Mücken gibt es überall
- Goldmann
- Erschienen: Januar 1984
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Surrende Plagegeister verbreiten den Tod
„Correction Island“ ist eine kleine Insel im Pazifik. Hawaii ist zwar nicht weit entfernt, doch tropische Schönheit ist auf dem öden Eiland nicht zu finden, weshalb es seine derzeitigen Bewohner in der Regel „Ohscheiße“ nennen. Wichtiger als die Insel ist der sie umgebende Meeresboden, der wertvolle Edelmetalle enthält.
Ein Konzern hat die Insel gekauft und viel Geld in den Aufbau einer Förderanlage plus Mini-Atomkraftwerk gesteckt. Der Einsatz muss sich lohnen, sonst droht die Pleite. Entsprechend nervös reagiert Bob Farlow, Leiter der Anlage, auf jede potenzielle Störung. Vor allem fürchtet er primär Umweltschützer, denen es missfallen dürfte, dass der uralte Meeresboden im Zuge der Förderung mächtig aufgewühlt wird; seltsame Tiefsee-Kreaturen werden dabei an die Oberfläche befördert.
Auf einer Nachbarinsel erliegt eine junge Frau einer bizarren Krankheit, die sie binnen weniger Tage in eine Mumie verwandelt. Zwei ähnliche Fälle sind bereits bekannt, weshalb die Weltgesundheitsbehörde (WHO) aufmerksam wird. Dr. Arthur Waters, Spezialist für Tropenkrankheiten, reist mit seiner Assistentin Willa Collier in den Pazifik, um der Sache auf den Grund zu gehen.
Der mysteriöse Krankheitserreger wird durch Moskitos übertragen. Eine Quarantäne der Region erfolgt zu spät: Moderne Seuchen reisen problemlos und rasch per Flugzeug - auch in die USA, wo die Krankheit sich ausbreitet. Die Suche nach einem Heilungsmittel wird zum Wettlauf gegen die Apokalypse - und die Chancen stehen schlecht für die Menschheit, denn Mücken gibt es bekanntlich überall …
Science Fiction, die sich (in gewisser Weise) bewahrheitet hat
Heute zählt die „Pandemie“ - jene Mega-Seuche, die blitzschnell ganze Kontinente erfasst - zu den Subgenres der Unterhaltungsindustrie. Literatur und Film bzw. Fernsehen teilen sich die gruselige Vorstellung, dass die allmächtige Krone der Schöpfung von winzigen Viren in den Dreck gestoßen werden könnte. Horror und Science Fiction mischen sich zum „Science Thriller“.
„Mücken gibt es überall“ fällt in diese Sparte, obwohl der Roman in einer Reihe erschien, in der normalerweise Aliens und Mutanten dominierten. Zudem spielt die Handlung in der Gegenwart (der 1970er Jahre), weshalb einschlägig gepolte Leser vergeblich nach Raumschiffen u. a. Merkmalen ‚echter‘ SF Ausschau halten werden. Doch Science Fiction ist auch die Extrapolation gegenwärtiger Phänomene in eine Zukunft, deren Ferne oder eben Nähe nicht vorgeschrieben ist: Hughes will unterhaltsam auf eine Gefahr aufmerksam machen, die quasi vor der Tür steht.
Die Pandemie war 1976 - in diesem Jahr entstand „The St. Francis Effect“ - noch etwas Neues. In der Rückschau erkennt man, wie genau Hughes ein Phänomen beschrieb, das sich in den seitdem vergangenen Jahrzehnten als Realität herausgestellt hat: Vogelgrippe, Schweinegrippe, Ebola: Die Namen solcher u. a. medizinischer Schreckgespenster sind uns im fortschreitenden 21. Jahrhundert geläufig geworden.
Roman mit Report-Qualitäten
Zach Hughes war ein durchaus fleißiger, aber nur bedingt bekannter Autor. Hierzulande sind nur wenige Romane erschienen. Sollte „Mücken gibt es überall“ exemplarisch für sein Werk sein, fällt die Begründung leicht: Obwohl Hughes eine spannende Geschichte erzählt, bleibt deren Unterhaltungswert aufgrund diverser Schwächen eingeschränkt.
Schauen wir zunächst auf die „Haben“-Seite: Hughes schildert glaubhaft den Ausbruch einer Seuche, die sich der medizinischen Kontrolle zu entziehen und den gesamten Erdball zu erfassen droht. Er entwirft dem vorgestellten Virus eine ‚Biografie‘, die glaubhaft die Gefahr veranschaulicht, die ein Seuchenzug in der modernen Gegenwart darstellt. In einer (schon 1976 zum Teil) globalen Welt könnte es unmöglich sein einen Krankheitsherd zu isolieren. Transporte und Reisen über weite Entfernungen sind alltäglich, während eine echte Kontrolle dieses Verkehrs unmöglich ist.
„Mücken …“ spielt in einer Welt vor dem Internet. Dennoch können Regierungen und Behörden den Geist nicht lange in der Flasche halten = die notorisch fluchtbereite Öffentlichkeit beruhigen/täuschen/im Zaum halten. In der Not ist der Appell an ein kollektives Fügen in obrigkeitliche Quarantänemaßnahmen illusorisch - und Hughes stellt heraus, dass es in einer solchen Krise notwendig sein würde, kranke Mitmenschen primär zu isolieren, wenn man sie nicht heilen oder eine Ansteckung nicht verhindern kann. Der Tod der Betroffenen ist in dieser Rechnung ein fester Posten: Besser sterben wenige, um die Mehrheit zu retten - eine unbequeme Wahrheit, die verständlicherweise nicht zwangsläufig geteilt wird, weshalb entsprechende Maßnahmen Zwang und Gewalt beinhalten.
Viren haben kein Gesicht
Hughes legt uns kundig Fakten vor, ohne sich vom Thema emanzipieren zu können. Das müsste er jedoch, um eine interessante zu einer guten = gut erzählten Geschichte aufzuwerten. Kurioserweise wirkt die Seuche ‚lebendiger‘ als die handelnden Figuren. Die sind flach und uninteressant, obwohl bzw. gerade weil Hughes sie uns ausführlich vorstellt. Über Klischees kommt er dabei nie hinaus. Zudem versucht er sich an einer Liebesgeschichte, die ihn ebenso deutlich wie peinlich überfordert; sie lenkt ab und sorgt für ein völlig überflüssiges Abschlusskapitel, das der eigentlichen Story Schaden zufügt.
Ansonsten treten auf: zwei ungleiche, aber liebende Brüder, die es ‚zufällig‘ stets dorthin verschlägt, wohin es den Virus just verschlägt; idealistische (also überarbeitete und unterbezahlte) Wissenschaftler; hartherzig-unbelehrbare Konzern-Knechte; knorrig-trinkfeste Offshore-Malocher sowie aufdringlich liebenswerte Durchschnitts-Mitmenschen, die tragisch dem Virus zum Opfer fallen. Den Hintergrundchor bilden sensationsgeile Medien, machtkorrupte Politiker und kopfloses Flucht-Volk.
Die schablonenhaften Figuren sind in ihrem Denken, Reden und Handeln höchstens erträglich, nicht selten ärgerlich. Zudem bleibt Hughes letztlich vage: Was will er uns eigentlich sagen? Er beschreibt eine Krise, die erfolgreich überwunden wird. Die globale Gefahr, mit der Hughes uns erschrecken wollte, bleibt Behauptung. Trotz aller Hindernisse, Irrtümer und Sackgassen haben die Beteiligten das ‚Richtige‘ getan - heute sträuben sich uns die Haare, wenn wir lesen, wie Mücken-Brutstätten mit DDT u. a. kampfgasähnlichen Mitteln ausgeräuchert werden - oder bleiben trotz begangener Fehler ungeschoren. (Soll es Kritik sein, dass jener Konzern, der das Virus buchstäblich ans Tageslicht befördert hat, nicht zur Rechenschaft gezogen wird, um zu belegen, dass der Mensch die Ökonomie über die Ökologie stellt?). „Mücken …“ wird zum Kuriosum: ein Prequel zur (nie geschriebenen) Story einer Pandemie, die nicht eingedämmt werden kann. Dass man solche Geschichten gleichermaßen sachlich wie spannend erzählen kann, bewies exemplarisch Michael Crichton mit „The Andromeda Strain“ (1969; dt. „Andromeda“).
Anmerkung: Der merkwürdige O-Titel bezieht sich auf den Jesuiten Francisco Xavier (1506-1552), der als Missionar in Indien, Japan und China aktiv war. Sein Körper blieb aus unbekannten Gründen als Mumie erhalten und ist (nach seiner Heiligsprechung 1622) als Reliquie in der Basilica de Bom Jesus im indischen Goa ausgestellt. Hughes lässt Xavier durch ‚seinen‘ Virus‘ sterben.
Fazit:
Früher „Science Thriller“, dessen Verfasser plausibel die Gefahr einer globalen Seuche thematisiert, dies jedoch durch eine Handlung entwertet, die von flachen Figuren und schwachen Dialogen bestimmt ist: interessant als ‚Sachbuch-Roman‘, ansonsten eher belanglos.
Zach Hughes, Goldmann
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