Die Augen des Drachen
- Heyne
- Erschienen: Januar 1987
- 8
Düsteres Märchen der Extraklasse
"Die Augen des Drachen" erschien erstmals 1983 in einer (für king'sche Verhältnisse) kleinen Auflage von 1250 Stück. Der ´King of Horror´ hatte diesen Roman für seine Tochter Naomi und Peter Straubs Sohn Ben geschrieben, wahrscheinlich als eine Art kindgerechter Bettlektüre. Und damit ist dieses Buch auch ein gelungenes Modell der All-Age-Fantasy, deren Stempel man derzeit fast wahllos allen möglichen Werken der Phantastik aufdrückt.
"Die Augen des Drachen" ist nicht Kings erster Fantasy-Roman. Mit "Schwarz" (1982) legte er bereits ein Jahr zuvor den Grundstein für seine düstere Saga über den Revolvermann Roland und den dunklen Turm, die sich erzählerisch und inhaltlich doch vom typischen King-Horror abhebt. Die Welt in "Die Augen des Drachen" könnte man durchaus als ein Paralleluniversum der Turmwelt sehen. Möglicherweise lebte King schon länger mit gewissen Figuren, denn beispielsweise taucht der erzböse Magier Flagg auch in seinen späteren Werken "The Stand. Das letzte Gefecht" und dem "Der Dunkle Turm"-Zyklus wieder auf.
Das Szenario ist schnell umrissen: Ein altertümliches Königreich namens Delain, dessen genaue Verortung der Erzähler nicht vornimmt. Wie es für King typisch ist, beleuchtet er zuerst detailreich diese Szenerie, das Schloss, worin die Königsfamilie leibt und lebt; und King arbeitet wie immer mit Erinnerungen an Familiäres und Alltägliches, das sofort gefangen nimmt. Es ist eine ziemlich einfach gestrickte Märchenwelt irgendwo zwischen Mittelalter und Neuzeit, die aber gerade durch ihre realistische Prägung sehr lebensecht wirkt. Dabei wird fast ganz auf Magie und Zauberkitsch verzichtet, was nur positiv bewertet werden kann. In den ersten Kapiteln stellt uns der Erzähler die Akteure vor, die für diese Geschichte relevant sind: König Roland, Königin Sasha, die beiden Prinzen Peter und Thomas, und schliesslich mit dem Hofmagier Flagg auch den Keim des Bösen, den King seiner beschaulichen Welt einpflanzte.
Drehpunkt der Geschichte ist das Haus König Rolands von Delain, einem mittelmässigen Herrscher, der die Zügel seiner Macht nicht fest genug in den Händen hält und somit den verschwörerischen Plänen des Hofmagiers Flagg Vorschub leistet. Roland sieht sich selber durchaus realistisch als einen, den die Geschichtsbücher später wohl vernachlässigten. Trotzdem hat ihn das Schicksal dazu auserwählt, dass er in seinen besten Jahren auf einem Jagdausflug einen echten Drachen erlegt. Der Kopf des Viehs hängt seither in der Trophäenhalle des Schlosses. Dort, wohin sich der schwermütige König gerne alleine zurückzieht um nachzugrübeln. Die Tötung des Drachen, Rolands einzige Heldentat, stellt aber immerhin kurzzeitig die königliche Potenz wieder her. Königin Sasha bringt ihr Kind neun Monate später ohne Komplikationen zur Welt. Dem Thronerben Peter folgt dann noch ein weiterer Sohn namens Thomas, bei dessen Geburt die Königin stirbt. Ihren Tod hat aber in Wahrheit niemand anderer als Flagg zu verantworten, der somit die ´starke´ und schlecht beeinflussbare Seite des Herrscherpaares aus dem Weg schafft. Doch Flagg ist viel zu gerissen, um irgendeinen Verdacht auf sich zu lenken. Denn dieser Mann hat buchstäblich alle Zeit der Welt um seine Pläne umzusetzen. Man weiss schliesslich, dass Flagg bereits in den Diensten von Rolands Vater stand und in siebzig Jahren kaum mehr als zehn Jahre gealtert zu sein scheint. Als Rolands Söhne Peter und Thomas heranwachsen, spüren sie zwar die dunkle Bedrohung, die von dem Magier und persönlichen Berater ihres Vaters ausgeht, stehen ihm als Kinder aber machtlos gegenüber. Und sie müssen letztlich ertragen, dass ihr Vater ein weiteres Mordopfer des Magiers wird. Mit einer List gelingt es Flagg, den charakterstarken Peter als Königsmörder und Verräter hinzustellen, bevor dieser an die Macht kommt. An die Stelle des Thronfolgers rückt der zweitgeborene Thomas, der leicht zu beeinflussen ist und so zum Werkzeug des Bösen wird.
Woher kommt er denn, der Wurm des Bösen?
"Die Augen des Drachen" ist ein lockeres Spiel mit bekannten Märchenmotiven, aber auch ein typischer King, der uns dank seiner simplen und eindringlichen Erzählweise sofort gefangen nimmt. Es geht nicht darum, besonders komplexe literarische Charaktere zu entdecken, sondern der Autor zeigt uns schlicht eine glaubwürdige Gesellschaftsstruktur von Bezügen und Abhängigkeiten auf, von denen selbst eine Märchenwelt nicht verschont bleibt. Der Motor der Geschichte ist der Hofzauberer Flagg und damit wie so oft das vorerst ´absichtslose´ Böse, das die meisten von Kings Romane (von aussen!) heimsucht. All diesen Eindringlingen gefällt nichts besser, als sich in ein gemachtes Nest zu setzen, die Rolle des Antagonisten einzunehmen und Zwietracht unter den Guten zu säen. Oder anders: Es ist das personifizierte Chaos, das sich in die angestrengt bewahrte Ordnung der Menschen einschleicht.
Man mag vom typisch king'schen Gut-Böse-Schema halten, was man will, in "Die Augen des Drachen" finde ich diesen Gegensatz angemessen. Ganz so, wie eben der Teufel in eine Märchenwelt der Guten passt, um dort mal für ein wenig Wind zu sorgen. Allerdings kann ich jeweils schlecht nachvollziehen, wenn dieses ultimativ Böse am Ende der Geschichte plump von den Protagonisten ausgetrickst wird und denselben dann kreischend und speichelsprühend an die Gurgel will. Immerhin hat der gute Flagg beinahe ein Jahrhundert Zeit gehabt, um seine Pläne umzusetzen. Im Buch wird erwähnt, dass solche Bösewichte eben nur ein paar wenige Tricks draufhätten, die sie immer wiederholten, bis jemand dahinter käme. Dennoch ist mir das noch nicht Erklärung genug, weshalb sich das Böse letztlich mit Wischmop und gutem Willen vertreiben lässt, wo es sich doch gerade erst so schön eingerichtet hat.
Trotzdem gönnt King den meisten Figuren eine gewisse Tiefe, die sie über simple Märchencharaktere hebt. Der von Flagg instrumentierte Thomas ist beispielsweise nicht bloss ein Simpel, sondern auch eine Marionette seiner eigenen Angst und seiner Selbstzweifel. Immerhin glaubt er, den Tod seiner Mutter verursacht zu haben, was ihm wiederum von Flagg eingeredet wurde. Das macht diese Figur erst interessant und ich hätte mir gewünscht, mehr über den Zweitgeborenen zu erfahren. Doch der Erzähler widmet sich lieber den etwas biederen Gutmenschen Peter und Ben, die mit gutem Willen und reinem Herzen einmal mehr die tief in Kings Schreiben verwurzelten amerikanischen Ideale (der Glaube an Rechtschaffenheit, an die Heiligkeit der Familie usw.) verkörpern.
Bleibt zuletzt die Frage, ob das "ausserirdische" Böse nicht schon irgendwo im Guten veranlagt ist? Denn was wäre dieses Böse anderes als bloss ein kleiner Rumpelstilz, ohne diesen menschlichen Nährboden aus Faulheit, Angst und falschem Stolz, die das Verderben (zumindest bei King) erst keimen lassen?
Stephen King, Heyne
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