Spuk in Hill House
- Festa
- Erschienen: Mai 2019
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Es wartet auf dich, es ist geduldig
Psychologe Dr. John Montague geht eine geheime Leidenschaft: Er jagt schon lange dem Übernatürlichen hinterher, das er unbedingt wissenschaftlich nachweisen möchte. Jetzt hat er einen kapitalen Spukfisch an der Angel: Hill House wurde vor acht Jahrzehnten vom bösen Hugh Crain erbaut. Eine Kette mysteriöser Ereignisse hat dazu geführt, dass die riesige, verwinkelte, eigenartige öde Stätte als verflucht gilt. Niemand lebt in Hill House - jedenfalls niemand, mit dem man es zu teilen wünscht.
Wie spürt man einen Spuk auf? Montague lädt zwei parapsychisch auffällig gewordene Frauen ein: die exzentrische, lebenslustige, telepathisch begabte Theodora und die unsichere, nervöse, feinsinnige Eleanor Vance. Zum Team stößt der junge Zyniker Luke Sanderson, dessen Familie Hill House besitzt. Gemeinsam wird man sich in dem verrufenen Haus einquartieren und registrieren, was dort geschieht.
Montague wird nicht enttäuscht. Hill House lässt sich wenig Zeit, seine Kraft unter Beweis zu stellen. Die seltsamen, beunruhigende Intensität erreichenden Phänomene scheinen sich auf Eleonor zu konzentrieren. Das Haus hat die psychisch labile Frau als idealen Kristallisationspunkt entdeckt. In seinem betriebsblinden Übereifer bemerkt Montague die Gefahr viel zu spät: Hill House will Eleanor - oder ist es umgekehrt Eleanor, die Hill House mit schauerlichem ‚Leben‘ erfüllt?
Die Spukerscheinungen werden handfester. Noch immer versucht Montague seine Forschungsmission zu erfüllen. Sie hat sich längst zur Expedition in ein fremdes, gefährliches Land verwandelt, das nicht alle Teilnehmer lebendig verlassen werden ...
Nie weiß man, was wirklich vorgeht
„Spuk in Hill House“ gehört zweifellos zu den Höhepunkten der phantastischen Literatur. Mit einer im Genre gern behaupteten, aber selten unter Beweis gestellten Meisterschaft gelingt Shirley Jackson das Kunststück, nicht nur der strengen Kritik zu geben, was sie verlangt, sondern auch ihre Leser zu fesseln - mit einer Spukgeschichte, die ohne ‚richtige‘ Gespenster auskommt, sondern in der menschlichen Psyche wurzelt und dort Nachtmahre gebiert, die Freddy Krueger, Leatherface & Co. dorthin verbannen, wo sie am besten aufgehoben sind: in die Rummelplatz-Geisterbahn.
Es fasziniert nicht nur Jacksons Sprachgeschick: Mit wenigen, fast sparsamen Worten lässt die Autorin eine ebenso dichte wie anschauliche und zunehmend bedrohliche Atmosphäre entstehen. Hier kann sich hinter jedem Wort und zwischen den Zeilen eine verborgene Bedeutung verbergen. Man muss aufmerksam lesen, aber es fällt leicht.
Bewundern muss man Jackson für ihr Geschick, die Geschichte letztlich völlig in der Schwebe zu lassen. Ist Hill House ein Spukhaus? Ist es ‚nur‘ ein Katalysator, der Eleonores übernatürlichen Fähigkeiten ‚zündet‘? Ist es ein ganz gewöhnlicher, von abergläubischen Zeitgenossen verrufener Ort, der ausschließlich von Eleanors zerrüttetem Hirn mit allerlei Unheimlichem bevölkert wird? Sämtliche Interpretationen sind möglich und logisch. Sie schaffen einen Sog, dem sich der Leser von Anfang an nicht entziehen kann, wobei dieser Anfang trügerisch langsam einsetzt und zunächst irritiert. Wieso die lange Einleitung, bis Eleanor endlich in Hill House eintrifft? Weil wir sie auf ihrer Fahrt dorthin kennen lernen und einen deutlichen Eindruck von der Gefahr bekommen, die diese Frau für sich und ihre Mitmenschen darstellt.
Der Geist und die Psyche: ein erbarmungsloses Duell
Die Geschichte vom Spuk in Hill House ist eigentlich die Geschichte von Eleanor bzw. ein eindrucksvolles Beispiel für die Kraft unbewältigter Gefühle. Eleanor ist eine vom Leben enttäuschte und betrogene Frau. Schon als Kind wurde sie von ihrer dominanten, lieblosen Mutter unterdrückt, die Eleanor als alte, kranke, böse Frau pflegen musste, während sich die Schwester drückte. In diesen Jahren zog das Leben an Eleanor vorbei. Sie blieb ohne Mann, ohne Beruf, sogar ohne eigenes Heim: 32-jährig haust sie als Untermieterin unter der Fuchtel ihrer zänkischen Schwester bei deren unfreundlicher Familie.
Eleanor will endlich raus. Viel hat sich in ihr angestaut - buchstäblich: In früher Jugend war aus heiterem Himmel ein Steinschauer auf ihr Elternhaus niedergeprasselt, als es ‚daheim‘ wieder einmal besonders unerträglich war. Da ist also eine innere Kraft, die sich aus Eleanores unerfüllten Wünschen und Sehnsüchten speist. Sie ermöglicht ihr den Ausbruch aus dem Alltagstrott, als sich endlich eine Möglichkeit ergibt. Doch ungewollt hat Dr. Montague eine wesentlich tiefere Grube geöffnet: Eleanores Frustration, ihr Zorn, ihre Schuldgefühle brechen sich ebenfalls Bahn.
Der Forscher in der Zwickmühle
John Montague ist ein kluger Mann mit Doktortitel, ein Forscher, doch gleichzeitig ein blinder Trottel, der keine Ahnung von den Mächten hat, die er heraufbeschwört. Er bastelt nicht wie Dr. Frankenstein ein Monster, doch auch er ist bereit, für die Wissenschaft, aber letztlich wohl für sich selbst, schwer kalkulierbare Risiken einzugehen. Als Psychologe merkt er durchaus, wie es seelisch um Eleanor steht, kann aber nicht widerstehen: So ein Versuchskaninchen wird er nie wieder finden! Genau das ist Eleanor für ihn. Sie verehrt den freundlichen, zuvorkommenden Doktor, der ihr so viel Aufmerksamkeit schenkt. Ihr fehlt die Erfahrung, seine wahren Motive zu erkennen. Als dies endlich offenbar wird, leiten die Folgen die finale Katastrophe ein.
Theodora scheint auf den ersten Blick das genaue Gegenstück von Eleanor zu sein. Sie reist, ist selbstständig, unabhängig, verfügt über eigenes Vermögen. Grundsätzlich verkörpert sie alles, was Eleanor gern sein möchte. Aber Theodora ist auch sprunghaft, launisch und egoistisch. Für Eleanor ist sie keineswegs die Freundin, die sich diese wünscht, und noch weniger die weltkundige Begleiterin für die Zeit nach Hill House. So trägt auch Theodora durch ihr Verhalten zum Spuk in Hill House bei.
Luke Sanderson ist der Rationalist unter den Anwesenden. Weder verfügt er über einen Draht zum Übernatürlichen, noch will er es rational erforschen. Klug ist er, aber faul und ein kleiner Schurke, der sich langweilt, ständig in Geldnöten steckt und in Skandale verwickelt ist. In unserer Geschichte vertritt er den skeptischen Leser, der nicht an Spuk und Geister glaubt. Luke muss sich eines Besseren belehren lassen, auch wenn das in seinem Fall bedeutet, dass er seinen zynischen Tunnelblick auf die menschliche Natur verliert.
Das Grauen fesselt - oder es langweilt
So beginnt es, so geht es weiter. Seite für Seite, Zeile für Zeile zieht Jackson die Schraube an. Wie brillant ihr Werk gelang, verdeutlicht uns der seltene Genuss einer Verfilmung, die dem literarischen Vorbild angemessen und gewachsen ist. „The Haunting“ (dt. „Bis das Blut gefriert“) wurde 1963 von Robert Wise (1914-2005) inszeniert. Er hielt sich klug über weite Strecken außerordentlich eng an Jacksons Buch und schuf ein (auch künstlerisches und darstellerisches) Meisterwerk, das nichts von seiner Intensität verloren hat.
Wie gut Wise gearbeitet hat, bewies unfreiwillig 1999 Jan de Bont mit einer lächerlichen, von überbordenden Spezialeffekten erdrückten Neuverfilmung, die in Deutschland unter dem Titel „Das Geisterschloss“ für Hohn & Spott sorgte. Der Roman von Shirley Jackson und der Film von Robert Wise bilden eine Einheit, die kein Gruselfreund jemals vergessen wird, der (oder die) sie gelesen und gesehen hat. Faktisch übertrifft Wise das Vorbild sogar und vor allem im letzten Drittel. Hier bringt Jackson in Gestalt der überdrehten Mrs. Montague und ihres tumben Begleiters unangemessenen Klamauk ins Geschehen, das indes zum Finale wieder auf die rechte Bahn einbiegt.
Einen positiven Eindruck hinterließ die zehnteilige Serie, die das Streaming-Unternehmen NETFLIX 2018 präsentierte. Aufgrund der Laufzeit, die einen ‚normalen‘ Spielfilm weit hinter sich ließ, musste die Romanvorlage ‚erweitert‘ werden, obwohl sich Drehbuchautor und Regisseur Mike Flanagan sehr viel Zeit dabei ließ, die Handlung einzuleiten. Beides geschah durchaus einfallsreich und ließ das Niveau ‚normaler‘ TV-Umsetzungen deutlich hinter sich. Hinzu kam eine ausgezeichnete Darstellerschar, die gewährleisten konnte, dass ungeachtet vergleichsweise drastischer Horroreffekte - in diesem Hill House geht es eindeutig um - der psychologische Aspekt gewahrt blieb.
Fazit:
Ein Klassiker des phantastischen Genres und einer der besten Romane um Spuk und Besessenheit. Die Autorin entwirft mit infamem Geschick eine Atmosphäre der Unsicherheit: Spukt es wirklich in Hill House, oder wird das Unheimliche erst von einer psychisch labilen Besucherin ‚importiert‘? Auch sprachlich weit über dem üblichen Geisterschmarrn.
Shirley Jackson, Festa
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