Das öde Land
- Heyne
- Erschienen: September 1990
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Apokalypse plus Aliens: Neustart mit Hindernissen
Irgendwann in der Vergangenheit ist die menschliche Zivilisation durch eine globale Katastrophe zugrunde gegangen. Viele Jahrhunderte später stoßen die Überlebenden auf Ruinen und Artefakte, die sie beeindrucken und erschrecken, deren Funktionen sie aber nicht mehr verstehen.
Im Großherzogtum Esbeck ist Paul, der aktuelle Herrscher, ein wacher Geist, den die Geheimnisse der Vergangenheit faszinieren. Aktuell unternimmt er mit einem 2000 Mann umfassenden Heer eine Expedition in jene seltsame Wüste, die als Geburtsstätte bizarrer Schrecken gilt: Ihr Durchmesser misst 300 Meilen, und sie ist kreisrund. Was ist ihr Geheimnis - und was verbirgt sich womöglich in ihrem Zentrum? Paul brennt darauf, es in Erfahrung zu bringen, doch er unterschätzt die Gefahren der Wüste und fällt einer grausigen Seuche zum Opfer, während sein Heer sich panisch zerstreut.
Auf seinem Totenbett hat Paul seinen Berater Jervis Yanderman zur Fortsetzung der Forschungsreise verpflichtet. Begleitet vom jungen Conrad, der sein trostloses Dasein als verlachter Seifensieder in der Wüstensiedlung Lagwich satt hat, zieht Yanderman tiefer in die Wüste. Das Duo stößt auf eine uralte Sternenstation, die der Menschheit einst als Portal zu fremden Planeten diente. Eine in Vergessenheit geratene Technik ermöglichte jene transdimensionalen Kontakte, die zum Ausgangspunkt einer Katastrophe wurde, als man die Pforten zu einer Fremdwelt öffnete, die eine Seuche auf die Erde brachte, gegen die es kein Gegenmittel gab.
Zwar hält noch eine kleine Mannschaft Wache an der Station, doch das Wissen um die Technik ist längst in Vergessenheit geraten. Der Kollaps droht, sodass die verseuchten Kreaturen aus dem All ungehemmt über die Erde herfallen werden …
Das Ende und (k)ein Neubeginn
Es ist keine neue sowie eine sich oft einstellende Erkenntnis, dass Unterhaltung nicht innovativ um jeden Preis, sondern ‚nur‘ solide sein muss. Selten fällt der Beweis so überzeugend aus wie hier, denn der Verfasser des vorgestellten, aus noch auszuführenden Gründen weder originellen noch klassischen Romans ist John Brunner, der das Genre Science Fiction gleich mehrfach mit literaturhistorischen Meisterwerken bereichert, aber parallel dazu bunte SF-Abenteuer fabriziert hat, um die Miete zahlen zu können.
Das Erfreuliche vorweg: Schon der junge Brunner war ein so guter Autor, dass auch Routine-Phantastik unter seiner Feder eine beachtliche Qualität aufwies. Formal hielt er sich mit linguistischen Experimenten zurück und ‚beschränkte‘ sich darauf, in griffigen Worten Fremdartiges zu beschreiben und Spannung nicht zu behaupten, sondern zu inszenieren, d. h. aus dem Geschehen heraus zu entwickeln, statt es unvermittelt ausbrechen zu lassen. „Das öde Land“ ist ungeachtet seines deutschen Titels ein zeitloses Lektüre-Vergnügen, weil Brunner seine Idee zügig, einfallsreich und ohne Sentimentalitäten durchzieht, was auch bedeutet, dass er einige unerwartete Wendungen einfügt.
Die erwähnte Idee ist ein fester Baustein des SF-Fundaments und muss schon seit vielen Jahrzehnten einschlägige Werke stützen. Erschreckend oft ergeben sich daraus beliebige Schauergeschichten, die eher ob ihrer Machart als wegen ihres Inhalts für Schrecken sorgen. Was nach dem „Tag X“ geschehen könnte, der das Ende der menschlichen Zivilisation markiert, ist in der Regel turbulent und negativ, da eine Verbesserung keine spannende Geschichte ergäbe. Milliardenfachem Tod und Chaos folgen deshalb Verteilungskämpfe und das degenerative Absinken der Überlebenden in einen vergangenen Status, der sich nach Willen des Verfassers meist zwischen Mittelalter und Steinzeit bewegt.
Drei Ausschnitte einer auch ihren Bewohnern unbekannten Zukunft
Auch Brunner bleibt dem Schema treu, doch er sorgt für Irritationen. Die Story spielt auf drei Ebenen, die sich nach und nach vereinen bzw. ablösen und ineinander aufgehen. Es beginnt mit der Expedition des Herzogs von Esbeck, über das wir kaum etwas erfahren, weil es für diese Geschichte nebensächlich ist. Wichtig ist Paul von Esbeck, der sich als Hauptfigur herauskristallisiert, nur um von Brunner ebenso überraschend wie unheroisch aus der Handlung genommen zu werden: Die Zukunft benötigt keine Helden, sondern Entdecker, die das Risiko nicht scheuen und deren Mut keineswegs automatisch durch Erfolg ‚belohnt‘ wird.
Als Entscheidungsfaktor erweist sich ausgerechnet der Außenseiter Conrad, der Seife aus schmutziger Asche und altem Fett herstellt. Brunner sorgt dafür, dass ihm der typische Aufstieg vom Outcast zum strahlenden Retter verwehrt bleibt; Conrad verlässt seine Heimatstadt, ohne es seinen Feinden zu zeigen, wie es das Klischee eigentlich verlangt. Handlungsrelevant wird Conrad durch seine Visionen, deren Bedeutungserkenntnis ihm lange verwehrt ist. Sein Mentor wird Herzog Pauls Ex-Berater Yanderman, der zumindest rudimentär zu interpretieren weiß, was Conrads mit seinem Hirn empfängt.
Dritter Handlungsort ist die alte Sternenstation, die Brunner eher skizziert, ohne detailversessen darauf einzugehen. Das ist einerseits nicht nötig, da sich das Kopfkino des Lesers aufgrund entsprechenden Vorwissens aus ähnlichen Romanen oder Filmen umgehend in Gang setzt, während Brunners Interesse andererseits den Menschen gilt, die vor Ort die Stellung = die Station in Gang halten. Hier hat sich eine Gesellschaft im permanenten Ausnahmezustand entwickelt, die Vorschriften befolgt, deren Sinn in Vergessenheit geraten ist. Der Anführer verbringt viel Zeit damit, die Wartung der Station zu gewährleisten. Nach Feierabend überprüft er die Stammbaumtafeln der kleinen Gruppe, denn aufgrund der Isolation ist die genetische Varianzbreite bedenklich geschrumpft, weshalb die schöne Nestamay den Widerling Jasper ehelichen MUSS, weil sie mit den Alternativkandidaten ein wenig zu eng verwandt ist.
Die Wüste lebt - und produziert Monster
Brunner widmet den drei Handlungsebenen viel Raum. Paul von Esbecks Heer, die Wüstenstadt Lagwich und die Sternenstation nehmen Gestalt an - und verschwinden, wenn sie ihren erzählerischen Wert eingebüßt haben. Was aus den Resten des Heers oder Conrads Heimatstadt wird, bleibt unerwähnt.
Auch die Hintergrundgeschichte dieser Zukunft scheint uns der Verfasser vorenthalten zu wollen, lässt die Katze aber schließlich doch aus dem Sack - schade, denn wir haben es uns aufgrund gut eingestreuter Hinweise längst zusammengereimt und benötigen den ausführlichen Rückblick nicht mehr. Vorsichtshalber setzt Brunner auch jene Leser ins Licht, deren Leitung in dieser Hinsicht länger ist. Auch das versöhnliche Ende mag dieser Erwartungshaltung geschuldet sein.
Wie man sein Publikum nicht nur mit einer stringenten Story fesselt, sondern auch effektvoll Schlaglichter setzt, zeigt uns Brunner mit der Beschreibung der außerirdischen Kreaturen, die durch das Stationsportal schlüpfen. Es sind keine „Monster“, sondern Pechvögel, die zufällig auf die Erde geraten, wo ihnen ohnehin kein langes Leben beschert sein wäre. Ihre Gefährlichkeit ist keine Tücke, sondern basiert auf erdfremder Biologie.
So greift ein Element ins andere und fügt sich zu einem ‚kleinen‘, aber feinen Roman, der höchstens in Brunners Bibliografie auf einen der unteren Ränge verwiesen bleibt, während (erschreckend) viele Autorenkollegen zeit ihres Lebens nie ebenso Gelungenes zustande gebracht haben.
Fazit:
Klassische „Post-Doomsday“-SF, geschrieben von einem der besten Autoren des Genres; vor allem abenteuerlich, aber auch gut geschrieben und mit interessanten Figuren besetzt, ist dies ein Brot-und-Butter-Roman, für den sich der Verfasser in keiner Weise schämen muss!
John Brunner, Heyne
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