Der goldene Kompass

  • Carlsen
  • Erschienen: Januar 1996
  • 33
Der goldene Kompass
Der goldene Kompass
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Frank A. Dudley
95°1001

Phantastik-Couch Rezension vonJul 2006

Der Himmel hinter dem Nordlicht

Manche Bücher werden mit dem Alter besser – dem Alter der Leser. Philip Pullmans abenteuerliche, fantastische und oftmals herzzereissende Geschichte ";Der Goldene Kompass gehört dazu. Für Kinder ab zehn oder elf Jahren geschrieben, werden ältere Jugendliche und Erwachsene das Buch weitaus mehr zu schätzen wissen.

Die Hauptrolle in diesem komplexen Fantasy-Roman spielt die junge Lyra Belacqua, eine frühreife Waise von zwölf Jahren, die an der ehrwürdigen Universität von Oxford aufwächst. Doch schon auf den ersten Seiten wird klar, dass Lyras Oxford, ihre ganze Welt mithin, von unserem unterscheidet. Zum einen sind Wissenschaft, Theologie und Magie eng miteinander verknüpft. Zum anderen, ebenso fantastisch, besitzt in Lyras Welt jeder Mensch einen Dæmon, die Seelen-Manifestation in Form eines Tieres.

Diese Dæmonen sind Freunde und Ratgeber, manchmal bockig, aber immer lebenswichtig. Bis zur Pubertät können sie ihre Tiergestalt beliebig wandeln, danach nehmen sie eine bleibende Form an. Die Papst-lose, jedoch allmächtige Kirche praktiziert experimentelle Theologie und verfolgt häretische Wissenschaftler, die behaupten, es gäbe neben Himmel, Hölle und Erde noch andere, parallele Welten. Lyras vorgeblicher Onkel, der mysteriöse Lord Asriel, steht auf der Liste der schwarzen Schafe, denn er behauptet, dass dem Phänomen des Nordlichts eine mächtige Energie innewohnt: Das Elixier des Lebens, von dem er vermutet, die Verbindung zu unendlich vielen Paralleluniversen zu sein.

Obwohl die Professoren in Oxford seine Theorie verwerfen, sind sie mehr als sprachlos, als Lord Asriel von Experimenten jenseits des Polarkreises berichtet, bei denen entführte Kinder und ihre Dæmonen voneinander getrennt werden. Für die Wissenschaftler faszinierend ist dabei, dass dieser Vorgang eine bislang unbekannte Art von Energie freisetzt. Worüber sie dabei gerne hinwegsehen würden, ist die Tatsache, dass kein Mensch ohne seinen Dæmon leben kann. Als Lyras bester Freund Roger spurlos verschwindet, ist ihr klar, dass er an den Nordpol verschleppt wurde, und sie will ihn vor den schrecklichen Experimenten retten. Sie bereitet heimliche ihre Abreise vor, doch ihr Mentor an der Unversität bemerkt es. Anstatt das Mädchen aber zurückzuhalten, gibt er ihm eine Art goldenen Kompass, das Alethiometer, welches bei richtiger Bedienung Antworten auf alle Fragen gibt.

Eindringlich und fesselnd

Philip Pullman, ehemals Lehrer, hat bereits diverse Theaterstücke und Romane für Kinder und Erwachsene geschrieben. Der erste Teil seiner ";His Dark Materials";-Trilogie, ";Der Goldene Kompass";, ist eine dieser wunderbaren literarischen Montagen, die wie ";Alice im Wunderland"; die Mythen und Legenden mit nahtloser Schönheit verbinden. Genau wie Lewis Carroll (und auch C.S Lewis oder J. R. R. Tolkien) kommt Pullman aus Oxford, anscheinend bietet die Atmosphäre dort einen hervorragenden Nährboden für mythenschöpfende Autoren.

Die Geschichte von Lyras Abenteuern lässt einen beim Lesen und auch danach lange nicht mehr los, doch noch eindringlicher sind die komplexen und glaubwürdigen Charaktere, die Pullman erschaffen hat. Neben der mit religiösen Motiven ausgemalten Ich-, Über-Ich- und Es-Variation von Mensch und Dæmon lässt Pullman auch seinen Bösewichtern genug Raum für mehrdimensionale Entwicklung. Und auch die Guten haben schlechte Seiten, was in den folgenden Bänden noch deutlicher wird.

Mit ";Der Goldene Kompass"; hat Philip Pullman ein Meisterwerk geschaffen, das die Genregrenzen überschreitet. Es ist ein Kinderbuch, das Erwachsene fasziniert, und ein Fantasyroman, der Realisten anspricht. Trotz seiner klaren Botschaften von Religion und Wissenschaft spricht Pullman nicht von oben herab, er vermeidet jede Schulmeisterei und lässt seine Moralvorstellungen nie die Geschichte beherrschen. Er schreibt mit einfachen Worten eindringlich von Liebe, Loyalität, Betrug und Verlust, er fesselt seinen Leser bis zur letzten Seite. Gut, dass es noch zwei Bände gibt und ein vierter in Arbeit ist.

Der goldene Kompass

Philip Pullman, Carlsen

Der goldene Kompass

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