Die Jahre der Aliens
- Heyne
- Erschienen: Januar 2000
- 1
Die Aliens kommen und gehen, die Probleme bleiben...
Im frühen 21. Jahrhundert geschieht, wovor Science Fiction-Autoren und Hollywood seit jeher gewarnt haben: Die Außerirdischen kommen und erobern die Erde! Sie kündigen sich nicht an, sie drohen nicht, sie zerstören nicht. Stattdessen schalten sie dem gesamten Planeten den Strom ab und ersticken damit jeglichen Widerstand bereits im Keim.
In den folgenden Jahren bauen die Fremden ihre Brückenköpfe zu uneinnehmbaren Festungen aus. Die meisten Menschen bekommen sie nie zu Gesicht, spüren nur ihre Macht, wenn die neuen Herren der Erde ihre überlegene Technik einsetzen, um aufflackernden Widerstand gewaltsam zu brechen. Die Besatzer regieren die Erde über „Quislinge“ wie das Prager Computer-Genie Karl-Heinz Borgmann - in den Augen ihrer unterdrückten Mitmenschen Kollaborateure, die per Funk die Anweisungen ihrer Meister empfangen und weitergeben. Sie führen ein Leben in Luxus und (freilich nur ‚geborgter‘) Macht.
Allmählich gewöhnt sich der Planet an die neuen Herren. Nach einigen Jahrzehnten hat sich ein recht stabiles Gleichgewicht gebildet. Allerdings gibt es verstreute Gruppen, die den Besatzern ewige Feindschaft geschworen haben. In Kalifornien führt Vietnam-Veteran Anson Carmichael III. seine Familie in den Kampf. Wieder und wieder rennen sie gegen die Bastionen der Fremden an und lassen sich durch das ständige Scheitern ihrer Bemühungen nicht schrecken.
Der Krieg wird für die Widerständler zum Lebensinhalt, dem sie mehr als ein halbes Jahrhundert jedes Opfer bringen. Dann verlassen die Fremden plötzlich die Erde - freiwillig, ohne Begründung, wie sie gekommen sind. Für die Menschheit beginnt nun der eigentliche Konflikt. Unversöhnlich stehen sich die Widerstandsgruppen und die Kollaborateure gegenüber, doch dies ist nichts im Vergleich zu den Problemen, vor denen Menschen stehen, die längst verlernt haben, selbständig und eigenverantwortlich ihre Geschicke zu meistern...
Aliens als Katalysatoren
Robert Silverberg war und ist kein ‚wissenschaftlicher‘ Autor. Die ‚harte‘ Science Fiction, d. h. die Technik der Zukunft interessiert ihn nur soweit, wie sie für seine Geschichten nötig ist. In deren Zentrum stehen Menschen: Gruppen oder Individuen, die in Bedrängnis geraten und sich mit der Krise arrangieren müssen. Die daraus entstehenden Konflikte weiß Silverberg brillant und in allen Einzelheiten durchzuspielen.
Insofern stellt „Die Jahre der Aliens“ so etwas wie die Essenz des Schriftstellers Robert Silverberg dar. Daher ist es konsequent, dass die Außerirdischen nie wirkliches Profil gewinnen. Das ist auch gar nicht nötig; sie dienen Silverberg nur als ‚Zünder‘, mit dem er die eigentliche Story in Gang bringt. Aus diesem Grund können sie schließlich sang- und klanglos davonfliegen. Sie haben ihren Zweck erfüllt und die Erde in ein soziologisches Versuchslabor verwandelt, wie Silverberg, der Schriftsteller, es liebt.
Freilich bleibt den alten wie neuen Fans nicht verborgen, dass Silverberg sich freizügig bei sich selbst bediente. Für „Die Jahre der Aliens“ verarbeitet er mindestens fünf seiner Kurzgeschichten aus den vergangenen anderthalb Jahrzehnten zu einer „fix-up-novel“. Auch aus diesem Grund zerfällt die Geschichte in einzelne Episoden, die sich nicht unbedingt zu einem Ganzen fügen wollen. Man muss Silverberg jedoch zugestehen, dass dies gar nicht seine Absicht gewesen ist: Die gewählte Form zeigt die zunehmende geistige Deformation der unterjochten Menschheit im Zeitraffer, was die Entwicklung eingängig verdeutlicht.
Alte Geschichte in klassischer Form
„Die Jahre der Aliens“ wandelt auf historischen Pfaden. Das Sujet „Außerirdische besetzen die Erde“ ist ein Standard der Science Fiction. Silverberg griff es wohl auch deshalb auf, weil 1998 DER absolute Klassiker sein einhundertjähriges Jubiläum feierte: H. G. Wells‘ „War of the Worlds“ (dt. „Der Krieg der Welten“). Ohne diesen Roman aus viktorianischer Zeit wäre die Science Fiction kaum denkbar bzw. ihre Geschichte vollkommen anders verlaufen.
Schon Wells gab der schauerlichen Invasionsmär Subtext-Ebenen. Dass ‚seine‘ Marsianer den Erdmenschen in der Evolution womöglich vorausgehen, war ihm eine Warn-Botschaft von schockierender Bedeutung. Wichtig waren Wells daneben die Menschen bzw. ihr Verhalten in der Krise. Auf diesen Punkt konzentriert sich Silverberg, während er die Aliens irgendwann aus dem Geschehen streicht.
Der Kampf gegen einen überlegenden Gegner zieht sich als Motiv durch die gesamte menschliche Geschichte. Von den Spartanern bis zu den Widerstandsgruppen gegen die Nazis im Zweiten Weltkrieg wurden daraus Helden-Epen geschmiedet. Der kritische Blick auf die tatsächlichen Ereignisse enthüllte - meist zum Unwillen derer, die der Wahrheit die Legende vorziehen - eher ernüchternde Wahrheiten: Auch oder gerade der Held bleibt Mensch - mit allen Fehlern.
Die Realität kann hässlich sein
Folgerichtig stellt Silverberg die Mitglieder der Familie Carmichael und vor allem ihren ‚Anführer‘ keineswegs als Vorbilder dar. Dass Anson III. ein Veteran des Vietnam-Kriegs ist, verweist bereits darauf, dass „Freiheitskampf“ ein Wort ist, das sich ob seiner Widersprüchlichkeit schier selbst zerreißt. Wenn er dem streitbaren Patriarchen der Carmichael-Sippe den zweiten Vornamen des zehn Jahre zuvor verstorbenen Robert A. Heinlein gibt, ehrt Silverberg zwar den Kollegen und Großmeister der Science Fiction, erinnert allerdings auch daran, dass eben dieser Heinlein den entschlossenen = verbohrten Widerstandskämpfern - siehe u. a. „Star Ship Troopers“: 1959, dt. „Sternenkrieger“/„Star Ship Troopers“ - immer wieder Loblieder singt, während Silverberg hervorhebt, dass auch ‚die Guten‘ keineswegs automatisch im Recht sind.
Er steigert das, wenn er die Menschheit sich richtig verkrachen lässt, als die eigentliche Bedrohung verschwunden ist. Logisch wäre nun ein kooperierender Zusammenschluss der Überlebenden. Stattdessen zerfleischt man sich in der Jagd auf ‚Kollaborateure‘ und will auch sonst vor allem alte Rechnungen begleichen oder sich Vorteile verschaffen: eine deprimierende, aber leider realistische Sicht, wie sich Silverberg wenige Jahre nach dem Zerfall der Sowjetunion exemplarisch versichern konnte; eine Sicht, die auch durch die Erfahrungen der Jahre nach 1998 bestätigt wurde.
Silverberg weiß die Gelassenheit der Gegenwart mit der Scharfsichtigkeit der mittleren Jahre zu verbinden. An seinem Talent hat ohnehin nie jemand gezweifelt, doch „Die Jahre der Aliens“ machen es noch einmal deutlich: Robert Silverberg ist ein bedeutender und wichtiger Science Fiction-Autor, der vielleicht nicht mehr für elementare Lektüre-Erfahrungen, aber weiterhin für eine Überraschung gut ist. In einem Punkt hat er allerdings nach wie vor seine Schwierigkeiten: In „Die Jahre der Aliens“ gibt es mit einer Ausnahme (Cindy Carmichael) keine starken Frauenfiguren, sondern nur auf die Mutterrolle reduzierte, gesichtslos bleibende weibliche Nebenrollen. Silverbergs Weltbild weist durchaus auch konservative Züge auf; er steht nicht über den Dingen bzw. Problemen, die er beschreibt, sondern ist Teil davon, womit sich der Kreis schließt: Handlung und Subtext gehen in die Realität über!
Robert Silverberg, Heyne
Deine Meinung zu »Die Jahre der Aliens«
Wir freuen uns auf Deine Meinungen. Ein fairer und respektvoller Umgang sollte selbstverständlich sein. Bitte Spoiler zum Inhalt vermeiden oder zumindest als solche deutlich in Deinem Kommentar kennzeichnen. Vielen Dank!