Friedhof der Kuscheltiere
- Heyne
- Erschienen: März 2019
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Sieg über den Tod mit schrecklichen Folgen
Aus der Großstadt Chicago zieht Arzt Louis Creed mit seiner Familie in die Provinz des US-Staates Maine, wo er an einer Universität die Studenten medizinisch betreuen wird. Gattin Rachel, die fünfjährige Eileen, der kleine Gage und Kater Winston „Church“ Churchill sind begeistert von dem großen Haus, das - allerdings an einer viel befahrenen Straße - mitten in der freien Natur liegt. Die Nachbarn sind freundlich; der alte Judson Crandall wird sogar zu einem Ersatzvater für Louis.
Crandall ist es, der die Creeds eine örtliche ‚Attraktion‘ zeigt - den „Friedhof der Kuscheltiere“, auf dem die Kinder des Ortes seit vielen Jahren ihre Haustiere begraben. Dass dieser unschuldige Ort nur das Spiegelbild einer deutlich gefährlicheren Stätte ist, erfährt Louis, als Church von einem Lastwagen überfahren wird. Rachel und die Kinder besuchen gerade Verwandte, weshalb Louis eine Frist bleibt, die schlechte Nachricht vorzubereiten.
Der alte Crandall will helfen. Er führt Louis auf eine vergessene Begräbnisstätte der Micmac-Indianer, die einst ihre Toten jenseits des Kuscheltier-Friedhofs begruben. Dort haust nun eine Macht, die Leichen wiederbeleben kann. Church kehrt zurück - aber es ist nicht mehr der freundliche Kater von einst, sondern eine stille, hinterlistige und nach Graberde riechende Kreatur, die von den irritierten Familienangehörigen keineswegs ins Herz geschlossen wird.
Dennoch sucht Louis den verfluchten Ort erneut auf, als auch Gage einem Autounfall zum Opfer fällt. Obwohl ihn Crandall eindringlich gewarnt hat, lässt der trauernde Vater den Sohn ‚auferstehen‘. Zurück kehrt jedoch ein Wesen, das nur wie Cage aussieht. ‚Beseelt‘ wird der Körper vom nun personifizierten Bösen - und es zögert nicht, Verderben und Tod über so viele Menschen wie möglich zu bringen …
Auf der Höhe seiner Kunst
Auch im bereits fortgeschrittenen 21. Jahrhundert ist Stephen King ein Superstar. Seine Bücher erreichen Rekordauflagen und sind zuverlässig in den Bestsellerlisten zu finden. Er ist keineswegs schreibfaul geworden und deshalb weiterhin sehr präsent, zumal seine Werke gern verfilmt werden. Auch die Kritik hat ihren Frieden mit King gemacht und erkennt ihn als Meister eines ‚modernen‘ Schreckens an, der im (US-) Alltag und meist in der Provinz wurzelt, wo er im ‚normalen‘ Menschen einen Wirt findet, den er heimsuchen kann.
Obwohl King also weiterhin seinen Spitzenplatz verteidigt, hat er den Gipfel längst verlassen. Das erkennt selbst der regelmäßige, seit vielen Jahren verfassertreue Leser, wenn er zu einem der ‚frühen‘ Romane greift. King-Romane sind heute unterhaltsam und lesenswert, doch früher wiesen sie zusätzlich eine inhaltliche Intensität auf, die dem Publikum ein Wechselbad aus Faszination und Furcht bescherte - und einen spannenden Höllenritt, der mühelos über viele hundert Buchseiten trug.
„Friedhof der Kuscheltiere“ ist ein eines der frühen Meisterwerke. King hat sich weit aus dem Fenster gelehnt, um einen Horror zu erschaffen, der seine Leser schmerzt. Dafür benötigt er keine Tricks, d. h. keine sadistischen Irren oder grässlichen Grabgestalten, die mit scharfen Messern oder ebensolchen Klauen über schreiende Opfer herfallen - ein Vorgang, der in allen Details beschrieben wird, was die Leser erschrecken soll.
In der Trauer nicht weit genug gedacht
Wie plump und jämmerlich dieser Overkill ist, beweist der Vergleich solcher Machwerke mit „Friedhof der Kuscheltiere“: Hier geht es vergleichsweise blutarm zu. Trotzdem regiert das nackte Grauen, denn King setzt dort an, wo es schmerzt: Schon der Gedanke an den Tod eines Kindes sorgt für Unbehagen. Es ist nicht ‚richtig‘, wenn ein „unschuldiges‘ Menschlein weit vor seiner Zeit endet. Man weiß, dass so etwas geschieht, will sich mit dem Thema aber lieber nicht beschäftigen.
In diese Wunde sticht King - und zwar mittig! Dabei verbannt er allzu vordergründigen Horror in die Seitenstränge der Handlung. Der Tod von Gage und der Wahnsinn, der ihm folgt, finden vor allem im Kopf des Vaters statt. King beschreibt, wie Louis Creed die Vor- und Nachteile der ‚Wiedergeburt‘ mit sich selbst diskutiert, die Stimme der Vernunft willentlich überhört und sich ‚Argumente‘ für sein Tun zurechtlegt. Zwar legt King nahe, dass eine böse Macht ihn dabei beeinflusst, doch grundsätzlich ist es die grenzenlose Trauer, die Creed jede Warnung in den Wind schlagen lässt.
Tod ist Verlust, aber damit muss bzw. kann man sich abfinden. Trotzdem hat der Mensch zu allen Zeiten nachgedacht, ob man dem Tod die verlorenen Lieben wieder abspenstig machen könnte. Die meisten der daraus resultierenden Geschichten deuten die Problematik an: Wer würde da zurückkehren? King verkneift sich (zumindest vor dem Finale) den Schauereffekt, den eine ‚echte‘ Leiche nach ihrer ‚Liegezeit‘ im Grab erzeugen dürfte. Seine ‚Zombies‘ sind körperlich (vergleichsweise) unversehrt, aber keineswegs weniger gruselig: In ihrem Hirn haust eine unbekannte, feindselige Macht, die im Diesseits nichts verloren hat.
Orte des Grauens
Der Friedhof der Kuscheltiere und sein ‚Original‘ - die Begräbnisstätte der Micmacs - sind genial in Szene gesetzte Orte des Schreckens. King orientiert sich an neuenglischen Legenden und erinnert u. a. an den Wendigo, der angeblich die dunklen Urwälder Nordamerikas heimsucht, lässt sich aber auch von Algernon Blackwood (1869-1951) oder H. P. Lovecraft (1890-1937) inspirieren: Auf dem verfluchten Plateau könnten die „Alten Götter“ aus dem Cthulhu-Mythos umgehen.
Meist belässt es King bei Andeutungen; manchmal wird er unnötig deutlich. Dennoch entfesselt er ein Grauen, das umso wuchtiger wirkt, als es Menschen trifft, die dank Kings Talent mehr als bloße Figuren sind. Louis Creed, seine Familie, der alte Jud Crandall, selbst der ‚echte‘ Kater Church: Der Autor nimmt sich die Zeit, sie uns buchstäblich ans Herz zu legen.
„Friedhof der Kuscheltiere“ ist ein sorgfältig komponiertes Werk mit großartigem Timing. Selbst wenn King in beinahe kitschigen Szenen schwelgt, schwingt stets ein bedrohlicher Unterton mit: Dieses Glück steht auf tönernen Füßen! Wenn der Absturz dann erfolgt, zieht das Tempo an. Mit der Gnadenlosigkeit einer außer Kontrolle geratenen Lokomotive rast das Geschehen auf ein ebenso logisches wie grausames Finale zu. Niemand ist ‚schuldig‘ an dieser Tragödie, doch Unschuld schützt vor ‚Strafe‘ = den Konsequenzen nicht, wenn man an Kräften rührt, die man besser akzeptieren sollte. Das mag eine uralte Binsenweisheit sein, aber Stephen King füllt sie wahrlich glaubhaft mit Leben - und Tod!
„Friedhof der Kuscheltiere“ - die Filme
Stephen King ist nicht nur ein ungemein fleißiger, sondern auch immens erfolgreicher Autor. Dies sichert ihm seit Jahrzehnten die Aufmerksamkeit Hollywoods, weshalb King wohl DER Schriftsteller ist, dessen Werke zu Lebzeiten am häufigsten verfilmt wurden. In der Regel sind die Ergebnisse bestenfalls unterhaltsam, selten außerordentlich bzw. sehr oft ausgesprochen schlecht; letzteres konnte die Flut der King-Umsetzungen nie bremsen.
„Friedhof der Kuscheltiere“ kam erstmals 1989 ins Kino. Inszeniert wurde der Film von Mary Lambert, die durch ihre Videos zu diversen Songs der Sängerin Madonna bekanntgeworden und zwei Jahre zuvor den zumindest von der Kritik gelobten Spielfilm „Siesta“ gedreht hatte. Stephen King selbst schrieb das Drehbuch und beriet Lambert während der Dreharbeiten. Das Ergebnis war ein recht erfolgreicher, mit Brutal-Effekten nicht geizender Horror-Thriller, der in einer Hauptrolle Fred Gwynne - vor allem durch seine Verkörperung des Herman Munster in der TV-Komödie „The Munsters“ (1964-1966) bekannt - als Jud Crandall glänzen ließ.
Lambert ließ sich zu einer ‚Fortsetzung‘ überreden, mit der King nichts zu tun hatte. „Pet Sematary II“ war ein miserabler Film, der an den Kassen durchfiel und Lamberts Absturz einleitete; in den nächsten Jahren drehte sie - wenn überhaupt - vor allem Trash wie „Mega Python vs. Gatoroid“ (2011).
Dreißig Jahre später war die Zeit nach Ansicht Hollywoods reif für ein Remake. 2019 kam ein neuer „Friedhof der Kuscheltiere“ in die Kinos. Kevin Kölsch und Dennis Wydmer führten wie üblich gemeinsam (u. a. beim interessanten Psychohorror-Thriller „Starry Eyes“) Regie. Für wenig mehr als 21 Mio. Dollar - im Zeitalter der Marvel/DC-Blockbuster eine Bagatellsumme - entstand ein gut gemachter, unterhaltsamer, leidlich erfolgreicher Film, der im Rahmen seiner Online- und Videovermarktung deutlich mehr Geld in die Kassen spülen dürfte.
Fazit:
Was wäre, wenn man den Tod ‚besiegen‘ könnte? Einfallsreich und unerbittlich spielt Autor King die aus seiner Sicht eindeutig negative Antwort durch. Das Ergebnis ist ebenso großartig wie grimmig und jenseits tumber Gewaltpornografie erschreckend - dies auch, weil King ‚echte‘ Personen statt Klischee- und Pappkameraden ins Zentrum einer jederzeit furchterregenden Story stellt, die mehr als eine Schauermär ist.
Stephen King, Heyne
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