Der Untergang der Könige: Drachengesänge 1
- Klett-Cotta
- Erschienen: September 2019
- 5
Lass mich dir eine Geschichte erzählen …
Der junge Kihirin sitzt im Kerker und wartet auf seine Veruteilung. Doch er ist nicht alleine: Seine Wärterin Klaue, ein Monster in Frauengestalt, lauert vor den Gittern. Aus Langeweile überredet sie Kihirin seine Geschichte zu erzählen. Und da dieser nichts Besseres zu tun hat, erzählt er Klaue, wie er einst auf dem Sklavenmarkt zu einem überhöhten Preis an eine Gruppe magiebegabter Valé verkauft und auf ein gefährliches Abenteuer mitgenommen wurde.
Kihirins Erzählung reicht Klaue jedoch nicht. Da sie eine Gestaltwandlerin ist und die Erinnerungen ihrer Opfer in sich aufnehmen kann, unterbricht sie Kihirins Geschichte immer wieder, um sie mit den Erinnerungen seiner Familie und Freunden zu ergänzen. Klaues Version beginnt an einem anderen Ort, zu einer anderen Zeit, als Kihirin und sein Ziehvater noch als Musiker in einem Bordell auftraten. Doch Kihirins Einbruch in ein nobles Stadthaus änderte alles, denn dort zog er die Aufmerksamkeit eines Dämons auf sich.
Dass wir überhaupt von diesem ungewöhnlichen Zwiegespräch zwischen Wärterin und Gefangenem erfahren, verdanken wir einem magischen Stein, der die Worte seines Trägers speichert. Thurvishar D’Lorus fertigte schließlich eine Abschrift dieses Gesprächs für seinen Herrscher an und konnte nicht widerstehen, das Ganze mit Fußnoten zu versehen. Und so erfahren wir, wer Kihirin wirklich ist und wie es dazu kam, dass er wegen Hochverrats angeklagt wird.
Nach Rezept und dennoch anders
Jenn Lyons hat mit ihrem Debüt das Zeitalter einer neuen Saga eingeläutet. Immerhin ist es als Fantasy-Fan fast unmöglich, an diesem Wälzer vorbeizukommen. Die Erwartungen sind dementsprechend hoch, zumal das Werk häufig in einem Atemzug mit Christopher Paolini, Brandon Sanderson und Patrick Rothfuss genannt wird. Derartige Vergleiche liegen tatsächlich nicht fern, hat sich die Autorin doch an der klassischen Fantasy-Checkliste abgearbeitet und so alle möglichen Motive in ihrem Buch untergebracht: Kihirin ist ein 16-jähriger Waisenjunge aus den Slums, der nach einer Prophezeiung jedoch der Retter der Welt sein soll. Dazu gesellen sich noch Drachen, Dämonen, Monster, ein elbenähnliches Volk, Intrigen, Schwertkämpfe und so weiter.
Dass Jenn Lyons sich altbekannter Versatzstücke bedient, klingt nach den üblichen Bemühungen, irgendwie auf den fahrenden Fantasy-Zug aufzuspringen. Und das meist mit wenig Erfolg. Doch in diesem Fall macht die Autorin einiges richtig: Ihr gelingt es, die Dinge so zu kombinieren, dass etwas Eigenes daraus entsteht. Die Geschichte wirkt bekannt und dennoch neu, nicht zuletzt dank der raffinierten Erzählweise auf drei Ebenen. Jenn Lyons ist eine solide Geschichtenerzählerin und sorgt gerade wegen ihrer Arbeit mit altbekannten Elementen immer wieder für Überraschungen.
Der Komplexitätswahn greift um sich
Das Setting stimmt, die Handlung verspricht Spannung. Und trotzdem stört etwas. Zum einen dauert es einige Zeit, bis man sich in die Erzählperspektiven eingearbeitet und überhaupt begriffen hat, worum es gehen soll. Jenn Lyons mag es nämlich ausführlich, was jedoch nicht viel zur Geschichte beiträgt. Zum anderen ist die Handlung dermaßen komplex angelegt, dass man die Tragweite spannender Entwicklungen oft nicht auf Anhieb durchschaut. Aufmerksames Lesen, manchmal vielleicht auch mehrmals, ist hier angesagt. Nicht nur findet sich hier ein riesiges Figurenensemble, das allein schon genug Konzentration fordert, hier werden auch wild Körper und Seelen getauscht, was die Verwirrung perfekt macht. Wenn dann noch Stammbäume und Erbfolgen relevant werden, ist es fast ganz aus. Dass beinahe alle Namen entweder mit T oder K anfangen, macht die Sache nicht leichter. Zum Glück gibt es den Anhang, der die Leser mit Glossar, Auflistung der Adelshäuser und Hinweisen zur Aussprache versorgt. Leichte Kost ist dieser 800-Seiten-Wälzer also nicht und nicht jeder hat die Muße, sich durch ein solches Werk durchzuarbeiten und immer wieder im Anhang nachzuschlagen. Zumal es am Schluss eben „nur“ eine solide und keine bahnbrechende Geschichte bleibt.
Fazit:
Jenn Lyons hat das Rad nicht neu erfunden. Dennoch wird sich ihr Werk in die Riege der High-Fantasy-Größen einreihen können. Für zwischendurch ist es jedoch nicht zu empfehlen, dafür ist der Plot zu kompliziert. Es bleibt zu hoffen, dass sich die Autorin in den Folgebänden nicht vollends in der Komplexität ihrer Geschichte verliert.
Jenn Lyons, Klett-Cotta
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