Zurück in die Zukunft

  • Goldmann
  • Erschienen: Januar 1971
  • 0
Zurück in die Zukunft
Zurück in die Zukunft
Wertung wird geladen
Michael Drewniok
65°1001

Phantastik-Couch Rezension vonJun 2019

Zeitreisen gehen immer irgendwie schief

Dr. Elias Wentik arbeitet als Biochemiker an einer Methode, die Leistungsfähigkeit des menschlichen Gehirns künstlich zu steigern. Zwar zeichnen sich interessante Fortschritte ab, doch die Experimente bergen auch beträchtliche Risiken. Es kommt zu Nebenwirkungen, die denen eines Drogenmissbrauchs gleichen. Bisher wurden sämtliche Versuchstiere wahnsinnig und starben.

Eines Tages wird Wentik praktisch unter Zwang und angeblich von der US-Regierung nach Brasilien beordert. Dort hat man im abgelegenen Planalto-Distrikt eine kreisrunde Lichtung im ansonsten dichten Urwald entdeckt und darüber ein Flugzeug fotografiert, das die technischen Möglichkeiten der Gegenwart weit übersteigt. Als wissenschaftlicher Begleiter einer Soldatengruppe soll Wentik das Rätsel lösen.

Die Lichtung ist Teil einer mehr als zweihundert Jahre entfernten Zukunft. Wer sie betritt, wird automatisch dorthin transportiert. Genaues konnte bisher nicht festgestellt werden: Diese Zukunft funktioniert entweder nach unverständlichen Regeln, oder es liegt buchstäblich etwas in ihrer Luft, das die Hirne der Besucher verwirrt. Auch Wentiks Begleiter beim Sprung in die Zukunft benehmen sich zunehmend irrational, während der Forscher - offenbar als Folge seiner Experimente - immun ist. Er landet in einem bizarren Gefängnis; man wirft ihm ein nie definiertes „Verbrechen“ vor, das er „gestehen“ soll.

Wentik kann sich befreien. Er verlässt das Gefängnis, nimmt Kontakt zu den Menschen dieser Zeit auf - und erfährt von einem Dritten Weltkrieg, dessen Folgen die Erde wohl auf ewig zeichnen werden. Offenbar haben Wentiks Forschungen zur Entwicklung einer Waffe geführt, die noch immer aktiv ist. Man bittet ihn, zurück in die Zeit vor dem Krieg zurückzukehren, um dort das unbekannte Gegenmittel sicherzustellen. Wentik ist einverstanden, doch die Technik der Zeitreise hat ihre Tücken, die zu einer gänzlich unerwarteten Wendung des Geschehens führen …

Das Ende der glorreichen Zukünfte

1970 war das „Goldene Zeitalter“ der Science Fiction definitiv vorbei. Zwar gab es weiterhin eine solide Nische, in der universenverwirbelnde „Space Operas“ aufgeführt wurden, doch generell hatte sich die Gegenwart nachdrücklich zu Wort gemeldet - und die war alarmierend real! Nachdem es jahrzehntelang dank Naturwissenschaft und Technik immer weiter vorangegangen war, stockte der Fortschritt, während die bisher verdrängten und ignorierten Nebenwirkungen aufholten. Hinzu kamen die Probleme einer Welt, die immer mehr Menschen trug, ohne dafür gerüstet zu sein. Die natürlichen Ressourcen neigten sich dem Ende zu. Immer verbissener wurde geschürft, gebohrt, abgeholzt und zugemüllt. Dass dies keineswegs folgenlos bleiben konnte, zeichnete sich drohend ab. Wer nicht direkt von Umweltzerstörung, Hunger und anderem Elend bedroht war, musste sich mit politischen und sozialen Umbrüchen auseinandersetzen. Der Mensch rückte zurück in den Fokus der Gegenwart, die (Nicht-) Bewältigung der skizzierten Schwierigkeiten würde die Zukunft prägen.

Nun drangen die Naturwissenschaften in Bereiche vor, die das Prinzip von Ursache und Wirkung in Frage stellten. Die Science Fiction reagierte. Jüngere Autoren, in dieser konfliktreichen Zeit geboren, beschäftigten sich mit ‚anderen‘ Zukünften. Dabei brachen sie nicht nur inhaltlich, sondern auch formal mit den Konventionen der „Pulp“-Ära. Früher hatte eine Story einen Auslöser, dem eine spannende Entwicklung und ein dramatisches Finale folgten. Die Handlung war von ‚realitätsnaher‘ Logik und blieb nachvollziehbar.

Philip K. Dick, James Graham Ballard, Harlan Ellison und andere (manchmal gar nicht mehr  so) ‚junge Wilde‘ begannen mit Raum, Zeit und Stil zu experimentieren. Sie thematisierten ein Universum ohne (naturgesetzliche) Sicherheiten und stellten die Frage, ob und wo der Mensch in diesem von Entropie geprägten Chaos seinen Platz finden konnte.

Keine Flucht in die Zukunft möglich

Christopher Priest ergänzt die Palette dieses sich nicht zwangsläufig ins Gegenteil verkehrenden, sondern durch überfällige Skepsis relativierten Zukunftsdenkens. Ihn fasziniert das Phänomen der Wahrnehmung: Was wir sehen, hören, riechen, fühlen, entspricht nicht unbedingt der Realität, sondern ist die Interpretation dessen, was unser Hirn durch die Sinnesorgane empfängt. Wird es biochemisch aus dem Gleichgewicht gebracht, entsteht eine alternative Wirklichkeit, die sich völlig real anfühlen kann.

Sehr klassisch beginnt Dr. Wentik als moderner Frankenstein, der an Dingen rührt, die er nicht wirklich versteht. Er geht das Risiko „im Namen der Wissenschaft“ ein, denn sein hehres Ziel ist eine ‚Aufrüstung‘ der Hirnpotenzials. Erwartungsgemäß geht dies schief, wobei sich die Konsequenzen nicht auf den Amoklauf eines „Monsters‘ beschränken: Dieser Schrecken ist modern = ohne Personifizierung sowie global. Was genau geschah, findet Wentik nie heraus, und er kann den Geist nicht mehr zurück in die Flasche zwingen. Die Apokalypse bricht los - nicht nur einmal, sondern - einer Zeitmaschine sei ‚Dank‘ - zweimal, denn über allem und jedem auf Erden drohte 1970, als dieser Roman erschien, „die Bombe“, die jederzeit der Westen gen Osten und umgekehrt abfeuern konnte.

Seit den 1970er Jahren müssen Wissenschaftler verstärkt (und verstört) erleben, dass sich Fachwissen als nutzlos und Selbsttäuschung entpuppen kann. Wentik reiht sich ein: Nie wird deutlich, wer ihn in die Zukunft schickt. Die Expedition demonstriert sinnleeren Aktionismus. Wentik bleibt stets Objekt der Ereignisse. Ergreift er ausnahmsweise die Initiative, laufen seine Aktivitäten ins Leere. Was er erlebt, versteht er nicht - und kann er nicht verstehen, denn irgendwann stellt sich heraus, dass die Geschehnisse in der Tat keinen Sinn ergeben. Folgerichtig endet Wentiks Versuch, die Zukunft durch eine Reise in die Vergangenheit zu korrigieren, als kompletter Fehlschlag. In ‚dieser‘ SF gibt es keine Helden mehr!

Guter Ansatz, mittelmäßige Umsetzung

Dieser Roman trägt im englischen Original den Titel „Indoctrinaire“. (Hierzulande wurde daraus „Zurück in die Zukunft“: Es sollten keine Leser = Kunden verschreckt werden, die mehrheitlich zu „Goldmanns Weltraum-Taschenbüchern“ griffen, um sich nach klassischen SF-Mustern unterhalten zu lassen. Mit der gleichnamigen Komödientrilogie der Jahre 1985-1990 hat „Indoctrinaire“ erst recht nichts zu tun!) Ein wenig Eklektizismus war typisch für die „New-Wave“-SF, denn hier wurde selbstbewusst und vorbildhaft quergedacht. Nichtsdestotrotz ergibt der O-Titel Sinn; er zielt auf den zentralen Handlungsabschnitt, in dem Wentik ohne Wenn und Aber oder Möglichkeit des Widerspruchs ‚belehrt‘ werden soll, um sein ‚Verbrechen‘ zu gestehen.

In diesem Mittelteil gelingt es Priest, seinen Leser wie Wentik den Boden unter den Füßen wegzuziehen. Wie er bemühen auch wir uns zunehmend verzweifelt, dem Geschehen einen Sinn abzuringen, den es nicht besitzt, wie wir nachträglich erfahren. Das hinterlässt uns entweder frustriert und wütend, oder es wird Katalysator beim Versuch zu verstehen, was uns der Verfasser eigentlich sagen möchte.

„Indoctrinaire“ ist Priests erster Roman. Als solcher lässt er die Geschliffenheit späterer Werke vermissen. Der Plot gliedert sich in drei Teile, wobei vor allem das letzte Drittel  abfällt: Die Reise zurück in die Vergangenheit (und nicht in die Zukunft!) ist ‚reine‘ SF ohne den Ehrgeiz, konservierte Genregrenzen niederzureißen, und das Ende vor allem dramatisch, aber unlogisch. Interessant ist dieser Roman trotzdem. Die Science Fiction ermöglicht keinen Blick in die Zukunft, sondern ist ein Spiegel ihrer Gegenwart/en.

Fazit:

Der Versuch, aus der Zukunft die Verheerungen eines vergangenen Krieges mit Hilfe einer Zeitmaschine zu verhindern, bleibt in jeder Hinsicht erfolglos. Was zusammengefasst wie ein ‚typischer‘ Science-Fiction-Plot klingt, schildert eine Welt, die auf sämtlichen Zeitebenen fremd wirkt, sodass der Protagonist ein hilfloser Beobachter bleibt, dem es nicht einmal im Ansatz gelingt, die Welt im Alleingang zu retten: „Zurück in die Zukunft“ ist ein Beispiel für die ‚metaphysische‘ SF der „New Wave“.

Zurück in die Zukunft

Christopher Priest, Goldmann

Zurück in die Zukunft

Ähnliche Bücher:

Deine Meinung zu »Zurück in die Zukunft«

Wir freuen uns auf Deine Meinungen. Ein fairer und respektvoller Umgang sollte selbstverständlich sein. Bitte Spoiler zum Inhalt vermeiden oder zumindest als solche deutlich in Deinem Kommentar kennzeichnen. Vielen Dank!

Letzte Kommentare:
Loading
Loading
Letzte Kommentare:
Loading
Loading

Sci-Fi & Mystery
(MUSIC.FOR.BOOKS)

Du hast das Buch. Wir haben den Soundtrack. Jetzt kannst Du beim Lesen noch mehr eintauchen in die Geschichte. Thematisch abgestimmte Kompositionen bieten Dir die passende Klangkulisse für noch mehr Atmosphäre auf jeder Seite.

Sci-Fi & Mystery