörderischer Gartenzwerge beschränkt.
- H. G. Wells: Das unerfahrene Gespenst (The Story of the Inexperienced Ghost/The Inexperienced Ghost, 1902), S. 64-74: Auch die Toten sind manchmal froh über praktische Anleitungen beim Spuken; der freundliche Helfer lernt freilich mehr dabei als er verkraften kann.
- Roger M. Thomas: James Bradleys Vampir (The Bradley Vampire, 1951), S. 75-84: Dem einfachen amerikanischen Provinzfarmer erscheint des Nachts eine seltsam aufdringliche Frau. Glücklicherweise weiß sein ungarischer Freund, was zu tun ist.
- Laurence Manning: Die Höhlen des Schreckens (Caverns of Horror, 1934), S. 85-107: Tief unter der Erde erstreckt sich ein riesiges, düsteres Reich, bewohnt von gewaltigen Untieren, die sich prächtig jagen ließen, wenn da nicht auch diese garstigen Dämonen wären.
- Tigrina: Letzter Akt: Oktober (Last Act: October, 1964), S. 108-120: Vor Jahrhunderten hat der feiste Junker Pilkington eine angebliche Hexe verbrennen lassen. Leider war diese echt und rachsüchtig, was sich zukünftig ungünstig auf die Geschicke der Pilkingtons auswirkt.
- Enid Bagnold: Der verliebte Geist (The Amorous Ghost, 1926), S. 121-125: Besagter Geist möchte nicht Angst verbreiten, sondern in das Ehebett des Schlossherrn, der darauf verständlicherweise arg verschreckt reagiert.
- Arlton Eadie: Das Wolfmädchen von Josselin (The Wolf Girl of Josselin, 1938), S. 126-149: Der verliebte Künstler freit eine schöne Maid, das eine ganz besondere Mitgift in diese Ehe bringt.
- Seabury Quinn: Die Herren des Geisterlandes (Repayment, 1943), S. 150-169: Dieser Fall ist auch für den „okkulten Detektiv“ Jules de Grandin neu - eine wieder erstandene Mumie ist es, die nicht vernichtet, sondern selbst vor bösen Geistern bewahrt werden muss.
- Gans T. Field: Ein halbes Spukhaus (Voice in a Veteran‘s Ear, 1939), S. 170-182: Das Gespenst eines hessischen Söldners geht in einer alten Mühle um und widersetzt sich entschieden jeder Austreibung, bis sich seine Mörder den Geisterjägern hilfreich zur Seite stellen.
- Frank Lillie Pollock: Die letzte Morgenröte (World-Wreckers, 1908), S. 183-190: Die endlich eintreffenden Strahlen einer fremden Sonne leiten den Untergang der Erde ein.
Prolog: Die ewige Flucht vor dem Mülleimer
Ein kleiner, lange verschollener Schatz der Phantastik soll hier gehoben werden. Vor allem erfreut die Wiederkehr vieler längst verschwundener Storys, die in den 1920er bis 50er Jahren für die „Pulps“ geschrieben wurden: Groschenhefte, in denen viel Mist erschien, die inzwischen von den Mäusen gefressen wurde, in unzähligen Abfalleimern landeten oder anderweitig in Vergessenheit gerieten. Gleichzeitig boten die Pulps ein ideales Übungsfeld für Autoren, die ihr Handwerk wirklich verstanden und nicht selten Geschichten vorlegten, die es wert sind, gerettet zu werden.
Kurt Singer trieb sicher nicht der Plan um, dem Pulp-Horror ein Denkmal zu setzen, als er in den 1960er Jahren damit begann, Geschichten aus den alten Magazinen (flüchtig) thematisch zu ordnen und in Buchform gesammelt herauszugeben. Er erkannte jedoch ihren weiterhin bestehenden Unterhaltungswert, und die Rechte waren kostengünstig zu erstehen. Auf diese Weise entstand eine lange Reihe schaurig-schöner Bände, die Singer oft durch kundige Vorworte einleitete.
Schnell und spannend
Diese Sammlungen fanden im englischsprachigen Raum viele erfreute Leser, weshalb sie mehrfach neu aufgelegt wurden. Das deutsche Publikum wurde eher lieblos abgespeist: Zwischen 1969 und 1971 brachte der Frankfurter Krüger-Verlag drei Bände heraus, die denkbar einfallsarm „Horror I“, „Horror II“ und „Horror III“ betitelt wurden. Zwar stammen die hier gesammelten Storys aus Singer-Editionen, die jedoch nicht übernommen, sondern aus vier Kollektionen zusammengeklaubt wurden. Zwischen 1972 und 1975 veröffentlichte der Heyne-Verlag diese drei Bände als Taschenbücher und ergänzte die Reihe um „Horror 4“ und „Horror 5“.
Der eigentliche Sinn der von Kurt Singer gesammelten Geschichten liegt in der Unterhaltung ihrer Leser. Besonders tief im Psychologischen schürfen die Autoren sicher nicht, worüber der literarische Schöngeist die Nase rümpfen mag. Diese Geschichten entstanden, um Geld mit ihnen zu verdienen; hart verdientes Geld, denn die Magazine zahlten nie üppig. Das hätten auch Charles Allston Collins (1828-1873), sein Schwiegervater Charles Dickens (1812-1870), Herbert George Wells (1866-1946) oder Frank Lillie Pollock (1876-1957) bestätigt. Sie gehörten zwar einer anderen Ära an und schrieben nicht für Pulps, sondern für frühere Magazine und Zeitschriften, die sie jedoch mit ähnlicher Ware bedienten.
In diesem Umfeld blieb wenig Raum für persönlichen schriftstellerischen Ehrgeiz. Umso deutlicher wird, dass es ihn trotzdem gab und er sich entfalten konnte. Handfester Grusel mag das Schmuddel-Kind der Phantastik sein, doch lässt sich nicht leugnen, dass er großartig unterhält, wenn man ihn zu entfesseln weiß. Auf die 14 hier versammelten Autoren trifft dies zu.
Aberwitz ohne Rücksicht auf die Logik
Typisch ist die Geschichte von Seabury Quinn (1889-1969). Purer Fleiß und ein Geistesblitz, der ihn den beliebten „okkulten Detektiv“ Jules de Grandin erfinden ließ, sicherten ihm über Jahrzehnte seine Präsenz und sein Einkommen. „Das Muttermal“ interessiert durch seine stimmungsvolle Atmosphäre und das gut getroffene Lokalkolorit, irritiert aber durch seinen Plot bzw. dessen ‚Begründung‘, die indes vor dem Zeitalter der modernen Genetik dem Publikum nicht gar so hanebüchenen vorgekommen sein mag.
Die Suche nach der schon vor Frankenstein gern thematisierten „Essenz des Lebens“ treibt Frank Belknap Long (1903-1994) geradezu irrwitzig auf eine Spitze, die 1927 erst recht für Erstaunen gesorgt (und die Tugendwächter bestürzt) haben dürfte. Einmal mehr zeigt sich, dass die Pulp-Autoren ihre Fantasie nicht zügeln wollten oder mussten. Dem schloss sich 1934 Laurence Manning (1899-1972) mit einer Hohlwelt-Fabel an, die ebenfalls die meisten Naturgesetze ignorierte und stattdessen lieber dem Grusel-Affen Zucker gab.
In den Pulps konnte ein absurder Einfall wie der eines ‚halben‘ Spukhauses wurzeln und unterhaltsam gedeihen. Gans T. Field ist ein schriftstellerisches Phantom, hinter dem sich Manly Wade Wellman (1903-1986) verbarg. Viele Pulp-Autoren legten sich gleich mehrere Pseudonyme zu. Die Magazine zahlten schlecht, ihre Lieferanten schrieben schnell. Mancher hätte mit seinen Geschichten eine Ausgabe im Alleingang füllen können. Die Pseudonyme zerstreuten den Eindruck einer trivialliterarischen Monokultur.
Auf Nummer Sicher gegangen
Selbstverständlich boten die Magazine auch schmackhafte Kost für Leser, die ihre Lektüre nicht gar zu verrückt schätzten. Profis wie August Derleth (1909-1971) und Robert Bloch (1917-1994) garantierten immer für schwungvolle Routine, wenn sie alte Grusel-Motive abstaubten. Wieso man ihre Geschichten noch immer schätzt, während Autoren wie Roger M. Thomas (geb. 1930) und Arlton Eadie (d. i. Leopold Eady, 1886-1935) in Vergessenheit gerieten, erschließt sich auch dem heutigen Leser schnell: Auch Trivial-Horror will gekonnt sein!
Eine gewisse Präsenz können in dieser Sammlung die Altmeister des klassischen Horrors beanspruchen. Schon die Herausgeber der Pulps griffen gern auf ältere Storys zurück. Die Rechte waren oft preisgünstig. Als angenehmer Begleiteffekt bot sich die Möglichkeit, mit Namen wie Charles Dickens oder H. G. Wells Eindruck auch außerhalb des Magazin-Gettos zu hinterlassen. Zudem waren alte Geschichten nicht zwangsläufig altmodisch, wie in dieser Sammlung Frank Lillie Pollock, Enid Bagnold (1889-1981) oder Tigrina (d. i. Edith/Edythe Eyde, 1921-2015) belegen. Edward Lucas White (1866-1934) beweist außerdem, dass auch die ‚Literaten‘ vor drastischen Effekten nicht zurückschreckten.
Selbst aus dem Zusammenhang ihrer ursprünglichen Sammlungen gerissen, funktioniert die Mischung aus Klassischem und Trivialem außerordentlich gut. „Horror 1“ und die vier Anschlussbände enthalten viele Kurzgeschichten, die in diesem unseren Lande selten oder noch nie und seitdem nicht mehr aufgelegt wurden. Ungeachtet der lieblosen Präsentation sollten diese Bücher deshalb dem gruselhistorisch interessierten Leser eine antiquarische Suchexpedition wert sein!
Fazit:
14 Gruselgeschichten aus guter, alter Zeit. Es wird lustvoll handfest und ohne psychologische Sperenzchen gespukt, gerächt & gemordet, denn hier werden vor allem Storys aus der großen Zeit der US-amerikanischen Pulp-Magazine präsentiert. Echte Klassiker mischen sich unter vergessene Kleinodien des Genres, dazwischen muss man sich durch (wenig) Mittelmaß kämpfen.
Kurt Singer, Heyne
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