Der Strahlenpirat

  • Moewig
  • Erschienen: Januar 1982
  • 0
Der Strahlenpirat
Der Strahlenpirat
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Michael Drewniok
50°1001

Phantastik-Couch Rezension vonJul 2019

Erfinder (und Idealisten) vs. Bürokraten (und Piraten)

Inhalt

- Auf Umwegen (The Long Way; 1944), S. 7-39: Getrieben von der für Wissenschaftler dieser Zukunft üblichen Neugier wollen die Techniker der Relaisstation Venus mit der Energieübertragungsröhre experimentieren. Diese wiederentdeckte Erfindung der ausgestorbenen Marsianer wird von der Firma „Terran Electric“ eifersüchtig gehütet, das lukrative Monopol von Anwälten bewacht. Mark Kingman, ein besonders penetrantes Mitglied seiner Gattung, begleitet die Teströhre und verbietet den Forschern Versuche ohne seine Genehmigung. Einfallsreich umgehen die Wissenschaftler Kingman und erfinden eine deutlich effizientere Methode zur Übertragung von Energie, die sie der Sonne selbst abzapfen.

- Der Strahlenpirat (Beam Pirate; 1944), S. 40-80: Auf der Relaisstation Venus arbeiten Forscher an einer Methode, die Triebwerksstrahlung von Raumschiffen und damit deren Standort im All zu orten. So ist man abgelenkt und bemerkt beinahe zu spät, dass der gedemütigte Mark Kingman rachsüchtig einen Plan verfolgt, die Relaisstation durch illegale Börsenspekulationen unter seine Herrschaft zu zwingen.

- An vorderster Front (The Firing Line; 1944), S. 81-121: Abermals von den schlauen Forschern der Relaisstation Venus ausmanövriert, als Strolch entlarvt und nur durch faule Tricks dem Gesetz entronnen, tut sich Kingman mit einem weiteren Todfeind der Relaisstation zusammen: Raumpirat Murdoch hat bereits vergeblich versucht, diese in seine Gewalt zu bringen (vgl. „Recoil“, dt. „Rückstoß“, in Terra-TB 347). Mit der „Black Widow“, seinem neuen Schlachtschiff, und einer diabolischen Waffe will er dieses Mal den Sieg davontragen.

- Expreßsendung (Special Delivery; 1945), S. 122-160: Einmal mehr ist den Genies von der Relaisstation Venus ‚zufällig‘ eine revolutionäre Erfindung geglückt: der Materietransmitter kann Objekte aller Art ohne Zeitverzögerung zwischen Sender und Empfänger verschicken. Vor Gericht versucht Winkeladvokat Kingman sich den Transmitter unter den Nagel zu reißen - und treibt die unberechenbaren Superhirne der Relaisstation dazu, ihre Erfindung in ungeahnte Dimensionen fortzuentwickeln.

Triumphe der Wissenschaft über die grau(sam)e Bürokratie

Die Zukunft ist für unsere Protagonisten eine Gegenwart, die weder den Himmel noch die Naturgesetze als Grenze akzeptiert. Das gilt zumindest für die Wissenschaftler der „Relaisstation Venus“, die im sonnennahen Niemandsland des Weltraums dafür sorgen, dass der Funkverkehr zwischen der Erde und den längst von Menschen besiedelten Planeten Mars und Venus möglich ist. Diese Tätigkeit lässt Genies wie den Doktoren Channing und Franks offenbar viel Freizeit, die sie in die Erfindung erstaunlicher Supertechnik investieren. Sie werden von einer Runde ebenso idealistisch beseelter Forscher und Handwerker unterstützt, zu denen sich Channings Gattin Arden gesellt, die den hungrigen Forschern einen Schmorbraten serviert, wenn diese über der Umsetzung ihrer Einfälle wieder einmal das Essen vergessen haben.

Offensichtlich schlagen Geistesblitze primär auf der Relaisstation ein, die einmal ein Asteroid war und zu einem ‚Raumschiff‘ ausgehöhlt bzw. umgebaut wurde, das 4,8 km lang ist und 1,6 km Durchmesser aufweist. Jedenfalls produzieren die Wissenschaftler Elementar-Erfindungen in einem wahren Salventakt, dessen Schlagzahl Autor George O. Smith in den hier vier gesammelten Erzählungen in groteske Höhen treibt.

Interessant ist dabei die Tatsache, dass gerechte Empörung unsere Genies zusätzlich beflügelt: Das ‚System‘ - hier verkörpert durch den mit allen Wassern gewaschenen Anwalt Mark Kingman - will die grandiosen Erfindungen keineswegs allen Menschen zur Verfügung stellen, sondern nur denen, die dafür zahlen. Was sonnensystemweit für Fortschritt sorgen könnte, wird von Pfennigfuchsern und Sesselfurzern missbraucht, die ‚nur‘ mit Geld umgehen können, aber ansonsten zu dumm und zu faul sind, um schöpferisch tätig zu werden.

Reize nie ein Genie …

Smith formuliert geheime Wunschträume entsprechend frustrierter Zeitgenossen, die ihrer Kreativität ‚brauchbare‘ Ergebnisse abringen müssen, um gefördert zu werden - ein zeitloses Problem, das auch in den 1940er Jahren keineswegs neu war. Die daraus resultierende ‚Taktik‘ ist simpel: Während das ‚System‘ auf Regeln und (den Eigennutz konservierende) Gesetze pocht, setzt der ‚Wissenschaftler‘ - hier als Idealgestalt gezeichnet - auf die nicht zu kanalisierende Kraft eines kollektiven Geistes, der wie ein Springbrunnen Manifestationen vorab unkalkulierbarer Ergebnisse hervorbringt, die das starre ‚System‘ überfordern und aus dem Gleichgewicht bringen.

Während Smith dieses Ringen in den ersten fünf Storys um die Relaisstation Venus einigermaßen plausibel beschrieb, gehen ihm nun die Pferde durch: Bis auf die Zeitreise zieht das Klein-Team um Channing und Franks jedes technisches Meisterwerk praktisch aus jenem Hut, den die himmelstürmende Science Fiction der „Goldenen Ära“ darstellt. Sobald Finsterling Kingman wieder einmal an der Börse oder vor Gericht versucht, sie unter seine Knute zu bringen, kommen die Talentbolzen in „Joe’s Bar“ zusammen, wo sie im Alkohol- und Schaffensrausch Papiertischdecken mit Formeln bekritzeln, die im Anschluss von fingerfertigen Handwerkern in arbeitstaugliche Geräte umgesetzt werden, die ohne digitalen oder sonstigen Firlefanz ausprobiert werden: „Lerning by Doing“ ist hier sowohl Tugend als auch Kunst, und da das Glück dank Autor Smith mit den Tüchtigen ist, stehen Kingman & Co. final dumm und mit leeren Gierhänden da.

U. a. verbessert man an Bord der Relaisstation die „Übertragungsröhre“ kurzerhand so, dass sie nunmehr - und sogar überlichtschnell - Sonnenenergie vom fernen Sirius ansaugt, bastelt ein Ortungsgerät, mit dem sich Raumschiffe allerorts im All entdecken lassen, und kreiert schließlich einen Materietransmitter, der auch als 3-D-Kopierer taugt. Das wird von Smith als schöpferischer Sturm inszeniert, der von sympathischen Menschen entfesselt wird, wirkt aber übertrieben und unglaubwürdig.

Physik für Anfänger: intensiv bis brutal

Während die unbekümmerte Art, die Smith in den ersten „Relaisstation-Venus“-Storys an den Tag legte, für einen nostalgieträchtigen „Past-Future“-Effekt sorgte, schlägt dies in den hier gesammelten Erzählungen ins Gegenteil um. Der Autor malträtiert seine Leser mit „Technobabbel“, für dessen ‚Übersetzung‘ eigens ein Ingenieur hinzugezogen wurde. Das Ergebnis sorgt keineswegs für Lesefreude, denn nicht enden wollende ‚Beschreibungen‘ ergeben nicht nur keinen Sinn, sondern lassen die Unterhaltung in sinnlosem Haarklein kläglich sterben. Niemand interessiert sich für Details, die (eventuell) den Fachmann fesseln. Versucht Smith die zeitgenössische Abwertung der SF zu entkräften, indem er die „Science“ der „Fiction“ mindestens gleichstellt? Es funktioniert nicht.

Ähnlich missraten sind die ausufernden Schilderungen ‚futuristischer‘ Börsenspekulationen und Gerichtsverhandlungen. Hier ist von der Zukunft überhaupt nichts zu spüren. Geschäftsgänge und Rechtsprechung folgen den Klischees des US-Kleinstadtlebens der 1940er Jahre. Solche Passagen sind nicht nostalgisch, sondern nur altmodisch.

Weniger hart sollte man das haarsträubende Frauenbild verurteilen, denn es entsprach dem Zeitgeist. Frauen waren zwar anscheinend auch im wissenschaftlichen Umfeld notwendig, wobei (übrigens nicht nur in der Trivialliteratur) jugendfrei verschleiert wurde, was damit gemeint war. Die Zeitgenossen wussten Angaben wie „kochen“ und „Bettwäsche kaufen“ natürlich zu ‚übersetzen‘. (Einmal wird Smith ‚deutlich‘: Als man mit Radioaktivität experimentiert, wird Don und Arden geraten, den Schauplatz zu  verlassen, sollten sie Interesse auf „kleine Channings“ legen.)

Sämtliche Storys um die Relaisstation Venus erschienen hierzulande in diesen drei Bänden:

- Relaisstation Venus (Moewig Verlag/Terra Taschenbuch 347)

- Der Strahlenpirat (Moewig Verlag/Terra Taschenbuch 349)

- Das Ende der Weltraumstadt (Moewig Verlag/Terra Taschenbuch 352)

Fazit:

Buchstäblich himmelstürmende SCIENCE Fiction, deren Protagonisten geniale Supertechnik quasi absondern. Die „Fiction“ bleibt demgegenüber zurück, was potenzielle Nostalgie-SF einer klassischen Ära in oft dröge „Technobabbel“-Kost verwandelt: Manchmal bleibt Science Fiction von Gestern vor allem alt.

Der Strahlenpirat

George O. Smith, Moewig

Der Strahlenpirat

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