Die Farbe aus der Zeit
- Festa
- Erschienen: Januar 2003
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Mordklecks aus dem Urzeit-Chaos
Die Freunde Gerald Sternbruck (der Ich-Erzähler) und Ernst Carlsberg verbringen ihren Urlaub an einem Stausee in Neuengland. Dort sticht ihnen ein merkwürdiges Phänomen buchstäblich in die Augen: Des Nachts beginnen Wasser und Ufervegetation in einer Farbe zu schimmern, die auf dieser Erde unbekannt ist.
In dem See lebt ein außerirdisches Wesen, das sich just anschickt, seinen Einflussbereich zu erweitern. Dazu gibt es seine bisher geübte Zurückhaltung auf und überfällt in der Dunkelheit ahnungslose Camper, Jäger und Wanderer, denen es einerseits wie ein Vampir das Blut aussaugt und andererseits die Seele raubt, denn die Kreatur nährt sich auch von der Angst seiner Opfer.
Gerald und Ernst rüsten zum Kampf gegen den bösen Feind. Sie stehen allein, denn die anderen Urlauber stehen bereits unter seinem Bann. Unerwartete Hilfe stellt sich in Gestalt der Künstlerin Sharon Harms ein. Sie kennt das Grauen, das vor fünf Jahrzehnten seinen Ursprung auf der Simes-Farm nahm, die jetzt die Fluten des Sees bedecken. Seither wacht sie über die Kreatur, der sie sich jetzt mit den neuen Verbündeten stellt.
Doch das alte Scheusal ist ebenso clever wie bösartig. Es bemerkt, dass ihm jemand widerstehen und womöglich gefährlich werden kann. Deshalb schickt es seine Schergen gegen Gerald, Ernst und Sharon aus. Als mehrere Anschläge missglücken, kommt es zum großen Finalkampf zwischen Gut & Böse …
Die strahlend böse Vorlage
Im September des Jahres 1927 veröffentlichte ein ziemlich erfolgloser Autor phantastischer Kurzgeschichten in „Amazing Stories“, einem der zahlreichen „Pulp“-Magazine dieser Ära, eine Story mit dem Titel „The Color Out of Space“ (dt. „Die Farbe aus dem All“). Howard Phillips Lovecraft (1890-1937) beschrieb eine außerirdische Invasion der besonderen Art: Gehüllt in unwirkliche Farben, überfällt ein formloses Protoplasmawesen eine kleine Farm in der neuenglischen Wildnis, unterjocht Menschen und Tiere und bringt sie auf perfide Weise zu Tode, bevor es endlich aufgestöbert und vertrieben werden kann.
„The Color Out of Space“ gehört zu den Klassikern der Phantastik. Als nach Lovecrafts Tod das Genre insgesamt und sein Werk speziell an Beachtung gewann, wurde die Qualität der Story rasch offenbar und anerkannt. Die Präsenz einer nur schattenhaften aber ungemein bösen Macht wurde selten mit solcher Intensität geschildert; auf der Geschichte lastet ein permanenter Albdruck. Lovecrafts Alien ist zudem wahrlich fremdartig; wieso es zur Erde kam und was es dort umtreibt, bleibt offen.
Matte Wiederkehr
Laut Lovecraft konnte die Kreatur schließlich vertrieben werden. Michael Shea geht von der Prämisse aus, dass ein ‚Rest‘ des ungebetenen Gastes damals zurückblieb und sich zu einem eigenständigen Unwesen entwickelte. Das legt als Weltenzerstörer und Menschenjäger wesentlich mehr Ehrgeiz an den Tag als sein Elter. Allerdings blieb ihm auch mehr Zeit zur Vorbereitung; fünf Jahrzehnte der schleichenden Ausbreitung gesteht ihm Shea zu, bis endlich zwei ältliche Buchwürmer aufmerksam werden.
Was folgt, ist eine breit ausgewalzte Wiederholung jener Ereignisse, die Lovecraft knapp und sehr viel eindrucksvoller in Worte zu fassen wusste. 174 Seiten sind eindeutig zu viel, zumal der Verfasser nur variiert und ganz selten mit eigenen Einfällen aufwartet. Das Böse mordet jetzt im Breitwandformat, d. h. häufiger, heftiger und mit ordentlichen Schock-Effekten. Als Fortschritt lässt sich das nicht bezeichnen; vor allem das große Gruselfinale (s. u.) geizt nicht mit unfreiwillig komischen Elementen.
Auch sonst geschieht wenig. Unsere beiden Helden entdecken das Monster im See. Ewigkeiten vergehen über diversen Erkundungsgängen, bei denen immer wieder neu entdeckt wird, dass hier „etwas nicht stimmt“. Dieser absolut träge Mittelteil lässt den Leser schier verzweifeln.
Schrecken ohne Ende wird Ende ohne Schrecken
Plötzlich ist es dem Verfasser offenbar wichtig, H. P. Lovecraft selbst in die Ereignisse zu verwickeln. Ein ‚historischer‘ Rückblick auf fünf Jahrzehnte Buntbiest-Wüten enthüllt – eigentlich gar nichts. Dem folgen mehrfache sowie vergebliche Versuche, die dummen Seeurlauber zu warnen. Eine an Schwachsinn kaum zu überbietende Episode beschreibt das Bemühen, das Wirken des Farbschreckens anthropologisch zu ‚erklären‘. Was Shea an Fachkenntnis auf diesem Gebiet vorgibt zu wissen, muss er von einem Kalenderblatt abgeschrieben haben.
Das Finale bringt scheinbar Schwung in die Sache. Zum ersten Mal zeigt sich das Böse. Allerdings treibt es nur einige blutige Scherze, taucht tölpelig in seinem See herum und merkt viel zu spät, dass sich seine Gegner gut bewaffnet mit diversen Okkult-Artefakten in seinem Schlupfwinkel zu schaffen machen. Man sollte meinen, die Bestie sei schlau genug, dort eine Art Alarmanlage zu installieren. Dem ist aber nicht so, und ehe man sich versieht, ist sie per „weißer“ Magie in tausend Stücke zerblasen.
Abklatsch statt Hommage
Wenn „Die Farbe aus der Zeit“ tatsächlich einen Fluch darstellt – Langeweile zähle ich nicht dazu; in diesem Punkt bedarf der Mensch keiner übernatürlichen Unterstützung –, so liegt dieser im Versuch der allzu getreuen Nachahmung. Wie viele Lovecraft-Epigonen ist Michael Shea der Meinung, er müsse den Meister in Wort und Bild möglichst exakt treffen.
Da liegt er falsch: Obwohl Lovecraft wegen seines altertümlichen, von Adjektiven wimmelnden Stils und seines übertriebenen Drangs zum atmosphärischen Grauen gern verspottet und parodiert wurde, verstand er sein Handwerk. Nur Lovecraft klingt wirklich wie Lovecraft. Von seinen ‚Schülern‘ fuhren stets jene am besten, die sich selbst inhaltlich und formal in ihr Werk einbrachten.
Shea unterlässt dies mit schlimmem Folgen. Seine Geschichte entstand 1984, will aber unbedingt die Brücke zur Vergangenheit schlagen. Doch selbst fünf Jahrzehnte früher hätte „Die Farbe aus der Zeit“ neben der Lovecraft-Vorlage blass ausgesehen. Noch einmal Jahrzehnte später hat sie ihre Wirkung gänzlich eingebüßt.
Tölpel-Trio auf Monsterhatz
Zwei und später drei Personen älteren Jahrgangs begeben sich auf Monsterjagd. Wer sie sind, was sie treibt: Es wird nur ansatzweise erwähnt. Besonders Gerald und Ernst bleiben Figuren ohne Persönlichkeit. Wir erfahren im Grunde nichts über sie. Deshalb vermögen wir an ihrem Schicksal auch keinen Anteil zu nehmen. Was von ihnen in Erinnerung bleibt, ist höchstens ihr erstaunlicher Alkoholkonsum: Geschieht etwas Schreckliches, oder gilt es bloß „Kraft zu schöpfen“, wird sogleich die Whiskyflasche angesetzt.
Sharon Harms gönnt der Verfasser eine Biografie. Deren einziger Zweck liegt freilich darin, das Grauen der 1980er mit dem Grauen der 1930er Jahre zu verklammern: Sharon gehört zu den Zeugen, die noch die erste, die Lovecraft-Kreatur, er- und überlebt haben. Sie wurde sogar vom Meister selbst interviewt, der aus den ‚Tatsachen‘ später eine Kurzgeschichten strickte: Sheas durchsichtiger Versuch, sein Garn durch den Gastauftritt seines Vorgängers zu adeln.
Ansonsten treffen wir nur auf Kanonen- bzw. Monsterfutter. Mit derselben aufreizenden Dämlichkeit, mit der sich im schlechten Horrorfilm die weibliche Heldin stets dorthin verirrt, wo sie nicht vor der Mumie/dem Vampir/dem sonstigen Grauen flüchten kann, verweigern sich Urlauber und Ordnungshüter den Warnungen, die Gerald, Ernst und Sharon äußern. Sie tun es so penetrant, dass sich der Leser wünscht, das böse Untier möge diese Hohlköpfe endlich vom Erdboden tilgen. Erfreulicherweise geschieht das tatsächlich; einer der wenigen Lichtblicke dieses ansonsten ärgerlichen Romans.
Fazit:
Die ‚Fortsetzung‘ einer Story von H. P. Lovecraft beginnt hüftsteif und tritt im Mittelteil auf der Stelle; das Finale bringt endlich Tempo, aber auch keine Spannung. Insgesamt ein missglücktes Experiment, das erst langweilt und dann ärgert.
Michael Shea, Festa
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