Vicious - Das Böse in uns (Vicious & Vengeful 1)

  • Fischer
  • Erschienen: November 2019
  • 2
Vicious - Das Böse in uns (Vicious & Vengeful 1)
Vicious - Das Böse in uns (Vicious & Vengeful 1)
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Marcel Scharrenbroich
84°1001

Phantastik-Couch Rezension vonJan 2020

Böse gegen Böser

Einmal Superheld sein…

Träumt nicht jeder davon? Mit strahlendem Lächeln mühelos Gutes vollbringen. Ungeahnte Kräfte zu besitzen. Dem simplen Menschsein zu entwachsen. Über den Dingen zu stehen. Großes zu erreichen und den Rest der Menschheit in den Schatten zu stellen. Ja, schnell können solche Machtgedanken kaum spürbar in den Größenwahn gleiten. Besitzt man dann noch einen narzisstischen Charakter, ist man dem Standpunkt eines Superschurken näher als dem eines heroischen Wohltäters. Hier sind die Grenzen fließend. Der Tag wird zu schwärzester Nacht, ohne übergleitende Dämmerungsphase. Nur noch Hell und Dunkel. Schwarz und Weiß. Gut und Böse. So auch bei den Protagonisten in „Vicious – Das Böse in uns“, die sich beide nicht von selbstsüchtigen Motiven freisprechen können.

Flatrate auf die Flatline

Die Geschichte beginnt mit Victor Vale, der in Begleitung eines zwölfjährigen Mädchens in der Nacht über ein Friedhofsgelände streift. Bewaffnet mit Schaufeln und den bösesten Absichten, verfolgt er nur ein Ziel: Rache. Rache an seinem ehemals besten Freund Eli. Die junge Ausreißerin Sydney, die er wenige Nächte zuvor verletzt auf der Straße aufgelesen hatte, soll ihn dabei unterstützen. Ihn und seinen Begleiter Mitch, mit dem Victor erst jüngst aus dem Gefängnis flüchtete. Denn Sydney besitzt eine besondere Gabe… sie kann die Toten zurück ins Leben holen.

Zehn Jahre zuvor existieren solche übermenschlichen Fähigkeiten für Victor Vale nur in der Theorie. Allerdings ist er felsenfest von deren Existenz überzeugt. So sehr, dass der Medizinstudent an der renommierten Lockland University sich seinem Mitbewohner und Kommilitonen Eliot Cardale anschließt. Eigentlich wollte Victor seine Abschlussarbeit zum Thema „Adrenalinauslöser“ verfassen, die dem ehrgeizigen Studenten und mit Anfragen überhäuften Sohn eines Doktoren-Ehepaars eh nur noch Pluspunkte in der B-Note einbringen würde, doch als er von Elis Wunsch-Thema hört, wird er mehr als neugierig. Eli äußert gegenüber ihrem Professor den Wünsch, über „EOs“ zu schreiben. „ExtraOrdinäre“. Grob gesagt… Menschen mit übernatürlichen Fähigkeiten. Superhelden.

Solche Charaktere kennen wir höchstens aus Comic-Heften oder Filmen, doch im realen Leben? Immer wieder hört man von Menschen, die in Extremsituationen enorme Kräfte entwickeln können. Beispielsweise Personen, die nach einem Unfall ein Auto anheben, um eingeklemmte Personen zu befreien. Quasi im Adrenalinrausch. Comic-Helden werden entweder mit übermenschlichen Fähigkeiten geboren, wie der stählerne „Superman“ vom Planeten Krypton, dem die Sonne seine Kräfte auf der Erde verleiht, und die Mutanten der „X-Men“, die schon begabt zur Welt kamen und ihre Fähigkeiten im Heranwachsen entdecken. Oder es sorgen äußerliche Einflüsse dafür, dass ein Spinnenbiss aus einem normalen Teenager wie Peter Parker einen Wandkrabbler macht, der sich fortan spielend als „Spider-Man“ durch die Häuserschluchten von New York schwingt, oder eine Gammastrahlen-Explosion Bruce Banner zum wütenden „Hulk“ mutieren lässt. Lässt sich hier eine Parallele zwischen Realität und Fiktion, zwischen Theorie und Praxis finden?

Eli ist davon überzeugt und stürzt sich akribisch in die Recherche. Zu Victors großer Überraschung kann er nach den Semesterferien, in denen Eliot Cardale sich voller Tatendrang in den Stoff gestürzt hat, tatsächlich Ergebnisse vorweisen. Er musste tief graben, fand jedoch heraus, dass Personen bestimmte Kräfte nach Nahtoderfahrungen aufwiesen. Eines der großen Rätsel der Menschheit, was nach dem Tode passiert, soll also der Schlüssel zum Mysterium der ExtraOrdinären sein. Man mag mit gesundem Menschenverstand meinen, dass eine Überschreitung dieser letzten Grenze ein Tabu für zwei gewiss nicht dumme Medizinstudenten darstellen würde, doch wie Julia Roberts, Kiefer Sutherland und Kevin Bacon 1990 in „Flatliners“ bereits bewiesen, dass man nicht zwingend dämlich sein muss, um mit dem Tod zu experimentieren, wagen auch Eli und Victor das mehr als riskante Unterfangen.

Vicious (ˈviʃəs) = bösartig, boshaft, grimmig

Tatsächlich gelingt beiden der zweifelhafte Selbstversuch. Zuerst schafft Eli den erfolgreichen Weg zurück aus der Zwischenwelt, was Victor regelrecht auffrisst vor Neid… und nicht unbedingt für seinen Charakter spricht. Generell haben wir es hier mit zwei Persönlichkeiten zu tun, die nicht unbedingt einen Beliebtheitswettbewerb gewinnen würden. Als auch Victor sich nicht von einem erneuten Versuch abbringen lässt, kommt es zum Bruch zwischen den ehemaligen Freunden, bei denen sich der Begriff „Freundschaft“ sowieso seit jeher auf sehr spezielle Art definiert. Auch Elis Beziehung zu Victors ehemaliger Freundin Angie hat einen gewissen Anteil daran.

Eliot Cardale, der sich nach seiner Wiederkehr selbst den Nehmen Eli Ever verpasst, besitzt nun die Fähigkeit sich innerhalb von Sekunden zu heilen, was ihn praktisch unverwundbar macht. Victor Vale hingegen besitzt die Gabe, Menschen ihren Schmerz zu lindern. Ganz wie bei den X-Men-Charakteren Charles Xavier, dessen narzisstische Ansichten im letzten Kino-Abenteuer „Dark Phoenix“ schon für moralische Konflikte sorgte, und seinem ehemaligen Weggefährten Erik Lensherr, alias Magneto, werden aus Freunden Feinde. Gewisse Ereignisse sorgen dafür, dass sich regelrecht Hass aufeinander entwickelt. Eine Feindschaft, die über Jahre andauert und stetig wächst… bis sich im Hier und Jetzt ihre Wege endlich wieder kreuzen.

(Anti-)heldenhafter Auftakt

Ganz wie im Superhelden-Genre, haben wir es mit „Vicious – Das Böse in uns“ mit einer klassischen Origin-Story zu tun. Also einer Geschichte, die zeigt, wie die Hauptcharaktere zu dem wurden, was sie sind. Dieses walzt die amerikanische Schriftstellerein Victoria „V. E.“ Schwab auch nicht in ungeahnten Längen aus, sondern arbeitet es gekonnt in die knackig-kurzen Kapitel ein, die immer wieder in der Zeit hin- und herpendeln. So ergibt sich erst mit zunehmender Lesedauer ein Gesamtbild, was das Erlebnis ungemein intensiviert. Die Autorin der „Weltenwanderer“-Trilogie, die zudem Romane im Young Adult-Bereich verfasst, kreuzt mit ihrem Reihen-Auftakt urbane Fantasy mit Rache-Thriller und Superhelden-Zutaten, die formell an die TV-Serie „Heroes“ erinnern. Ganz wie in Comic-Vorbildern bekommen ihre „Helden“ Sidekicks an die Seiten gestellt, was dem Ganzen noch mehr Dynamik verleiht. So gleitet man quasi wie auf Schienen durchs Buch und vergisst regelrecht die Zeit, was besonders dem Leser-freundlichen Schreibstil von V. E. Schwab zu verdanken ist… vielleicht ist dies sogar ihre extraordinäre Fähigkeit?

Nach 380 spannenden Seiten wartet das Buch noch mit einer mehrseitigen Leseprobe aus „Vengeful“ auf. Der übernatürliche Fantasy-Thriller „Vengeful – Die Rache ist mein“ wird von FISCHER Tor Ende April 2020 veröffentlicht und stellt die Fortsetzung von „Vicious – Das Böse in uns“ dar.

Fazit:

„Vicious – Das Böse in uns“ vollführt einen Genre-Spagat zwischen Rache-Story und düsterer Superhelden-Geschichte und meistert diesen durch wendungsreiche Handlungssprünge mit Bravour. Ständig schwankt man als Leser hin und her, sitzt moralisch zwischen den Stühlen… denn hier bekämpfen sich „Böse“ und „Böser“ bis aufs Blut.

Vicious - Das Böse in uns (Vicious & Vengeful 1)

V. E. Schwab, Fischer

Vicious - Das Böse in uns (Vicious & Vengeful 1)

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