Die Spiegelreisende 1: Die Verlobten des Winters
- Insel
- Erschienen: März 2019
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Ein leicht unterkühlter Serienauftakt
Mit lobenden Zitaten auf Büchern ist es so eine Sache... Einerseits werden so bei der Leserschaft hohe Erwartungen geweckt und Versprechungen gemacht, die dann anderseits (zu) oft nicht eingehalten werden. Bei diesem Reihenauftakt wird zwar nicht der beliebte Vergleich mit „Game of Thrones“ bemüht. Dafür wird das Werk bereits als „Klassiker“ bezeichnet und mit Harry Potter verglichen. Stellt sich die Frage: Hält der Inhalt was der Buchrücken verspricht?
Ein Riss verändert die Welt
Die Welt, wie wir sie kennen, existiert in der Geschichte von Christelle Dabos nicht mehr. Ein Unglück, dass als „der Riss“ bezeichnet wird, hat die Erde in viele einzelne Teile gespalten. Die Menschen leben mittlerweile auf diesen Bruchstücken, die im Himmel schweben und als Archen bezeichnet werden. Anima ist eine davon. Hier wohnt unsere Hauptprotagonistin Ophelia mit ihrer Familie. Ihr Leben verlief bis jetzt sehr unaufgeregt, was dem unscheinbaren und leisen Mädchen gut gefällt. So unspektakulär Ophelias Äusseres auch sein mag, ihre Gaben sind es mitnichten. Sie ist nicht nur eine „Spiegelreisende“, die sich durch Spiegel fortbewegen kann, sie ist zugleich noch eine „Leserin“. Diese Fähigkeit erlaubt ihr, durch das Berühren eines Gegenstandes dessen ganze Geschichte zu erfahren. Aber wie der früheren Erde, droht nun auch in Ophelias Leben ein „Riss“, der alles verändern könnte: Sie soll verheiratet werden!
Ihr zukünftiger Mann stammt von der weit entfernten Arche Pol. Dort herrschen eisige Temperaturen und die Bewohner sind ebenfalls nicht für ihr sonniges Gemüt bekannt. Die verfeindeten Familienclans des Pols intrigieren und kämpfen so oft es geht mit- und untereinander. Auf der Reise in ihre neue Heimat stellt Ophelia schnell fest, dass ihr Verlobter Thorn verschlossen, schroff und wortkarg ist. Er überlässt sie meistens sich selbst und zeigt wenig bis gar kein Interesse an ihrer Person.
Vom Regen in die Traufe
Am Pol angekommen zerschlägt sich Ophelias Hoffnung, dass ihre Situation von nun angenehmer wird, sehr schnell. Thorn schärft ihr ein, dass sie niemandem von ihrer Hochzeit erzählen darf und sich bis zur Trauung verstecken muss.
Die ersten Tage verbringt sie auf dem Anwesen von Thorns Verwandten. Genauer gesagt bei seiner Grossmutter und Tante Berenilde. Zu Beginn gefällt Ophelia der Aufenthalt dort sehr gut. Doch schnell beginnt sie sich zu langweilen. Sie darf das Haus nicht verlassen und muss die korrekten höfischen Umgangsformen üben, welche sie mit ihrer Tollpatschigkeit einfach nie zufriedenstellend hinbekommt.
Als der Botschafter Berenilde und ihre "Entourage" auffordert, in den Mondscheinpalast zu ziehen, ist Ophelia endgültig bedient. Die Vorstellung, mitten in die höfische High-Society geworfen zu werden, ist ihr ein Graus. Zudem eröffnet ihr Thorns Tante, dass ihr Versteck-Spiel auch am Hofe weitergeht. Ophelia muss sich als stummer Page ausgeben. Sie nutzt die Zeit als "Höfling" jedoch, um die wahren Absichten zu ergründen die hinter der Heirat mit Thorn stecken. Was sie bei ihren Nachforschungen herausfindet, beunruhigt sie zutiefst. Und dass sie mehr Feinde als Freunde hat merkt Ophelia spätestens, als man ihr ein schreckliches Verbrechen vorwirft. Wie soll sie sich aus dieser misslichen Lage befreien, wenn sie niemandem das Geheimnis ihrer wahren Identität anvertrauen kann? Ist ihr Schicksal endgültig besiegelt?
Langsame Steigerung und verschenktes Potenzial
Christelle Dabos hat mit "Die Verlobten des Winters" einen soliden Reihenauftakt hingelegt. Ihr Weltenentwurf ist neu und mit viel Liebe fürs Detail gestaltet. Es blitzen viele gute Ideen und Ansätze auf, die in der Fortsetzung hoffentlich noch weiter vertieft werden. Die Hauptfigur Ophelia weiss zu gefallen, macht sie doch eine beachtliche Entwicklung durch. Vom anfänglich grauen Mäuschen wächst sie in kurzer Zeit zu einer jungen Frau heran, die ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen und sich nicht allem fügen will.
Diese Entwicklung passiert allerdings ziemlich am Ende der Geschichte und zeigt eines der Probleme dieses Startbandes auf: Die Erzählung nimmt erst gegen Schluss richtig Fahrt auf. Bis dahin plätschert die Handlung gemächlich vor sich hin, vieles wiederholt sich und hätte getrost kürzer gehalten werden können. Die meisten Figuren werden zudem recht oberflächlich behandelt und bleiben somit eher blass. Natürlich kann es daran liegen, dass in den Folgebänden noch Potenzial für die Charakterentwicklung benötigt wird. Es erschwert es aber, eine Beziehung zu den Protagonisten zu knüpfen. Auch aus Ophelias Gabe als "Leserin" wäre mehr zu machen gewesen. Sie gilt als eine der Besten ihrer Zunft, ein Talent, dass man in dieser Ausprägung seit Jahrhunderten nicht mehr gesehen hat. Leider wird dieser Umstand in der ganzen Geschichte nicht wirklich näher beleuchtet und Ophelia darf ihre Gabe kaum einsetzen.
Fazit:
Hält der Inhalt was der Buchrücken verspricht? Nein. Dem Vergleich mit Harry Potter hält Ophelia nicht stand. Ob der Verlag seiner Autorin mit diesem Zitat einen Gefallen getan hat, bleibt fraglich. Die hohen Erwartungen, welche ich zu Beginn der Lektüre hatte, sind trotz vieler guter und fantasievoller Ansätze nicht erfüllt worden.
Es folgen noch drei Bände (Band 2 erscheint Ende Juli), ehe die Geschichte um Ophelia zu Ende erzählt ist. Werde ich weiter lesen? Gute Frage, mal schauen, was die Buchrücken so versprechen...
Christelle Dabos, Insel
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