Paradies II

  • Heyne
  • Erschienen: Januar 1970
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Paradies II
Paradies II
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Michael Drewniok
60°1001

Phantastik-Couch Rezension vonApr 2020

Von Zeiten, die hätten kommen können

Sieben Kurzgeschichten dokumentieren die Science Fiction der 1950er Jahre:

- Poul Anderson: Projekt Geistesblitz (Butch), S. 7-39: „Männer sind vom Mars, Frauen von der Venus“, lautet ein Sprichwort; der Unterschied der Geschlechter erweist sich als Vorteil, als die Erdmänner den Erstkontakt mit einer außerirdischen Intelligenz katastrophal verpfuschen.

- Isaac Asimov: Im Hinterhof (The Pause), S. 39-54: Der Atomkrieg findet dank außerirdischer Einmischung nicht statt, doch haben die Friedensstifter wirklich nur das Wohl der Menschheit im Sinn?

- Charles Beaumont: Der große Traum (Keeper of the Dream), S. 54-64: Gibt es für die Wissenschaft eine Verpflichtung, die Welt vor allzu ernüchternden Gewissheiten zu schützen?

- Arthur C. Clarke: Die Gedankenbotschaft (No Morning After), S. 64-71: Der einzige Mensch, der die telepathische Warnung der Außerirdischen empfängt, ist nicht in der Stimmung sie zu beherzigen.

- Philip K. Dick: Das Zeitschiff (Jon’s World), S. 71-117: Die Zukunft soll mit Hilfe aus der Vergangenheit saniert werden, doch bei der Beschaffung des dafür notwendigen Wissens kommt es zu einem zeit- und dimensionserschütternden Zwischenfall.

- Robert Sheckley: Paradies II (Paradise II), S. 117-133: Der wunderschöne Planet wird ausgerechnet durch eine fehlprogrammierten Lebensmittelfabrik zur bizarren Todesfalle.

- Clark Ashton Smith: Prometheus (Phoenix), S. 134-144: In ferner Zukunft soll die erloschene Sonne neu entzündet werden.

Die rote Gefahr ist (welt-) allgegenwärtig

„Weltberühmte Science Fiction-Stories“ mache Herausgeber August Derleth einst und der Heyne Verlag jetzt dem Leser zugänglich, lesen wir auf dem Cover des hier vorgestellten Taschenbuches. Das trifft keineswegs zu; „Paradies II“ ist Schnappschuss einer SF, die in erster Linie unterhalten möchte, wobei die Verfasser keinen (auch faulen) Trick scheuen. Routine kündet von solidem Handwerk, und so sollte man diese Geschichten lesen, um Enttäuschungen zu vermeiden. Zwar haben Verfasser mit großen Namen zu dieser Sammlung beigetragen, ohne sich jedoch intellektuell oder literarisch vorausgabt zu haben.

Grundsätzlich beschreiben unsere sieben Autoren keine Welten, in der zukünftig das Lamm beim Löwen liegt oder Wein und Honig fließen. Stattdessen gehen auch in die erdfern spielenden Geschichten sehr irdische und zeitgenössische Ängste ein. Isaac Asimov (1920-1992) bringt die große Furcht der 1950er Jahre offen auf den Punkt: Nicht nur die USA, sondern auch die Sowjetunion ist im Besitz der Atombombe. Sicherlich planen die roten Russen nur Böses, sodass die Guten - die Vereinigten Staaten - notgedrungen mitrüsten müssen.

Der gefahrenreichen Sinnlosigkeit des atomaren Wettlaufs ist sich Asimov bewusst, aber er hat sich damit abgefunden, denn das ist der Preis, der für ein Leben in Freiheit zu zahlen ist; noch größer als die Angst vor der Bombe ist die Angst vor „den Kommunisten“. Diese Schizophrenie bestimmt auch die Storys von Poul Anderson (1926-2001) und Philip Kindred Dick (1928-1982).

Ist Rettung möglich?

In „Projekt Geistesblitz“ lässt Anderson Butch, den Außerirdischen, quasi in die Rolle des Fremden = Nicht-Amerikaners = Sowjets schlüpfen. Recht holprig und in der Auflösung albern legt der Autor immerhin die Mechanismen des Missverständnisses offen. Als die Verständigungsproblematik gelöst ist, verschwindet die Gefahr eines (galaktischen) Krieges umgehend: Wer miteinander redet, schlägt sich nicht die Schädel ein. (Was allerdings keineswegs bedeutet, dass Butches Gastgeber bereit sind, den Besucher und sein Super-Wissen mit den ‚echten‘ Sowjets zu teilen; so weit geht die Analogie doch nicht …)

Arthur Charles Clarke (1917-2008) schildert humorvoll die Kehrseite der Medaille: Wollen sich die Menschen überhaupt retten lassen? Der Mann, an den sich die kosmischen Warner wenden, kann sie zwar hören. Leider hat er Ärger im Job, leidet unter Liebeskummer und ist stockbetrunken. So profane Kommunikationsprobleme sind unter den meist ungemein ernsthaft geschilderten „First-Contact“-Momenten der SF selten. Clarkes Scherz mag nicht raffiniert sein, aber er funktioniert (heute) wesentlich besser als Asimovs theatralischer Frageschrei nach dem Bestandswert einer vom atomaren Schrecken befreiten Erde.

In den 1950er Jahren begann der Mensch nachdrücklich nach den Sternen zu greifen. Als „Paradies II“ erschien, lag der eigentliche Sturm ins All zwar noch einige Jahre in der Zukunft, doch er zeichnete sich bereits ab. Selbstverständlich waren die zeitgenössischen SF-Autoren für die Erforschung des Alls, und dies mit einer Inbrunst, die heute naiv erscheint. Charles Beaumont (1929-1967) fasst es sicherlich unfreiwillig in Worte: Als der wissenschaftliche Nachweis für die Nutzlosigkeit der bemannten Raumfahrt erbracht ist, droht der Menschheit eine kollektive Sinnkrise. Beaumont spitzt den Fortschritt auf die Weltraumforschung zu, die allein dem Geist noch frische Impulse zu geben und die geistige Degeneration zu verhindern vermag.

Sehnsucht nach den Sternen

Robert Sheckley (1928-2005) ist dagegen Realist. Seine Raumfahrer durchstreifen das All nicht auf der Suche nach Wundern und Wissen. Sie wollen sich einen von Menschen bewohnbaren Planeten sichern und möglichst gewinnbringend ausbeuten. Sollte diese Welt bevölkert sein, ziehen es die ‚Besucher‘ durchaus in Betracht, die lästigen Konkurrenten unauffällig per Waffeneinsatz zu auszuschalten. Sheckley wäre allerdings nicht Sheckley, ließe er seine ‚Helden‘ nicht gerecht, grausam und einfallsreich büßen: Gier vernebelt den Verstand, und das rächt sich stets, wenn auch nicht immer so spektakulär wie hier.

Clark Ashton Smith (1893-1961) bildet das romantische Gegengewicht zu seinen naturwissenschaftlich geprägten Schriftstellerkollegen. Astronomie und Technik sind nur Mittel zum Zweck, was sich am völlig unverständlichen „Techno-Babbel“ feststellen lässt: „Die Generatoren entzogen dem Kosmos negative Energie, die dazu verwendet wurde, die Schwerkraft eines Planeten oder einer Sonne aufzuheben.“ (S. 141). Von keiner Sachkenntnis beleckt ist auch das Bild einer erloschenen Sonne mit fester Aschekruste, unter der vulkanisches Feuer glost. Doch Smith interessiert nicht der Weltraum, sondern der „inner space“ des zukünftigen Menschen. Ein junger Mann nimmt an einer gefährlichen Mission teil. Was Smith eigentlich fesselt, ist die Liebesbeziehung dieses Mannes zu einer Frau, die zurückbleiben muss. Die daraus resultierenden Gefühle haben auch in der Hightech-Zivilisation einer fernen Zukunft Bestand.

Leider können weder Smith noch die meisten seiner Autorenkollegen glaubwürdig die Balance zwischen Dramatik und Klischee halten. Allein Dick weicht von dieser Eindimensionalität ab. Schon viele Jahre vor seinem Aufstieg zum innovativen und radikalen Vertreter einer ‚neuen‘ SF stellt er die Frage nach der Definition von „Realität“. Dicks Universum ist eine unsichere, nicht solide auf Naturgesetzen ruhende, sondern stets im Fluss befindliche Konstruktion. 1954 ist seine Interpretation noch tastend und unausgegoren, doch sie verleiht einer ansonsten konventionellen Zeitreise-Story einen beunruhigenden Unterton, der den anderen Geschichten abgeht.

Anmerkung

Wie hierzulande viel zu lange üblich, wurde auch „Time to Come“ gekürzt, um die Sammlung als „Paradies II“ auf das Norm-Maß von 144 Seiten zu bringen. Über solche Willkür kann man heute ausgiebig den Kopf schütteln. (Allerdings wurden auch spätere US-Ausgaben von „Time to Come“ ‚verschlankt‘.) Der Vollständigkeit halber seien die fünf unterschlagenen Erzählungen genannt:

- Arthur Jean Cox: The Blight

- Irving Cox Jr.: Hole in the Sky

- Carl Jacobi: The White Pinnacle

- Ross Rocklynne: Winner Takes All

- Evelyn E. Smith: BAXBR/DAXBR

Selbstverständlich wurde auch das Vorwort des Herausgebers August Derleth gestrichen.

Fazit:

‚Klassische‘ SF-Qualitäten entfallen, geboten wird formal wie inhaltlich Durchschnittliches. Der fest eingeplante finale Aha-Effekt will sich nur noch bedingt einstellen; unterhaltsamer als die Handlung ist oft die Darstellung einer Zukunft, die nachdrücklich in einer von der Zeit eingeholten Gegenwart verankert ist.

Paradies II

August Derleth, Heyne

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